Verstappen-Sieg in der Formel 1:König von Holland

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So gewinnt man sein Heimrennen: Max Verstappen mit der niederländischen Flagge. (Foto: Dan Mullan/Getty Images)

Heimsieg vor 75 000 Zuschauern: Max Verstappen gewinnt vor Lewis Hamilton und erkämpft sich die WM-Führung zurück - für einen kuriosen Abschlussgag sorgt Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas.

Von Philipp Schneider, Zandvoort

Ein letztes Mal lenkte Max Verstappen seinen Wagen in die finale Rechtsbiege, die sie in Zandvoort zu einer Steilkurve angeschüttet haben. 18 Grad, das ist ordentlich schräg. Der Niederländer spürte noch einmal die Fliehkräfte, die ihn nun mit mehr als dem Fünffachen seines Körpergewichts in den Sitz drückten. Aber als ihn die Arie Luyendijkbocht wieder rausspuckte auf die Schlussgerade, hinein in ein orangenes Meer von glücksbetrunkenen Niederländern, wird sich Verstappen gefühlt haben, als wäre er schwerelos.

Links von ihm zündeten die Zuschauer Pyrofackeln, rechts jubelten ihm die Team-Mitglieder von Red Bull zu. Und als dann zum ersten Mal ein Niederländer einen Großen Preis der Niederlande gewonnen hatte, als König Willem-Alexander und Königin Maxima stramm standen bei der Hymne, da vergaß man gerne die Tatsache, dass soeben die ersten fünf Piloten in exakt derselben Reihenfolge ins Ziel gerollt waren, in der sie gestartet waren. Hinter Verstappen folgten die Silberpfeile von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas, der Alpha Tauri von Pierre Gasly und der Ferrari von Charles Leclerc. Sebastian Vettel wurde 13., Mick Schumacher 18.

Formel 1
:Verstappen gewinnt sein Heimrennen in Zandvoort

Der Niederländer siegt beim Grand Prix im eigenen Land und holt sich die WM-Führung zurück. Lewis Hamilton bleibt nur Platz zwei - die Deutschen enttäuschen.

Diese neue Rennstrecke in den Dünen, die das ganze Wochenende lang so viele Abflüge, Dreher und Sensationen bereitgehalten hatte, bescherte den Zuschauern die größte Pointe am Sonntag. Indem sie nämlich ausgerechnet im Rennen die perfekte Bühne bot für die unspektakulärste Sause der bisherigen Saison. Waren am Freitag und Samstag sechsmal rote Flaggen geschwenkt worden - viermal im Training, zweimal in der Qualifikation -, bot der Große Preis der Niederlande (abgesehen von einem kleinen Dreher von Sebastian Vettel in einer der Steilkurven) diesmal eine Prozession. Den Hauch von Spannung warf gegen Ende allein die Frage auf, ob Hamilton auf mittelharten Reifen dazu in der Lage sein würde, den Vorsprung von Verstappen aufzuholen, der auf harten Gummis kreiste, ohne dass diese platzen würden. Nun: Es gelang ihm nicht.

Das wahre Spektakel tobte auf den Tribünen beim ersten Disco-Grand-Prix in der Formel-1-Geschichte

Verstappen übernahm mit dem Sieg in Zandvoort auch wieder die Gesamtwertung, er wandelte drei Punkte Rückstand in drei Punkte Führung um. "Es ist unglaublich", sagte er: "Die Erwartungen waren sehr groß, es war nicht so einfach, ihnen gerecht zu werden. Aber am Ende war es ein wundervoller Tag mit diesem Ergebnis und dem Publikum." Und Hamilton sagte: "Sie waren heute definitiv schneller. Wir konnten nichts dagegen machen."

Eine halbe Nation im Rücken: Max Verstappen behauptet beim Heim-Grand-Prix in Zandvoort vor 70 000 elektrisierten Zuschauern vom Start weg seine Führung - und rückt diese bis ins Ziel nicht mehr entscheidend heraus. (Foto: Peter Dejong/AP)

Das wahre Spektakel tobte auf den Tribünen. Am Sonntag schien es so zu sein, als versammle sich eine ganze Nation hinter einem Rennfahrer. Wie die Deutschen einst Michael Schumacher in ihre Wohnzimmer ließen, wie sich die Spanier in Fernando Alonso verliebten, so standen nun die Niederländer hinter Max Verstappen. Und der gewann nicht nur den ersten Großen Preis der Niederlande seit 36 Jahren. Er gewann auch den ersten Disco-Grand-Prix in der Geschichte der Formel 1. Zeitweise wummerten in den Dünen von Zandvoort die Bässe der DJs lauter als die Motoren.

