Krise bei Mainz 05:Das Vertrauen ist aufgebraucht

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Die Zeit von Bo Svensson als Trainer von Mainz 05 ist abgelaufen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

In der Bundesliga auf dem letzten Platz, im Pokal nach einer angstgetriebenen Leistung ausgeschieden: Trainer Bo Svensson tritt bei Mainz 05 zurück. Die Vereinsführung wirkt auf vielen Ebenen hilflos.

Von David Kulessa

Leandro Barreiro war ratlos. "Es war eine peinliche Leistung", sagte der Mittelfeldspieler von Mainz 05 nach der 0:3-Niederlage bei Hertha BSC. Der 23-Jährige hatte bei dem Debakel im Olympiastadion 70 Minuten auf dem Platz gestanden. Erklären konnte er es nicht: "Mir fehlen die Worte." Das Spiel in Berlin, in dessen Verlauf die mitgereisten Fans erstmals in dieser Runde ihre Unterstützung einstellten, ist der Tiefpunkt des schlechtesten Saisonstarts der Vereinsgeschichte. In der Bundesliga sind die Mainzer noch ohne Sieg, drei Punkte aus neun Spielen bedeuten den letzten Tabellenplatz - und, seit Donnerstagabend, den Verlust ihres Trainers: Bo Svensson tritt von seinem Amt zurück, teilten die Mainzer mit; Jan Siewert, der Trainer der U23, übernimmt die Mannschaft "bis auf Weiteres".

Svensson sei nur dann am Samstag gegen RB Leipzig noch Trainer, "wenn wir die Analyse in die richtige Richtung bringen können", hatte Sportdirektor Martin Schmidt kurz zuvor in Berlin gesagt. Am Donnerstag war die Analyse dann offenkundig in eine andere Richtung gegangen als von allen Verantwortlichen erhofft. Sportvorstand Christian Heidel verpackte es so: "Leider gibt es im Fußball immer aber auch vielschichtige Entwicklungen, die eine so erfolgreiche gemeinsame Arbeit an einen Punkt bringen können, an dem es vielleicht besser ist, einen neuen Weg einzuschlagen."

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Als Mainz 05 zum letzten Mal in einer derartigen Lage war, gelang es Svensson noch, eine kleine Heldengeschichte zu schreiben. Im Januar 2021 kam der Däne zu einem Verein, der sich nach einer Hinrunde mit sieben Punkten schon damit abgefunden hatte, bald wieder zweitklassig zu spielen. Die historische Rückrunde, die folgte und an deren Ende Mainz souverän in der Klasse blieb, nährte das Vertrauen, das Svensson in den vergangenen Wochen immer wieder glaubhaft versichert worden war - bis es aufgezehrt war.

Das Pokalspiel in Berlin führte beispielhaft die Gründe vor. Die Mannschaft habe "angstgetrieben" gespielt, sagte Sportdirektor Schmidt. Barreiro und seine Kollegen reihten Ballverlust an Fehlpass, spätestens nach dem Elfmeter zum Berliner 1:0 durch Fabian Reese kurz vor dem Pausenpfiff ging bei Mainz gar nichts mehr. Ebenfalls per Strafstoß (50.) und als Abschluss eines gegenwehrlosen Angriffes (60.) entschied Haris Tabakovic das Spiel nach dem Seitenwechsel mit einem Doppelpack.

El Ghazi vergibt seine zweite Chance - er distanziert sich von den Aussagen, die ihm der Verein zuschrieb

In der Startelf hatte Svensson zuvor erstmals in dieser Saison seine obligatorische Fünferkette aufgegeben, doch auch im 4-4-2 wurde deutlich, dass der Trainer in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren daran gescheitert ist, die Mannschaft spielerisch weiterzuentwickeln. Im eigenen Ballbesitz fehlen die Ideen, offensive Hoffnung ruht aktuell fast ausschließlich auf dem 19-jährigen Brajan Gruda, der als einziger in der Lage zu sein scheint, mal einen Gegner zu umspielen. Vermeintliche Leistungsträger wie Karim Onisiwo, Jae-sung Lee und Ludovic Ajorque sind kaum wiederzuerkennen. Und die einst stabile Defensive ist in dieser Saison die schlechteste der Liga.

