Foul in Augsburg:Reuter fordert für Rodríguez Sperre, die länger dauert als Kohrs Verletzungspause

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Einsichtiger Rot-Sünder: José Rodríguez entschuldigte sich noch auf dem Platz bei Dominik Kohr, den er übel gefoult hatte. (Foto: imago/MIS)

Augsburgs Manager spricht von "ein paar Wochen mehr" für den Mainzer. Das DFB-Sportgericht berücksichtigt bei Urteilen aber auch die Vorgeschichte eines Foulspielers.

Von Sebastian Fischer, Augsburg

Der Fußballer José Rodríguez aus der Provinz Alicante, dies vorweg, kann auch ein sehr angenehmer Zeitgenosse sein. Rodríguez, 21, tanzte zum Beispiel vor ein paar Tagen mit einem Hula-Hoop-Reifen am Rheinstrand, er kraxelte mit seinen Kollegen grinsend eine bunte Kletterwand empor und spazierte mal samt Familie, ein Baby auf dem Arm, durch Disneyland. Alles dokumentiert auf seinem Twitter-Account. Allerdings präsentierte Rodríguez, gepflegter Bart, imposante Nase, am Sonntag seinem Trainer Martin Schmidt zufolge "das böse Gesicht von Mainz 05".

Mehr als der 3:1-Sieg beachtlich souveräner Mainzer und mehr als die erstaunlich ideenlose Darbietung des FC Augsburg war auch am Tag danach noch jene Szene aus der dritten Minute der Nachspielzeit das Thema: Da sprang Rodríguez dem Augsburger Dominik Kohr mit nach vorn gestreckter Sohle von hinten aufs Standbein. Rodríguez sah die rote Karte. Kohr erlitt eine offene, 14 Zentimeter große Wunde mit freiliegendem Unterschenkelknochen und ein schweres Weichteiltrauma, wie der FCA am Montag bekannt gab. Kohr wird wochenlang ausfallen. Die Bilder des fiesen Fouls werden noch ein paar Wochen länger im Gedächtnis bleiben.

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Fouls passieren im Fußball, manche sind gewollt und werden abgenickt, wie Schmidt in einem Exkurs am Sonntagabend im Stadion darlegte; solche Fouls, die "im Dienste des Teams" einen Platzverweis nach sich ziehen. Dass das Einsteigen von Rodríguez keines aus dieser Kategorie war, sondern zu verurteilen ist, da waren sich alle Beteiligten einig. Eine "Frechheit", nannte Augsburgs Manager Stefan Reuter die Aktion, Schmidt nannte sie "dumm und doof" und kündigte eine Geldstrafe an. Das Sportgericht des DFB wird Rodríguez sperren. Gerecht, sagte Reuter, wäre eine Sperre, die "ein paar Wochen länger" andauere als Kohrs Verletzung.

Das Gericht, dessen Vorsitzender Hans Eberhard Lorenz in der vergangenen Saison vor allem deshalb Berühmtheit erlangte, weil er Spieler bestrafte, die sich vor Begegnungen mit dem FC Bayern absichtlich Gelb-Sperren einhandelten, muss nun das erste große Urteil der laufenden Spielzeit aussprechen. Vergleichbar ist Rodríguez' Unsportlichkeit in ihrer Schwere mit dem Foul des Schalkers Johannes Geis am Gladbacher André Hahn im Oktober 2015. Geis sprang Hahn mit Anlauf aufs Knie, sah die rote Karte, wurde für fünf Spiele gesperrt und musste 15 000 Euro bezahlen. Der Aufschrei war groß, Hahn fiel mit gebrochenem Schienbeinkopf und abgerissenem Außenmeniskus monatelang aus, Geis entschuldigte sich öffentlich.

Rodríguez entschuldigte sich am Sonntag noch auf dem Platz bei Kohr, doch das beschwichtigte niemanden. Augsburgs Präsident Klaus Hofmann beschimpfte den Spanier wüst, der Sport-Informations-Dienst sah sich gar an das bekannteste Foul der Bundesliga-Geschichte erinnert, als Bremens Norbert Siegmann 1981 dem damaligen Bielefelder Ewald Lienen mit den Stollen voran auf den Oberschenkel sprang, wo danach eine 25 Zentimeter lange Wunde klaffte. Er habe "nur noch Blut gesehen", sagte Augsburgs Torhüter Marwin Hitz am Sonntag, was übertrieben war, aber die Gefühlslage spiegelte: Der Mainzer Giulio Donati hatte beim Anblick des verletzten Kohr Tränen in den Augen.

Für ihr Urteil bewerten die Sportrichter nicht nur die Schwere des Fouls, sondern auch die Vorgeschichte des Spielers. Geis kam im Vorjahr zugute, dass er in seiner Karriere als Profi zuvor noch nie vom Platz gestellt worden war. Rodríguez, spanischer U 21-Nationalspieler, ist im Sommer von Galatasaray Istanbul nach Mainz gewechselt, der bislang einzige Platzverweis seiner Karriere war eine gelb-rote Karte in einem Spiel für die zweite Mannschaft von Real Madrid, dem Ausbildungsverein des zentralen Mittelfeldspielers. Schmidt erklärte, in einem Gespräch ergründen zu wollen, "warum der Bursche so reagiert hat"; er vermutete Frust und ungesunden Ehrgeiz, da Rodríguez zuletzt nicht zum Mainzer Kader gehört hatte. Seine Einwechslung in der 85. Minute war sein Bundesliga-Debüt. Fouls wie das am Sonntag verraten eben zweierlei über den Fußball; über dessen manchmal raue Sitten und ein wenig auch über den Druck, unter dem die Spieler stehen. Rodríguez kostete Mainz geschätzte 2,15 Millionen Euro Ablöse.

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Ähnlich hoch dürfte der Marktwert von Dominik Kohr sein. Der gebürtige Trierer, 22, in der Jugend von Bayer Leverkusen gereift, hatte sich schon unter Markus Weinzierl zum Stammspieler entwickelt, unter Dirk Schuster nimmt er eine zentrale Rolle ein, im defensiven Mittelfeld ist er eine Art Kleber zwischen den Mannschaftsteilen - auch am Sonntag setzte er ein paar der wenigen Akzente in einer ansonsten schwachen Augsburger Mannschaft. Er sei "froh, dass es kein Bruch ist", wurde Kohr in der Vereinsmitteilung zitiert, "ich werde den Blick nach vorne richten". Glücklicherweise haben Fouls ja oft eine zweite Geschichte: André Hahn spielt wieder, 31 Jahre später haben sich Lienen und Siegmann versöhnt.

Und am Montag stellte Mainz 05 ein Bild ins Netz, auf dem die Spieler Schilder mit drei Wörtern halten: "Gute Besserung Dominik!" Ein Schild hält José Rodríguez.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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