Formel 1:Ein Notfallplan und viele Fragen

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Vorbei an Hängen und Wiesen: Charles Leclerc (l.) und Valtteri Bottas beim Österreich-GP 2019. (Foto: dpa)

Schon im Juli soll in Österreich die Formel-1-Saison ohne Zuschauer starten. Ziel sind 15 bis 18 Grand Prix in diesem Jahr - das Vorhaben klingt manchmal leicht weltfremd.

Von Philipp Schneider, München

Die Gemeinde Spielberg, nördlich der Mur im östlichen Teil des Aichfeldes gelegen, zwischen den Städten Zeltweg und Knittelfeld, war schon immer ein recht ungewöhnlicher Ort, um dort Autorennen zu veranstalten. An ungewöhnlichen Orten geschehen mitunter skurrile Dinge. So war es bereits 1961, als der Rennbetrieb in der Steiermark gerade Fahrt aufnahm und der Sieger noch in der Nacht nach dem Erfolg auf den Kirchturm von Judenburg kletterte. Für Rennfahrer Innes Ireland war das keine große Sache, relativierten die österreichischen Journalisten, der Mann aus Schottland gehe halt gern auf Kirchtürmen in die Höh, was in seiner Heimat ohne Polizei ablaufe. Sofern nicht auch die Glocken in Bewegung gerieten.

Was nun die Bewohner Spielbergs 59 Jahre später rund um den 4. Juli auf der Rennstrecke am Fuße des Schönbergs erwartet, dürfte Irelands Kirchturmbesteigung auf der Kuriositätenskala verdrängen: Die Formel 1 schleppt Rennwagen ins Gebirge und lässt sie zwischen sattgrünen Wiesen und gleichgültigen Kühen unter Ausschluss der Zuschauer kreisen, um immerhin die TV-Bilder einer Formel-1-Saison zu verkaufen. Das ist jetzt der Plan. Es geht ums wirtschaftliche Überleben.

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Wochenlang hat die Formel 1 mit Teams, Veranstaltern und Vertretern der Politik die Möglichkeit der Abhaltung sogenannter Geisterrennen diskutiert. Am Montag verschickte Chase Carey, Geschäftsführer der Formel 1, einen Brief, in dem das Vorhaben erstmals offiziell konkretisiert wurde. Und auch wenn dieser Notfallplan noch immer mehr Fragen aufwirft als beantwortet, wird klar: Sie wollen nicht nur die Geister beschwören in der Steiermark. Sie wollen die Saison im Corona-Jahr 2020 so weit es geht durchziehen und bis zu einem in den Dezember verschobenen Saisonfinale in Abu Dhabi sogar 15 bis 18 Grand Prix veranstalten.

Der Formel 1 geht es wie der Lufthansa. Sie verdient nur Geld, wenn sie ihre Fahrzeuge bewegt. Andreas Seidl, Teamchef bei McLaren, hatte neulich gewarnt: "Wir müssen alle gemeinsam aufpassen, dass die Formel 1 nicht sehr bald einige Teams verliert." Geisterrennen bringen zumindest die vereinbarten Fernseheinnahmen und Teile der Sponsorengelder. Die Formel 1 verteilt sie dann über einen Schlüssel an die Teams.

Nur die ersten Rennen sollen im Juli und August in Europa stattfinden. Von September an werde es auch Rundfahrten auf anderen Kontinenten geben, schrieb Carey. Ein endgültiger Kalender solle sobald wie möglich veröffentlicht werden. Damit nicht genug: Er gebe "die Hoffnung nicht auf, dass wir im weiteren Verlauf des Jahres vielleicht Mittel und Wege finden könnten, dass die Fans wieder mehr ins Geschehen eingebunden werden könnten". Das klingt leicht weltfremd. Carey dürfte es aber sportlich gemeint haben.