Auf den Tribünen hatte schon am Vormittag geweldige volksfeeststemming geherrscht, wie sie in den Niederlanden sagen. In ihrem Ausmaß erinnerte sie an einen der wilderen Tage aus dem vorpandemischen Zeitalter. Die 75 000 rund um die Uhr Unmaskierten lagen sich auf den Bühnen in den Armen wie am Vorabend in den umliegenden Strandbars; sie hüpften, hielten bunte Schilder in die Luft, um in einer ansehnlichen Choreografie die niederländische Trikolore nachzubilden. Dazu schmetterten sie "Hey Jude" von den Beatles, gerne auch Schlager mit einem Text, die auch an der Schinkenstraße auf Mallorca auf Liebhaber getroffen wären.

Dann gingen die Ampeln aus und der Pole-Setter Verstappen zog gleich davon. Als er aus der ersten Biege herausbeschleunigte, hatte er schon einen kleinen Vorsprung auf Hamilton herausgefahren, der auch nicht schlecht gestartet war. Für das größte Spektakel sorgten zunächst mal wieder Mick Schumacher und Nikita Masepin am Ende des Feldes.

Max Verstappen saust in seinem Red Bull an den Fans vorbei. (Foto: Hasan Bratic/dpa)

Schon am Vortag in der Qualifikation hatten sich die Haas-Piloten ein merkwürdiges Elefantenduell um den vorletzten Startplatz geliefert und dabei den Verkehr blockiert. Masepin hatte anschließend öffentlich gepoltert ("Ich mag es nicht, wenn jemand dreist ist!"); er war der Überzeugung, Schumacher hätte ihn laut einer Absprache nicht überholen dürfen. Der allerdings konterte sachlich, er habe über Funk die Erlaubnis erhalten für das Überholmanöver, um sich die Reifen besser aufzuwärmen. Nun also lief das Rennen, Masepin drängte Schumacher in Richtung Boxengasse, dabei demolierte er ihm den Frontflügel. Schumacher musste früh an die Box und ihn tauschen - und wurde schon in der achten Umdrehung von Verstappen überrundet. "Es war ein hartes Manöver", gab Masepin später zu bei Sky, "aber so soll es ja auch sein." Später schied er mit einem Schaden aus. Das sollte dann wohl auch so sein.

Sebastian Vettel, der von dem Gerangel der Haas-Piloten am Samstag ausgebremst worden war und daher nur als 15. losrollte, fuhr genau wie Perez früh an die Box und legte sich auf multiple Reifenwechsel fest. Irgendetwas musste er ja anders machen, um sich nach vorne zu kämpfen.

Als Hamilton dämmert, dass die Strategie nicht aufgehen würde, beginnt er zu schimpfen

An der Spitze hatte sich nach 20 Runden die Reihenfolge der ersten Sechs nicht verändert. Eine Umrundung später kam Hamilton als erster Fahrer aus der Spitzengruppe zum Reifenwechsel. 3,6 Sekunden brauchten seine Mechaniker für den Service, eine schlechte Zeit. Eine Runde später hielt Verstappen, seine Techniker erledigten ihren Job 0,6 Sekunden rasanter. Ganz vorne kreiste vorübergehend Bottas mit zehn Sekunden Vorsprung auf den Local Hero. Doch sein Vorsprung verflog auf den gebrauchten Pneus wie der Dünensand in der Meeresbrise. Sieben Runden nach seinem Stopp tauchte Verstappen formatfüllend in Bottas' Rückspiegel auf, in Umdrehung 30 schoss er vorbei. Bottas machte sofort auch für Hamilton brav Platz. Er hatte Verstappen nicht wirklich aufgehalten, doch nun durfte er immerhin endlich an seine Box, um sich frische Reifen abzuholen.

Das Podest in Zandvoort: Max Verstappen (Mitte), daneben Lewis Hamilton (links) und Valtteri Bottas. (Foto: Francisco Seco/Reuters)

Nach 39 Runden hielt Hamilton ein zweites Mal. Standzeit: 2,5 Sekunden. Und wieder konterte Red Bull unmittelbar: 2,1 Sekunden für Verstappen. Weil Hamilton nach seiner Ausfahrt auch noch in den Verkehr geriet, bestand seine letzte Hoffnung nun darin, auf den mittelweichen Reifen den Vorsprung auf Verstappen wettzumachen. Als ihm dämmerte, dass die Strategie nicht aufgehen würde, begann er im Funk zu schimpfen. Während er fluchte und zankte, fuhr er immer dichter heran an Verstappen, legte zunächst reihenweise schnellste Runden vor. Doch dann musste er vom Gas und in den Schonmodus wechseln.

Für einen kleinen Scherz sorgte am Ende noch Bottas. Bevor Anfang kommender Woche sein Wechsel vermeldet werden soll, wohl zu Alfa Romeo, schnappte er seinem Teamkollegen Hamilton kurz vor Schluss die schnellste Rennrunde weg. Der holte sie sich aber noch zurück und damit auch einen Extrapunkt - im letzten Versuch. Er habe, sagte Bottas später, "dem Team die schnellste Runde sichern" wollen. Und gegen Ende der Umdrehung sogar ein bisschen den Fuß vom Gas genommen.

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