Das Estadio Ramón Sánchez Pizjuán ist schon oft ein Schauplatz grandioser Hitzeschlachten gewesen, es liegt in Sevilla, Andalusien. Und man muss nur an eine Partie denken, die sich vor 40 Jahren genau dort zutrug: Deutschland - Frankreich, WM-Halbfinale 1982, die legendäre Nacht von Sevilla, Battiston gegen Schumacher, die Elfmeter. Auch am Mittwochabend, kurz vor Mitternacht, kam es im Europa-League-Finale von Sevilla zum Elfmeterschießen. Mit dem besseren Ende für Eintracht Frankfurt. Vor der Kurve mit fanatischen Rangers-Anhängern siegte die Eintracht mit 5:4 nach Elfmeterschießen. ( Hier geht es zum Liveticker des Spiels zum Nachlesen)
James Tavernier, Steven Davis, Scott Arfield, Kemar Roofe trafen für die Rangers, doch Aaron Ramsey brachte den Ball nicht an Kevin Trapp vorbei. Christopher Lenz, Ajdin Hrustic, Daichi Kamada, Filip Kostic und Rafa Borré trafen für die Eintracht, die nach Rückstand noch ein 1:1 in die Verlängerung gerettet hatte. Frankfurt feiert damit 42 Jahre nach dem Gewinn des Uefa-Cups den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Es ist nach 1997, als Schalke 04 den Uefa-Cup gewann, das erste Mal, dass eine deutsche Mannschaft den Pokal wieder erringen kann.
In einer Stadt, in der in jeder besseren Wirtschaft seit Urzeiten ein Schild hängt, das den Gesang strengstens untersagt, grölten und johlten Zehntausende Fans aus Schottland und Deutschland stundenlang ihre Lieder. In weitgehend friedlicher Atmosphäre - vor allem gemessen daran, dass mehr als 100 000 Menschen in die Stadt eingefallen waren. In der Innenstadt waren des Tags flüchtige Fraternisierungen zwischen den Fans zu sehen. Sonderlich innig waren die Umarmungen allerdings nicht. Das verbat die drückende Hitze. In der andalusischen Hauptstadt herrschten mehr als 35 Grad.
Bis zum Spielbeginn hatte die spanische Polizei lediglich die Festnahmen von fünf Eintracht-Fans vermeldet. Sie hatten Fans der Glasgow Rangers in Nähe der Kathedrale angegriffen. Auf einem Video war zu sehen, wie eine Gruppe schottischer Anhänger mit einem Feuerwerkskörper beschossen wurden. Am späten Mittwochnachmittag wurde aus dem Zentrum eine neuerliche Keilerei vermeldet, sie war nach Angaben eines Polizeisprechers rasch unter Kontrolle. Etwa zur gleichen Zeit setzten sich die getrennten Märsche der Eintracht- und Glasgow-Fans Richtung Estadio Ramón Sánchez Pizjuán in Gang. Dort breiteten die Eintracht-Fans eine Choreo aus: "Heilige Diva vom Main, bitte für uns" war da zu lesen - rund um ein morbides, stilisiertes Marienbild. Morbide, weil über den fromm vor der Brust gefalteten Händen und unterm Kopftuch war ein Totenschädel abgebildet.
Das Spiel begann, und Referee Slavko Vincic (Slowenien) gab sogleich einen Hinweis darauf, dass Schiedsrichterpfiffe im Finale nicht so billig zu haben sein würden. Nach fünf Minuten schlug der wuchtige John Lundstram das Bein im Stile einer Can-Can-Tänzerin hoch - und traf Eintracht-Kapitän Sebastian Rode mit dem Schuh an der Stirn. Rode blutete, musste minutenlang behandelt werden, bekam einen Verband um den Kopf gewickelt - und spielte ohne größere Anstalten weiter.
