Formel 1:Gedränge im Tempel

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Alonsos Sieg in Italien zeigt, wie kurios die Formel-1-Saison verläuft: In die finalen fünf Rennen gehen fünf Titelkandidaten. Sebastian Vettel gehört dazu.

René Hofmann

Es gibt viele Rennstrecken auf der Welt. An den meisten stehen nüchterne Zweckbauten, hellgraue Gebäude neben dunkelgrauem Asphalt. Das Autodromo Nazionale in Monza ist da anders. Seine dunkelgraue Asphaltschleife schlängelt sich durch einen schattigen Park, in dem noch uralte Steilkurven aufragen. Auf keinem anderen Kurs wurden ähnliche viele Formel-1-Rennen ausgetragen. "Das ist einer der ganz, ganz wenigen Orte, an dem man die Geschichte des Motorsports spürt", sagt der Brite Lewis Hamilton, 25. Die Faszination wirkt generationenübergreifend. Der Italiener Jarno Trulli, 36, nennt das Autodromo mit seinen langen Geraden sogar einen "Tempel des Motorsports". Da schwingt Ehrfurcht mit.

In Monza dominierten plötzlich die Roten: Fernando Alonso gewann im Ferrari, sein Teamkollege Felipe Massa wurde Dritter. (Foto: dpa)

Sport - das hat auch viel mit Spektakel zu tun, und manchmal geht es dabei zu wie im Theater: Gelegentlich gewinnen die Stücke, die gegeben werden, allein durch die Bühne, auf der sie spielen. Der Große Preis von Italien an diesem Sonntag war so ein Stück: Es war ein fesselndes Rennen, es bot ein frühes Drama, einen packenden Spannungsbogen, einige überraschende Wendungen - und ein Resultat, das Lust weckte auf mehr.

Lewis Hamilton (McLaren), Mark Webber, Sebastian Vettel (beide Red Bull), Jenson Button (McLaren) und Fernando Alonso (Ferrari), die die WM-Wertung vor dem 14.Rennen in dieser Reihenfolge angeführt hatten, wurden in dem Grand Prix genau in der umgekehrten Reihenfolge belohnt: Alonso holte als Sieger die maximal möglichen 25 Punkte, Button kam als Zweiter auf 18, Vettel verkürzte als Vierter den Rückstand auf seinen Teamkollegen Webber, der als Sechster die WM-Spitze übernahm, knapp vor Hamilton, der schon in der ersten Runde ausschied.

Einmalig im Farbfernsehen

In die letzten fünf WM-Rennen geht es somit in einer Konstellation, die es in der Rennserie noch nicht gegeben hat, seit sie im Farbfernsehen läuft: Fünf Fahrer und drei Teams dürfen Titel-Hoffnungen hegen. Für Jenson Button, den Titelverteidiger, steht fest: "Diese Saison wird als eine der besten in die Geschichte eingehen. Es macht Spaß, daran beteiligt zu sein."

Der Spaß speist sich auch aus dem völlig untypischen Verlauf der Saison: Immer, wenn es den Anschein hat, dass sich ein Muster im Kräfteverhältnis gebildet hat, gerät das bei der nächsten Veranstaltung schon wieder durcheinander. Im Motorsport-Tempel war das besonders schön zu beobachten - an den Reaktionen der Protagonisten.

Da war Lewis Hamilton, zwei Wochen zuvor in Spa-Francorchamps noch der umrauschte Sieger. Er hatte sich verzockt. Die Abstimmung, die Hamilton für sein Auto gewählt hatte, brachte ihn lediglich auf Startplatz fünf. Mittendrin im üblichen Kuddelmuddel, das sich an einer der ersten Schikanen bildete, riskierte Hamilton dann zu viel, geriet mit Ferrari-Fahrer Felipe Massa aneinander und musste seinen McLaren mit geknickter Radaufhängung abstellen. Zurück im Fahrerlager wollte Hamilton seinen Helm zunächst gar nicht absetzen. Lange verkroch er sich hinter den Rauchglasscheiben des Motorhomes. Als er von dort wieder auftauchte, gestand er kleinlaut: "Mein Fehler." Der McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh sprang eilig tröstend hinzu: "Es wäre falsch, wenn er seine Herangehensweise jetzt ändern würde", sagte er.

Sebastian Vettel wahrte in Monza seine Titelchance. Der Heppenheimer wurde Vierter. (Foto: dpa)

Nach seinen Fehlern in Ungarn und in Belgien hatte Sebastian Vettel noch ähnliches zu hören bekommen. Im Park von Monza zeigte er, dass er es beherzigt hatte. Vettels Jagd von Platz sechs an der Startampel auf Rang vier an der Zielflagge glich einem Husarenritt. Dass er sich von den bis Montag immer noch nicht geklärten, kurzzeitigen Aussetzern seines Renault-Motors nicht aus dem Konzept bringen ließ, war eine fahrerische Meisterleistung. Den Pflicht-Reifenwechsel bis in die letzte Runde hinauszuzögern, eine taktische.

Pantomime Vettel

Vettel hätte nach dem Rennen gar nichts sagen müssen. Seinen Gemütszustand hätte er auch pantomimisch übermitteln können. Die Körpersprache des 23-Jährigen sagte alles: breite Brust, breites Kreuz - so sehen jugendliche Angreifer aus. Teamkollege Mark Webber, ohnehin schon 34, wirkte hingegen um Jahre gealtert. Der Australier hatte viel Zeit und so wichtige Punkte verloren, weil er lange hinter Nico Hülkenberg im Williams festhing. Hülkenberg nahm eine Schikane einige Male nicht so, wie vorgesehen. Die Rennkommissare aber ließen den 23-Jährigen gewähren, was Webber gar nicht lustig fand: "Ich weiß nicht, auf welchem Kurs der gefahren ist", zürnte er über Hülkenbergs Linienwahl, was erste Anzeichen einer aufkeimenden Verspannung erkennen ließ, wie sie für Titelkandidaten typisch ist.

Auch Button wirkte als Zweiter nicht wirklich glücklich. Der 30-Jährige hat zwar ein geübtes, breites Grinsen, aber seine Stimme verriet, dass er mit der McLaren-Taktik unzufrieden war: "War das wirklich klug?", hatte Button am Funk gefragt, als ihn sein Ingenieur vor Alonso zum Reifenwechsel einbestellt hatte. Die Antwort erhielt er kurz darauf auf der Strecke: Es war nicht klug gewesen. Alonso, der Meister der Jahre 2005 und 2006, legte einen Zwischenspurt ein und kam so vorbei zum Sieg, zu einem Grinsen, einer breiten Brust und der Erkenntnis: "Das zeigt, was ein Rennen alles verändern kann."

© SZ vom 14.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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