Formel 1:Ferrari ist nur noch gut genug für Witze

Formel 1: Sebastian Vettel im Ferrari beim Großen Preis von Ungarn 2020

Sebastian Vettel: In Ungarn nicht gefährlich für Lewis Hamilton

(Foto: Getty Images)

Während Lewis Hamilton unaufhaltsam seinem siebten Titel entgegeneilt, wird der Ton zwischen den Teamchefs rauer: Dass Ferrari so weit hinterherfährt, zieht den Wettbewerb insgesamt ins Lächerliche.

Von Philipp Schneider

Irgendwann muss Lewis Hamilton beschlossen haben, dass es hin und wieder eines Zitates bedarf, um die eigene Leistung auf der angemessenen Ebene einzuhängen. Martin Luther King beispielsweise kramt er ganz gerne aus seinem Gedächtnis hervor, wenn er mit seinen Künsten soeben alle anderen Piloten wie Fahrschüler hat dastehen lassen.

Aber was ist das auch für ein Rennen gewesen! Einhundert Minuten lang hat Hamilton sein Auto auf der verregneten Piste balanciert, die einer Rutschbahn glich. Und nachdem er im Ziel angekommen war, musste er auf die zwei Ferraris noch eine Weile warten - er hatte ja beide überrundet. Hamilton, den fortan alle "King Lewis" nannten, stieg also aus seinem Auto und zitierte den echten King: "Entscheidend ist nicht, wo ein Mensch in Zeiten der Ruhe und Sicherheit steht, sondern wohin er sich in Zeiten der Herausforderung und Kämpfe stellt." Etwas übertrieben?

Der Tag, an dem Hamilton Ferrari die Schande erfahren lässt, zweimal überrundet zu werden, ist der 6. Juli 2008. Hamilton ist 23 damals. Er fährt den 26. Grand Prix in der Formel 1. Im McLaren. In Silverstone. In den roten Rennwagen sitzen: Kimi Räikkönen und Felipe Massa. Zwölf Jahre muss Hamilton danach warten, ehe es ihm wieder gelingt, beide Ferraris maximal zu erniedrigen. Dann ist etwas anders.

Als es am Sonntag nach seinem Start-Ziel-Sieg in Budapest so weit ist, da steigt er aus dem Mercedes und entschuldigt sich: "Ob ihr es glaubt oder nicht - ich musste ständig Druck machen!" Das Rennen lieferte diesmal nicht den Rahmen für Zitate, die von Herausforderungen und Kämpfen künden.

Ferrari ist nur noch gut genug für Witze.

Vor zwölf Jahren wurden die Italiener nur deshalb überrundet, weil sie bei Räikkönen, der Vierter wurde, im Regenpoker darauf setzten, dass die Strecke abtrocknen würde. Am Sonntag wurden sie überrundet, weil das Auto mal wieder nicht hinterherkam. Weil es schlicht zu langsam ist, ganz egal, ob es regnet, die Sonne vom Himmel brennt, es stürmt oder schneit. Oder wie es Vettel, der mit Platz sechs im dritten Rennen seine beste Saisonleistung erzielte, auf den Punkt brachte: "Unsere Normalität ist nicht gut genug."

Zumindest bei Vettels Teamkollegen Charles Leclerc, der Elfter wurde, unterlief Ferrari zwar auch am Sonntag ein Fehler beim Reifenwechsel. Als die Konkurrenten kurz nach dem Start von Mischreifen auf die mittelharten Trockenreifen wechselten, schraubten sie Leclerc die weichste Mischung an den Wagen, die danach schnell an Grip verlor. Dass Ferrari jedoch mit der Aufarbeitung dieses Schnitzers nicht allzu lang beschäftigt war, zeigt, wie groß die grundsätzlichen Sorgen in Maranello sind.

"Uns war vor dem Rennen klar, dass wir überrundet werden", sagte Vettel. Woher wussten sie das? In der Formel 1 lässt sich das ausrechnen: Auto A, das X Sekunden pro Runde langsamer ist als Auto B, wird nach Y Umdrehungen halt überrundet. So einfach ist das. Und so traurig, wenn Auto A ein Ferrari ist. Findet auch Teamchef Mattia Binotto. Über dessen Schicksal prognostiziert die Gazzetta dello Sport martialisch, es würden bald "Köpfe rollen".

