McLaren in der Formel 1:Überraschung in Papaya

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Lando Norris und McLaren mischen die Formel 1 auf. (Foto: Erich Schlegel/USA Today Sport/Reuters)

McLaren drohte in der Versenkung zu verschwinden, doch der Rennstall erlebt ein wundersames Hoch: dank der Kniffe von CEO Zak Brown, zwei hochtalentierten Fahrern - und einem Teamchef, der schon Michael Schumacher half.

Von Elmar Brümmer, Austin

Die Absichten des McLaren-Rennstalls mit einem saloppen "sie haben es eilig" zu beschreiben, wäre eine unzulässige Verharmlosung für das, was den Formel-1-Dinosaurier in seiner Jubiläumssaison umtreibt. Beim Großen Preis von Katar vor zwei Wochen brauchte die Boxentruppe des ursprünglich neuseeländischen, aber längst britischen Rennstalls lediglich 1,8 Sekunden, um alle vier Räder am Rennwagen von Lando Norris zu wechseln. Eine unvorstellbar kurze Zeitspanne, die die bisherigen Rekordhalter von Red Bull Racing (1,82) entthronte. Natürlich gibt es für diese eindrucksvolle Vorführung an Perfektion keine Zähler in der WM-Wertung, aber eine Menge Pluspunkte fürs Selbstbewusstsein. Der Stellenwert entspricht in etwa der Verbesserung eines Weltrekords im 100-Meter-Lauf.

Das passt ins Gesamtbild: Vor dem Großen Preis der USA am Sonntagabend hat der papayafarbene Rennstall den Konkurrenten Aston Martin als Überraschung der Grand-Prix-Saison abgelöst. Im Prinzip lagen die besten Jahre längst hinter dem stolzen Rennstall, als der US-Amerikaner Zak Brown 2018 als CEO übernahm. Ein komplizierter Sanierungsfall, den er mit Hilfe des Regensburgers Andreas Seidl zu lösen begann. Bis Seidl im vergangenen Dezember von Audi abgeworben wurde. Was wie ein großer Dämpfer wirkte, war in Wirklichkeit ein Glücksfall. An die Spitze des Teams rückte der bisherige Technikchef Andrea Stella, und der ehemalige Ferrari-Ingenieur schaffte etwas, was in der Königsklasse als unmöglich galt: Innerhalb einer Saison aus einem Rennwagen, der hinterherfährt, ein Auto zu schaffen, das um Siege mitfährt. Ein Vorbild für das Championteam Mercedes, das diesem Ziel gerade erst näherkommt, nach langem Anlauf.

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Nach dem Frust folgt die rasende Lust. Pragmatiker Stella ließ sich nicht beirren, obwohl er für seine Umbauarbeiten keine erfahrenen Piloten zur Hand hatte, sondern in Lando Norris und Oscar Piastri das unerfahrenste Fahrerduo im ganzen Feld. Unbekümmert sind der Brite, der in Austin erst seinen 100. Grand Prix bestreitet, und der Rookie aus Australien allerdings nicht. Die beiden sind optimistische Ehrgeizlinge und zählen zu den größten Talenten, die dieser Sport momentan hat. Und plötzlich trennen McLaren nur noch elf Punkte von Aston Martin und dem vierten Platz, sogar der dritte Rang und Ferrari scheinen zumindest angreifbar. Einspruch Brown, selbstverständlich rein rhetorisch: "Wir kommen näher. Aber dazu brauchen wir ein kleines Wunder." Das große Wunder gab es schon zu Saisonbeginn, als aus acht Rennen lediglich 17 Punkte und kein einziger Podiumsplatz notiert werden konnten. Nun, beim 18. WM-Lauf, steht Lando Norris am Start neben dem Ferrari von Charles Leclerc auf Platz zwei in der ersten Reihe, Oscar Piastri hat gute Nach-vorne-Chancen als Zehnter.

Der US-Amerikaner Brown hat aber ähnliche Sorgen wie seine Kollegen bei Ferrari und Mercedes: zwei Piloten, die dem anderen keinen Millimeter Platz lassen wollen. Wahlweise echauffiert sich Britanniens neuer Liebling Norris über eine vermeintliche Benachteiligung bei der Taktik, oder Piastri behauptet, er sei der Schnellere der beiden. Eine Frage der Zeit, bis es kracht. Zurückgepfiffen werden die jungen Wilden nur im äußersten Notfall: "Sie setzen sich gegenseitig unter Druck, das ist gut für die beiden und gut fürs Team. Deshalb sollen sie weitermachen mit dem, was sie gerade tun - pushen!"

Lando Norris eröffnet schon die Jagd auf Red Bull

Der 23 Jahre alte Norris hat zuletzt dreimal hintereinander den dritten Platz geholt, der ein Jahr jüngere Piastri war Dritter, Zweiter und hat einen Sieg im Sprintrennen von Katar vor Weltmeister Max Verstappen geholt. "Für mich ein künftiger Weltmeister", sagt Brown, der den Australier im vergangenen Sommer in einer Nacht-und-Nebel-Situation bei Alpine losgeeist hatte. Die Grundschnelligkeit ist das, was beim Formel-1-Anfänger am meisten imponiert, zusammen mit seiner generellen Stärke im Rennen. Bei den Auszubildenden hat McLaren schon häufiger ein gutes Händchen gehabt, siehe Kimi Räikkönen oder Lewis Hamilton. Das Team mit den vielen Titeln - acht bei den Konstrukteuren, zwölf bei den Fahrern - hat eine lange Durststrecke hinter sich. Der letzte Mannschaftssieg stammt aus dem vergangenen Jahrtausend, der bislang letzte Fahrererfolg ist anderthalb Jahrzehnte her.

Teamchef Andrea Stella hat die Fehler im McLaren-System gefunden und behoben. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Andrea Stella hatte, als er von Brown zum Transformator gemacht wurde, nur einen Auftrag: "Du musst nach den Wurzeln unseres Misserfolgs graben." Er hat ziemlich tief gegraben, dann das Konzept geändert und Stufe für Stufe an der Leistungssteigerung gearbeitet. Mit schnellen Aufstiegen kennt er sich aus: Direkt nach dem Studium heuerte er beim Testteam von Ferrari an, drei Jahre später stand er Michael Schumacher als Ingenieur zur Seite und gestaltete so die erfolgreichsten Zeiten der Scuderia entscheidend mit.

Die Verantwortung für den Aufschwung teilen sich drei Techniker, aber der 52 Jahre alte Italiener ist der, der das letzte Wort hat. Der Teamchef wirkt zwar umgänglich, ist aber hart in der Sache. Im Januar bekommt er mit dem von Ferrari abgeworbenen Performance-Ingenieur David Sanchez eine weitere Stütze. Entscheidend für den großen Sprung ist aber die Qualität des neuen, hauseigenen Windkanals. Bis dato mussten die Aerodynamiker immer nach Köln reisen, um zu testen. Da blieb viel an Potenzial auf der Strecke. Lando Norris ist sicher, dass das derzeitige Leistungshoch keine Luftnummer ist. In Katar kündigte er über Boxenfunk an: "Red Bull, wir kommen."

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