Oliver Glasner hat kein Problem damit, auch mal private Anekdoten preiszugeben, zumal der Trainer von Eintracht Frankfurt ohnehin keine Berührungsängste kennt: Am vergangenen Sonntag ist der gebürtige Salzburger mit seiner übers lange Wochenende zu Besuch weilenden Familie über den Römer geschlendert. Der historische Platz sei bei dem schönen Wetter voller Menschen gewesen, erzählte der 48-Jährige und dachte sich: "Es wäre schon geil, hier wieder zu stehen." Oben auf dem Balkon mit einem Pokal, während unten die Fans jubeln.
Ein Jahr ist es fast genau her, dass Frankfurt den Helden von Sevilla zu Füßen lag, als die Eintracht mit dem Europa-League-Triumph Geschichte schrieb. Doch die nächste Feierstunde kann sich gerade kaum jemand vorstellen. Eine blutleere Mannschaft ist nach neun sieglosen Bundesligaspielen von Platz vier auf neun abgerutscht. In der Rückrundentabelle liegen die Hessen auf Platz 15. Es klang schon wie das Pfeifen im Walde, als Glasner vor dem DFB-Pokalhalbfinale beim VfB Stuttgart an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ARD und Sky) daran erinnerte, dass einige seiner Spieler ja schon 2018 am Römer gestanden hätten, als die Pokalsensation gegen den FC Bayern gelang. "Das macht ein bisschen süchtig", insistierte der Coach, der eine positive Grundstimmung beschwor: "Wir wollen nach Berlin, das Halbfinale ist uns zu wenig." Helfen kann vermutlich auch der zuletzt wegen Adduktorenproblemen fehlende Torjäger Randal Kolo Muani, der wochenlang als einziger Aktivposten in einem ansonsten dysfunktionalen Gebilde herausstach.
Oliver Glasner im Interview:"Ohne Intensität wäre alles nichts"
Die Erfolge von Eintracht Frankfurt im Vorjahr waren keine Eintagsfliege, sagt Trainer Oliver Glasner vor dem Champions-League-Rückspiel in Neapel. Er erklärt seinen Fußball, die Rolle von Mario Götze - und welche Wege in die Bundesliga-Spitze führen.
Schwer zu sagen, wie stark ein parallel tobender Machtkampf auf höchster Führungsebene zum sportlichen Absturz beigetragen hat. Fast schon demonstrativ haben die Bosse nun vor dem wichtigsten Spiel der Rückrunde ihren Richtungsstreit beigelegt. Der heftig von der Deutschen Fußball Liga (DFL) umgarnte Vorstandssprecher Axel Hellmann wird seinen bis 2027 laufenden Vertrag erfüllen und wieder mit Aufsichtsratschef Philip Holzer zusammenarbeiten, nachdem sich die Alphatiere unter dem Adlerdach völlig verhakt hatten. Am Montagabend informierte Hellmann die DFL-Gremien in Person von Hans-Joachim Watzke von der Entscheidung für seinen Herzensverein, über den der 51-Jährige sagte: "Die emotionale Verortung wird nie zur Diskussion stehen - und dafür muss ich auch nicht das Wappen küssen." Er wolle mit der Eintracht "weiterhin viel bewegen - und ab und zu vielleicht einen Titel gewinnen". Gespräche mit dem FC Bayern, stellte er übrigens klar, habe es nie gegeben.
Der findige Jurist war derjenige, der in unruhigen Zeiten bei der Eintracht stets den Anker gab. Hellmann dämmerte, dass der Schwebezustand im Sinne seines Arbeitgebers beendet werden müsse. Die Zwietracht hatte sich wie Mehltau auf den Traditionsverein gelegt. Der Treueschwur des wichtigsten Funktionärs soll nun prompt auch ein "wichtiges Zeichen im Endspurt der laufenden Runde" sein.
In der aktuellen Zusammensetzung hat das Team keine Zukunft mehr
Glasner hatte wiederholt die sprunghaft gestiegene Erwartungshaltung rund um die zuletzt wieder sehr "launische Diva vom Main" beklagt. Aus seiner Sicht sei Platz neun in der Liga "kein Volldesaster", der Vorstoß unter die letzten Vier im Pokal "gut", das Erreichen des Champions-League-Achtelfinals sogar "herausragend". Gleichwohl hat sein Team in dieser Zusammensetzung keine Zukunft mehr. Daichi Kamada und Evan Ndicka haben längst entschieden, im Sommer ablösefrei zu wechseln; Djibril Sow oder Rafael Borré sehnen sich nach einer neuen Herausforderung, und beim Ausnahmestürmer Kolo Muani wird bald ein lustiges Wettbieten einsetzen, bei dem die Hessen irgendwann gar nicht mehr Nein sagen können, wenn sie nicht im Europapokal mitspielen.
Glasner wird in der Krise angelastet, auch im zweiten Jahr keinen Plan B in der Tasche zu haben. Indirekt hat er das ja selbst zugegeben: "Die Spieler wollen, sie machen, sie tun. Die Tür ist momentan so fest zu, dass wir uns beim Anlaufen eine Beule nach der anderen holen." Um irgendwie in Stuttgart durch die Tür nach Berlin zu kommen, werde aber nichts Grundsätzliches geändert, denn: "Das ist Aktionismus." Am vergangenen Samstag war der Fußballlehrer nach dem Grottenkick gegen den FC Augsburg (1:1) so gefrustet, dass er Fragen nach seiner Verantwortung mit einer Mischung aus Sarkasmus und Zynismus beantwortete: "Wenn jemand der Meinung ist, dass es jemand besser kann als Oliver Glasner, dann wird man es mir sagen. Dann packe ich meine Sachen, und der Nächste wird es versuchen."
Auch wenn Glasner seinen emotionalen Ausbruch mit ein bisschen Abstand revidierte ("Ich tanze dann nicht durch Frankfurt"): Mit solchen Statements stärkt man nicht sein Standing. Hinter den Kulissen soll kurzzeitig gar der Rauswurf des Trainers zur Debatte gestanden haben, doch dessen Verdienste sind durch den Europapokalsieg zu groß. Bis Saisonende macht Glasner also weiter. Was danach passiert, erscheint völlig offen. Selbst beim Erreichen des Pokalfinals am 3. Juni könnten beide Seiten zu dem Schluss kommen, dass eine weitere Zusammenarbeit wenig Sinn ergibt. Es wartet viel Arbeit auf Sportvorstand Markus Krösche. Der smarte Macher muss zur nächsten Saison einen hungrigen Kader bauen - ganz unabhängig davon, wer auf der Trainerbank sitzt. Den aktuellen Spielern empfahl Hellmann noch dringend, sich die Bilder in Erinnerung zu rufen, "wie 200 000 Menschen sich beim Autokorso um den goldenen Pokal scharen". Wen das nicht für ein Pokal-Halbfinale ansporne, "dem kann ich nicht mehr helfen".