Die letzten fünf Runden eines Großen Preises der Niederlande, der schon lange zugunsten von Max Verstappen entschieden schien, brachten noch einmal das, was die Formel 1 von vielen Serien unterscheidet und so faszinierend macht: pures, raues Rennfahren. Die Strecke in Zandvoort war samt ihren beiden Steilkurven nach einem Wolkenbruch und einer dreiviertelstündigen Unterbrechung immer noch nass, die Reifen an den Autos noch nicht richtig aufgewärmt. Verstappen führte die Prozession hinter dem Safety Car an, lauerte auf den richtigen Moment, das Tempo anzuziehen, als die Strecke wieder freigegeben war.
Hinter sich konnte er Fernando Alonso im Aston Martin förmlich fühlen. Urplötzlich gab Verstappen Gas, aber der Verfolger ließ sich nicht überrumpeln, Alonso hatte sich während der Unterbrechung zuvor genau überlegt, wo er den Spitzenreiter angreifen könnte. Er machte es deshalb genau anders als Verstappen. "Ich bin andere Linien gefahren, in der Hoffnung, mehr Grip zu finden als er, und ihn dann zu überholen", erzählte er später.
Formel 1:Verstappen trotzt dem Nordsee-Regen
Abbruch, Wiederaufnahme, Regen und Wind: Das Formel-1-Rennen in Zandvoort an der niederländischen Küste macht fast allen Fahrern zu schaffen - nur nicht Max Verstappen. Der gewinnt unverdrossen weiter.
Ein paar Kurven lang erstarb der Dauer-Jubel der 100 000 Zuschauer in Oranje, das Staunen prägte die Mimik der Gesichter. Verstappen und Alonso wedelten synchron zwischen den Pfützen hindurch, überall lauerte das Aus bei der kleinsten falschen Lenkbewegung. Alles oder Gischt! Dazu die Gefahr, sich vom Gegner übertölpeln zu lassen.
Es war die spannendste der 72 Runden, vielleicht sogar die aufregendste des bisherigen Rennjahres. Denn erstmals hatte der Red-Bull-Pilot einen Gegner auf Augenhöhe, und das unter diesen dramatischen Umständen. Erst nach einer Runde konnte Verstappen dem Griff Alonsos entwischen, sich absetzen und dem neunten Grand-Prix-Sieg in Serie entgegenfahren: "Ich musste diese erste Runde überleben", sagte Verstappen: "Als die Reifen auf Temperatur waren, hatte ich wieder alles im Griff."
Mercedes zieht Weltmeister Hamilton als einzigem im Feld die falschen Reifen auf
"Risikomanagement" nannte der Sieger später seine Glanzleistung hinterm Lenkrad, abstrakter und treffender zugleich lässt sich das kaum ausdrücken. Natürlich braucht es im Regenchaos Glück, aber ohne extremes Fahrgefühl und einen ausgeprägten Instinkt geht es trotzdem nicht. Deshalb war es kein Zufall, dass sich Verstappen und Alonso am Ende duellieren konnten. Wäre die Mercedes-Taktik nicht so furchtbar in die Hose gegangen, hätte auch Lewis Hamilton vorne mitmischen können, er schaffte es vom zwischenzeitlich letzten Platz noch auf Rang sechs.
Als Einziger im Feld am Anfang die falschen Reifen auf den Felgen zu haben, brachte bei Rekordweltmeister Hamilton die "Hammer-Time" hervor: "Danach habe ich einfach die Ärmel hochgekrempelt und mich auf die Jagd begeben. Wenn du stolperst, musst du wieder aufstehen." Das Einzige, das den Briten ärgerte, war die Antwort auf die Frage: "Was hätte sein können, wenn..."
Ideallinien verlaufen nur in der Theorie immer geradeaus, bei launischen Witterungsverhältnissen geht es auch ums Anpassungsvermögen. Eine Fähigkeit, die die ganz Großen auszeichnet. Fernando Alonso ist darin meisterlich, gestählt aus den Titelkämpfen einst mit Michael Schumacher, die er zweimal für sich entscheiden konnte. Selten hat man den Spanier so gelöst erlebt wie nach dem zweiten Platz von Zandvoort, der ein Zwischentief für das Überraschungsteam von Aston Martin beendet. Dass er Verstappen zum Schluss an den Rand einer Niederlage bringen konnte, münzte er noch in der Auslaufrunde zu einer Kampfansage um: "Wir werden bald gewinnen."
Alonso verteilt ungewohnte Komplimente an Verstappen
Zunächst aber verteilte der Asturier ungewohnte Komplimente an den Gegner, selbst noch ganz gefangen in der Dramatik der Schlussphase: "Was Max aktuell abliefert, ist sensationell. Meiner Meinung nach wird es unterschätzt, wie großartig diese Leistung ist. So dominant in einem Sport wie diesem zu sein, das ist kompliziert, kein Selbstgänger. Ganz im Gegenteil!"
Die Kontrolle des Rennwagens, selbst eines so überlegenen, hat auch viel mit Selbstkontrolle zu tun. Und es unterstreicht erneut, wie sehr Max Verstappen in den vergangenen beiden Jahren gereift ist. Gewachsen mit jedem Sieg, und in der Rolle des Anführers. "In der Zeit, in der ich nicht um den Titel gekämpft habe, wäre ich unter Bedingungen wie diesen sicher anders gefahren", sagte Verstappen. Jetzt aber habe er alles mehr unter Kontrolle.
Angreifer Alonso wiederum, in Zandvoort zum Fahrer des Tages gewählt, zieht Befriedigung aus dem Duell mit dem Überflieger der Saison: "Mit Max auf einem Level fahren zu können, das gibt einem selbst eine Menge Selbstvertrauen." Übergreifender Stolz zwischen dem zweimaligen und dem bald dreimaligen Weltmeister. Alles eine Frage des richtigen Gefühls an diesem Tag.