Verhandlungen mit den Chefs der Formel 1 erfordern eine hohe Frustrationstoleranz der Gesprächspartner, das wusste Jorn Teske bereits, bevor nun der Nürburgring anstelle des Hockenheimrings den Zuschlag als Austragungsort für einen Grand Prix im Oktober erhielt. Er wusste es schon in den seligen Zeiten, als die Menschheit noch nicht von einer neuartigen Pandemie geplagt wurde. Teske ist seit vergangenem Herbst einer der Geschäftsführer der privaten Hockenheimring GmbH. Schon im Vorjahr saß er mit am Verhandlungstisch, als die Gespräche mit den Managern der Formel-1-Organisation Fom über die Austragung eines Rennens im Jahr 2020 scheiterten. Damals noch aus einem simplen Grund: Die Rennstrecke wollte als Ausrichter für die Miete des Fahrerfeldes höchstens rund 15 Millionen Euro entrichten, um einen Verlust auszuschließen.
Weil andere Kandidaten der Formel 1 viel mehr boten, folgte diese der Spur des Geldes: nach Hanoi in Vietnam, nach Zandvoort in den Niederlanden. Das war zumindest ihr Plan. Als jedoch das Coronavirus die Serie mit Wucht traf, mussten die ersten zehn Rennen abgesagt oder verschoben werden; Formel-1-Teams, an die die Miete des Fahrerfeldes weitergereicht wird, gerieten in finanzielle Schieflage. Und als klar war, dass auf absehbare Zeit nur Rennen ohne Zuschauer möglich sein würden, änderten sich auch die Spielregeln für die Streckenbetreiber: Denn ohne Einnahmen aus Ticketerlösen kann kein Promoter die Zahlung an die Formel 1 refinanzieren.
Formel 1:Ferrari ist nur noch gut genug für Witze
Während Lewis Hamilton unaufhaltsam seinem siebten Titel entgegeneilt, wird der Ton zwischen den Teamchefs rauer: Dass Ferrari so weit hinterherfährt, zieht den Wettbewerb insgesamt ins Lächerliche.
Bei den drei bislang in Spielberg und Budapest ausgetragenen Rennen verzichtete die Formel 1 notgedrungen auf die Gebühren der Streckenbetreiber und begnügte sich mit den Einnahmen aus TV- und Sponsoring-Verträgen. 15 Rennen müssen gefahren werden, erst dann zahlen die Vertragspartner die volle Summe.
Die Aussicht auf ein Rennen vor Zuschauern war verlockend
Als die Formel 1 in diesem Frühjahr eifrig loslegte, den ersten Teil ihres Notkalenders zu organisieren, war angesichts der neuen Spielregeln auch der Hockenheimring als Ort für ein sogenanntes Geisterrennen wieder interessant. Nach dem Motto: Wenn eh keiner was zahlt, kann auch gleich der Hockenheimring nichts zahlen! Die Verhandlungen, die Teske in den vergangenen Monaten mit Chase Carey führte, dem Statthalter des Rechtebesitzers Liberty Media, waren aus Teskes Sicht schon weit gediehen. Bis urplötzlich ein neuer Wettbewerber am Verhandlungstisch auftauchte: der Nürburgring. Und dieser Wettbewerber, so vermutet es Teske, konnte der Formel 1 etwas bieten, das der Hockenheimring nicht im Angebot hat: die Aussicht auf ein Rennen vor Zuschauern.
"Anfangs interessierten sie sich für einen Termin Ende Juli, dann für einen im September. Irgendwann ging es um den Oktober. Und erst im Zusammenhang mit diesem späten Termin kam erstmals die Frage nach Zuschauern auf", erzählt Teske. Diesem Wunsch konnte man nicht entsprechen. "Wir konnten keine verbindliche Aussage tätigen", sagt Teske. Die Corona-Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg schließen eine Veranstaltung vor mehr als 500 Zuschauern bis Ende Oktober aus. Ausnahme-Genehmigungen sind nicht vorgesehen. Teske hat trotzdem eine angefragt, aber bis zuletzt keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Erst kurz vor Abbruch der Verhandlungen mit der Formel 1 "sind wir plötzlich gefragt worden, ob am Nürburgring vor Zuschauern gefahren werden kann", sagt Teske - weswegen sich bei ihm nun nachdrücklich der Eindruck gefestigt hat, dass "die Hoffnung auf Zuschauer ausschlaggebend war" für die Absage, die den Hockenheimring in dieser Woche ereilt hat. Und den Zuschlag, den kurzfristig der Nürburgring erhielt.
Teske sagt: "Wenn es so sein sollte, dass wir aufgrund unterschiedlicher Länderverordnungen zu Corona leer ausgegangen sind, so wäre das ein Stück weit ernüchternd." Der WM-Lauf soll nun als "Großer Preis der Eifel" ausgetragen werden, als Renntag ist der 11. Oktober auserkoren. Sieben Jahre nach dem letzten Rennen am Nürburgring kehrt die Formel 1 damit auf die Strecke zurück.
Teskes Vermutung, am Nürburgring sei inmitten der Pandemie bereits freudig mit Eintrittskarten gewunken worden, wollte Pressesprecher Alexander Gerhard nicht kommentieren. Der Nürburgring sei allerdings "grundsätzlich" bestrebt, "daran zu arbeiten, dass Zuschauer wieder zugelassen werden". Also vor allem bei den fest in der Eifel eingeplanten Veranstaltungen: etwa dem GT-Masters oder dem 24- Stunden-Rennen.
Ausdrücklich erlaubt ist eine Großveranstaltung mit Zuschauern auch am Nürburgring (noch) nicht. Allerdings sieht die Zehnte Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz "Ausnahmegenehmigungen" vor, die in "begründeten Einzelfällen" erteilt werden können. Dass die Formel 1 nach jeder auch nur halbwegs gefüllten Tribüne greift, ist nachvollziehbar. Die Ticket-Erlöse kommen mittelbar ihr zugute. In einer (auch nicht perfekten) Welt ohne Pandemie zahlten die Streckenbetreiber nicht nur das Geld für die Miete des Fahrerfeldes. Sondern auch die Kosten für die Organisation des Grand Prix, die sich auf niedrige sechsstellige Beträge beliefen.
Nur wenn die Ticketeinnahmen der Veranstalter komplett entfallen, wäre die Formel 1 wohl bereit, auch diese Kosten zu übernehmen. Am Hockenheimring wären sie ganz sicher entfallen, am Nürburgring besteht aus Sicht der Formel 1 noch Hoffnung. "Wir sind in den Verhandlungen bei unserer Haltung geblieben, dass wir nicht auf Kosten sitzen bleiben dürfen", sagt Teske.
Der zweite Teil des Europa-Kalenders der Formel 1 ist nun fix: Zuletzt waren Mugello und Russland Mitte und Ende September bestätigt worden, die Rennen neun und zehn in der Notsaison. Das Rennen in der Eifel findet am 11. Oktober im Anschluss an die Wettfahrten in Sotschi statt. Dort soll erstmals vor Zuschauern gefahren werden - Putin macht das schon möglich. Zwei Wochen nach der Sause am Nürburgring gastiert die Formel 1 in Portimao, Portugal. Der Europa-Abschluss soll dann auf der Strecke in Imalo in Italien über die Bühne gehen.