Dafür gibt es zwar Erklärungen; vordergründig, dass Andreas Hanche-Olsen verletzt ausfällt. Der Innenverteidiger war im vergangenen Winter nach Mainz gekommen und füllte mit einem halben Jahr Verspätung die Lücke, die Moussa Niakhaté hinterlassen hatte. Jetzt fehlt erneut ein Abwehrchef. Josuha Guilavogui, vor fünf Wochen aus der Vereinslosigkeit verpflichtet, gab in Berlin ein schwaches Debüt in der Startelf. Liverpool-Leihgabe Sepp van den Berg kann die Verteidigung bislang ebenso wenig stabilisieren.

Sportvorstand Christian Heidel (li.) und Sportdirektor Martin Schmidt (re.) hielten bis zuletzt an Bo Svensson fest. (Foto: Marcel Lorenz/dpa)

Weil andere Zugänge wie Tom Krauß, im Sommer wie van den Berg als Svenssons Wunschspieler gepriesen, und Marco Richter bisher ebenfalls nicht überzeugt haben, geriet zuletzt auch die Sportliche Führung in die Kritik, wenngleich Martin Schmidt von einem zu schwachen Kader in Berlin nichts wissen wollte: "Die Qualität ist da." Es erschien im Sommer indes fragwürdig, dass er und Sportvorstand Heidel etwa darauf verzichteten, Marcus Ingvartsen, den besten Torschützen der vergangenen Saison, zu ersetzen. Ende September den vereinslosen Angreifer Anwar El Ghazi zu verpflichten, konnte man als Kurskorrektur verstehen. Einen guten Monat und drei Kurzeinsätze später ist aus dem Verein jedoch nichts als Unverständnis über den Niederländer zu vernehmen.

Der 28-Jährige hatte eine Woche nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel einen Beitrag auf Instagram geteilt, der mit den Worten "From the river to the sea, Palestine will be free" endete - was so interpretiert werden kann, dass dem jüdischen Staat das Existenzrecht abgesprochen wird. Mainz 05 suspendierte El Ghazi anschließend, wohl, weil er weder bereit gewesen war, sich öffentlich vom Terror der Hamas zu distanzieren noch das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Eine Auflösung des Vertrags schien die logische Konsequenz zu sein.

Am hilflosen Bild, das der Klub abgibt, ändert auch die Rede Christian Heidels nichts

Doch der Verein führte weiter Gespräche; mit dem Spieler, der israelischen Generalkonsulin, dem jüdischen Sportverband Makkabi. Am Montagnachmittag präsentierte er die Schlussfolgerung: Der Spieler habe sich reuig gezeigt und "wird zeitnah in den Trainings- und Spielbetrieb zurückkehren". Bei der Mitgliederversammlung am Abend sagte der Vereinsvorsitzende Stefan Hofmann, El Ghazi verdiene "eine zweite Chance". Nur wenige Stunden später vergab er sie. El Ghazi distanzierte sich von den Aussagen, die ihm der Verein zuschrieb, er habe sie "nicht autorisiert". Die angekündigte Rückkehr dürfte damit vom Tisch sein. Schmidt kündigte bereits ein neuerliches Statement an.

Was bleibt, ist das Bild einer hilflosen Vereinsführung auf mehreren Ebenen. Daran änderte auch die Rede Christian Heidels auf der Mitgliederversammlung wenig. Die aktuelle Situation, so der Ur-Mainzer, erinnere ihn an die Saison 2006/2007, als der Verein zwischenzeitlich 16 Spiele in Serie sieglos blieb. Inwieweit das Mut machen sollte, blieb Heidels Geheimnis: Im Sommer 2007 stieg Mainz 05 zum bisher einzigen Mal aus der Bundesliga ab.

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