Der ehemalige Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo warnte vor einer "mehrjährigen Krise" des Teams.

Wolff ärgert sich über eine "Bullshit-Story"

Binotto selbst, der neuerdings eine innere Liebe zur sprachlichen Melodramatik und Selbstkasteiung verspürt, sagte, nach einer "sehr langen Reise mit drei Rennen kehren wir nun nach Hause zurück". Diese lange Reise, die in Wahrheit von Spielberg nach Budapest führte und drei Wochen dauerte, habe eine Wahrheit über Ferrari zutage befördert, die "nicht akzeptabel" sei: "Wir müssen besser verstehen, wieso wir zu langsam sind."

Das wollen alle in der Formel 1. Zieht doch die Schwäche der schwarzen Pferde die Qualität des Wettbewerbs geradezu ins Lächerliche. Dies dürfte ein Grund sein, weswegen von Mercedes-Teamchef Toto Wolff seit dem Saisonstart in Spielberg ungewöhnlich spitze Sätze in Richtung Binotto zu hören sind. Er habe "keinen Grund, Mattia aufzumuntern", sagte Wolff schon nach dem ersten Rennen. Und in Budapest nahm er nun Bezug auf ein merkwürdiges Eingeständnis Binottos, die Scuderia habe zwar den Motor aufgrund diverser technischer Direktiven im Vorjahr umbauen müssen und dadurch Leistung eingebüßt. Also: einen nicht regelkonformen Motor, über den die Konkurrenten mutmaßen, er habe mehr Benzin verbrannt als erlaubt, wieder zurückbauen müssen. Allerdings, das sagte Binotto auch, seien davon auch andere Motorenhersteller betroffen.

Eine "Bullshit-Story" sei das, ärgerte sich Wolff. "Wenn man sich an die Regeln gehalten hat", sei der Inhalt der Direktiven ohnehin immer klar gewesen. Und es sei auch so: Der offensichtlich nicht regelkonforme und bärenstarke Motor Ferraris habe Mercedes im Vorjahr überhaupt erst dazu getrieben, noch härter zu arbeiten, um die Lücke zu schließen. "Es hat uns an den Rand eines Burn-outs getrieben, so schnell zu entwickeln, um mithalten zu können", sagte Wolff - und ließ eine bitterböse Conclusio folgen: "Wir haben einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht, und das taten wir, weil das aufgrund des Vorjahres notwendig schien. Das finde ich etwas ironisch." Sollte Wolffs Theorie stimmen, wäre der Motor von Ferrari aus demselben Grund langsamer geworden wie der von Mercedes schneller. Und die Kluft größer.

Dass auch Red Bull sie nicht dauerhaft zu schließen vermag, gehört zum Drama dieser Saison. Irgendwas stimmt im Team von Christian Horner mit der Aerodynamik nicht: Das Auto ließe sich kaum beherrschen, klagten die Piloten. Dafür zeigten Red Bulls Mechaniker kurz vor dem Rennstart, wie sich ein Auto in Windeseile zerlegen und reparieren lässt - und das dafür nicht einmal eine Garage nötig ist. Auf der Start-und Zielgeraden schraubten sie an Max Verstappens Dienstwagen, den dieser auf dem Weg in die Startaufstellung in die Barrikaden gerammt hatte. Bei einer 20-minütigen Notoperation, die sonst anderthalb Stunden dauert. Der Fahrer dankte ihnen ihren Eifer mit einer kolossalen Fahrt, die auf Platz zwei endete. Und die aber wohl mehr über die Qualitäten des Piloten verriet als über jene seines Autos.

30 Punkte beträgt Verstappens Rückstand auf Hamilton bereits. "Das ist nichts", rechnete Toto Wolff all jenen vor, die ihre Hoffnung auf ein spannendes WM-Duell längst haben fahren lassen wie Hamilton seinen Wagen in Budapest: "Da reicht ein Ausfall, und Verstappen gewinnt ein Rennen, und der Vorsprung ist weg." Die nächste Ausfahrt der Formel 1 ist allerdings Silverstone. In seiner Heimat soll Lewis Hamilton ganz gerne überrunden.

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