Um auf die ambitionierte Zahl von 18 Veranstaltungen zu kommen, braucht der Notfallplan selbstverständlich ein paar Notfallideen: So würde die Formel 1 wohl nicht nur einmal den Berg hochbrettern bei Spielberg, sondern abermals am folgenden Wochenende. Das bestätigte Helmut Marko gegenüber Radio Ö3. Marko arbeitet als "Motorsportberater" von Dietrich Mateschitz, 75, genannt "Didi". Jener Milliardär, der nicht weit entfernt von Spielberg in Sankt Marein im Mürztal geboren wurde und danach nicht nur eine Aufputschbrause erfand und Formel-1-Teams ins Leben rief, sondern zugleich für 250 Millionen Euro den sogenannten "Red Bull Ring" in die Landschaft pflanzte.

Damit der Formel-1-Auftakt in diesen ansteckenden Wochen auf seiner Rennbahn stattfinden kann, wird Mateschitz seinen Einfluss zumindest nicht zurückgehalten haben. Kreativ ist er ja. Um die Formel 1 im Jahr 2014 zurück nach Österreich zu holen und den Widerstand der Anwohner zu brechen, machte er das Angebot, jeden Spielberger zu subventionieren, der sein Eigenheim streicht. "Alle behördlichen Auflagen werden jetzt schon erfüllt", frohlockte sein Berater Marko - nur noch jene auch in Deutschland von führenden Virologen gefürchtete zweite Infektionswelle könne die Rennen verhindern. Österreichs Sportminister und Vizekanzler Werner Kogler hatte gesagt, dass die Regierung einem Geisterrennen "nicht im Wege stehe".

Wie umgeht die Formel 1 Einreise- und Quarantänebestimmungen?

Die Formel 1 besitzt gegenüber dem Fußball den Vorteil, dass sich die Sportler beim Zweikampf nicht anstecken können. Gleichwohl sitzen die wenigsten Beteiligten alleine im Cockpit. Die Teams benötigen selbst im Notfallbetrieb Dutzende Mitarbeiter, vor allem Mechaniker und Ingenieure. Dazu stoßen noch Streckenposten, Rettungsteams, Ordner und die Mitarbeiter des Reifenherstellers. Wie er zwischen all diesen Menschen, die etwa Seite an Seite die Reifen wechseln, den angeratenen Sicherheitsabstand wahren möchte, verriet Carey nicht. Er verriet auch keine Details zur Überwindung von Einreiseverboten und Quarantänebestimmungen, die vielerorts herrschen, versprach aber: "Gesundheit und Sicherheit haben Priorität. Wir treiben die Pläne zur Durchführung eines WM-Laufs nur voran, wenn wir überzeugt sind, dass wir die Menschen schützen und das Risiko minimieren können."

Laut Helmut Marko sieht der Plan vor, dass nicht mehr als 2000 Personen anreisen zum Rennen. Auch keine Medienschaffenden sollen zugegen sein, abgesehen von den aus Sicht der Formel 1 systemrelevanten Experten, die für ein knarz- und flackerfreies TV-Signal sorgen müssen. Testkapazitäten würden zumindest in Österreich nicht übermäßig verknappt. Weil die Teams nur mit Mitarbeitern anreisten, die eine Bescheinigung bereits mitbrächten, sie seien Covid-19-negativ.

Carey verschickte seine Nachricht wenige Minuten nach der offiziellen Absage des Rennens in Frankreich, mit der zu rechnen gewesen war. Am 28. Juni darf in Le Castellet nicht gefahren werden, Staatschef Emmanuel Macron hatte zuvor alle Großveranstaltungen bis Mitte Juli verboten. Nach zwei Rennen in Spielberg zieht die Formel 1 weiter zum am 19. Juli geplanten Rennen in Silverstone. Dessen Veranstalter gaben nun bekannt, dass keine Zuschauer an der Strecke erlaubt seien. Würde die Rennwagen auch hier zweimal nacheinander kreisen, wären schon vier der geplanten 18 Rennen geschafft. "Eines muss klar sein: Alle unsere Pläne können sich ständig ändern", warnt Carey. Immerhin gibt es nun einen Plan.

Dieser Artikel ist zuerst am 28. April 2020 in der SZ erschienen.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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