Danach brauchte die Eintracht eine Weile, sich einer Wahrheit zu vergegenwärtigen, die sich im Grunde durch das ganze Spiel zog: Sie war die fußballerisch bessere Mannschaft, bot gegen physisch starke Schotten das durchdachtere, zielorientiertere Spiel. Ausdruck dessen waren auch die ersten Chancen der Partie, die auf das Konto der Eintracht gingen.
Daichi Kamada faltete die Rangers-Abwehr mit einem Dribbling filigraner zusammen als ein Blatt Papier beim Origami, Sow zog nach einem Abpraller nicht druckvoll genug ab (12.). Noch besser war die Gelegenheit von Ansgar Knauff. In der 20. Minute prüfte er Rangers-Torwart Allan McGregor aus 14 Metern, aber mit seinem schwächeren linken Bein (20.). Der gerade erst genesene Jesper Lindström kam nach einer flachen Ecke von Filip Kostic in den Rückraum zu einem gefährlichen Schuss vom Strafraumrand; Kostic selbst probierte es nach gut einer halben Stunde aus der Distanz. Und die Rangers? Kamen nur selten, aber dann gefährlich vors gegnerische Tor. Erst durch Stürmer Joe Aribo (26.), dann durch Lundstram, der Eintracht-Torwart Kevin Trapp in die Bredouille brachte (35.).
Nach der Pause spielten die Frankfurter auf das Tor, hinter dem die Eintracht-Fans rote Bengalos zündeten. Und die Frankfurter versuchten ebenfalls, ein Feuerwerk zu zünden - vor allem durch Lindström, dessen Schuss abgefälscht wurde (48.). Kurz danach kam Eintracht-Stürmer Rafa Borré nach einer Berührung durch Goldson im Strafraum zu Fall - kein Elfmeter, sagte der Schiedsrichter. Auf der Gegenseite unterlief Knauff ein Schnitzer, doch Ryan Kent setzte den Ball neben das Tor. Es war der Vorbote einer fatalen Fehlerkette. Einen harmlosen Kopfball von Goldson verlängerte Eintracht-Verteidiger Sow in Richtung eigenes Tor, Tuta rutschte aus, und Rangers-Stürmer Aribo war durch. Er schob flach ein. Trapp war machtlos (57.).
Das Stadion in Sevilla hörte sich an wie der Ibrox Park, das Stadion der Rangers in Glasgow. Aber die Eintracht war nicht geschlagen. Und wie sie nicht geschlagen war! Erst setzte Kamada den Ball nach einem Pass von Rode aufs Netz (67.); dann brachte Kostic die gefühlt erste Hereingabe in den Strafraum der Schotten, und fand dort Rafa Borré. Der Kolumbianer drückte den Ball mit dem Innenrist aus fünf Metern zum Ausgleich ins Netz - 1:1. Doch damit erzwang er nur die Verlängerung. Denn ein Schuss von Kostic aus unmöglichem Winkel von links landeten knapp neben dem Tor (89.).
In der 95. Minute hätte Borré fast schon früh seinem Ruf als Schütze wichtiger Tore alle Ehre gemacht: Nach einem Ausrutscher von Bassey stürmte er allein auf McGregor zu, doch Bassey kam ihm gerade rechtzeitig in die Quere. Der Rest war vor allem Kampf von 22 Männern gegen viele eigene Grenzen, gegen die Uhr, gegen Krämpfe, gegen die Dehydrierung, gegen die Angst. Ein Flatterball von Glasgows Einwechselspieler Barisic entschärfte Trapp mit Mühe (106.), auf der anderen Seite zog Hrustic für die Eintracht aus 18 Metern knapp vorbei, Jakic schoss knapp drüber (114.). Kein Schreck jedoch war größer als der, den Glasgows Kent heraufbeschwort: aus sechs Metern scheiterte er an Trapp, der dann auch noch den einzigen Elfmeter im Elfmeterschießen parierte und zum Helden wurde.