Ferrari-Sieg in Monza:Leclerc erfüllt sich Vettels Traum

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Lässt von seinem Team feiern: Charles Leclerc. (Foto: AFP)
  • Charles Leclerc gewinnt das Rennen von Monza vor Valtteri Bottas und Lewis Hamilton.
  • Der junge Pilot profitiert aber auch von einer glimpflichen Entscheidung der Rennrichter.
  • Sebastian Vettel unterläuft ein folgenschwerer Fehler - er bleibt ohne Punkte und fällt in der Gesamtwertung hinter den Teamkollegen.

Von Philipp Schneider, Monza

Die Rennkommissare waren ungewöhnlich gnädig gestimmt am Sonntag in Monza, anders ließ sich die Szene wahrlich nicht deuten. Es lief die 36. Runde im Autodromo Nazionale, als sich Charles Leclerc mit seinem Ferrari eine kleine Abkürzung genehmigte. Nach einem Verbremser fuhr er in der ersten Schikane geradeaus, er rumpelte mit den Reifen über die Randsteine. Leclerc war zu diesem Zeitpunkt schon verwarnt worden von den Kommissaren, er hatte die schwarz-weiße Flagge gesehen, eine Art gelbe Karte des Motorsports, nachdem er ein paar Runden vorher Lewis Hamilton und dessen Silberpfeil abgedrängt hatte in der zweiten Schikane. Hamilton kurvte nun brav weiter auf dem Asphalt durch die Passage, sprach aber Worte des Protests in sein Mikrofon: "Das gefährliche Fahren geht weiter!" Doch er blieb hinter dem weiterhin unbestraften Monegassen, der sich kurz darauf von einem Meer aus rot gewandeten Menschen feiern ließ.

"Yes! Yes! Yes!", rief Leclerc nach der Zieldurchfahrt. Dann zog er sich den Helm ab, sagte auf Englisch, er sei noch nie so müde gewesen, und fragte: "Darf ich auf Italienisch weiterreden?" Er durfte. Leclerc hat schon in seinem ersten Jahr bei der Scuderia ein gutes Gespür dafür, was die Italiener sehen und auch hören wollen. Nachdem ja in den Jahren zuvor in Monza sehr viel Englisch gesprochen worden war vom dortigen Seriensieger Hamilton.

Leclerc erlöst die Tifosi

Zugegeben, das war nun eine ganz wunderbare Geschichte, und sie machte die Nachsicht der Kommissare ein wenig erträglicher: Charles Leclerc, der vor einer Woche in Spa seinen ersten Rennsieg in der Formel 1 unter sehr traurigen Umständen erlebt hatte, er erlöste nun sieben Tagen später die seit 2010 nach einem Ferrari-Heimsieg dürstenden Tifosi in Monza. Weil Lewis Hamilton in der ersten Schikane ebenfalls ein Fahrfehler unterlief und er durch den Notausgang rollte, wurde der Brite nur Dritter. Den zweiten Platz schnappte sich sein Teamkollege Valtteri Bottas, der es kurz vor Schluss fast noch an Leclerc vorbeigeschafft hätte. Wäre ihm nicht auch noch ein Verbremser unterlaufen, und zwar, man ahnt es vielleicht, in der ersten Schikane.

Und wo war Sebastian Vettel? Er rollte nur als 13. ins Ziel, mit mehr als einer Runde Rückstand auf seinen Teamkollegen. Nach einem frühen Abflug im Rennen - und einer angemessen harten Bestrafung.

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"Es war ein guter Tag fürs Team, aber ein schlechter für mich", sagte Vettel, er sei nicht zufrieden mit seiner Leistung. Ausgerechnet beim Heimrennen der Scuderia Ferrari hat ihn Leclerc zum ersten Mal auch in der Gesamtwertung überholt. Er hat nun 13 Punkte mehr und übernimmt von Vettel auch Rang vier im Klassement. Der stets freundliche und vor allem diplomatische Teamchef Mattia Binotto wollte einen hierarchischen Absturz des viermaligen Weltmeisters in seinem Team allerdings noch nicht diagnostizieren. "Wir sind sehr müde, aber sehr, sehr glücklich", sagte Binotto, dann nahm er Vettel in Schutz: "Es ist eine Schande, was ihm passiert ist. Er hatte eine gute Pace. Es ändert nichts an der Ausrichtung im Team. Wer gewinnen kann, soll gewinnen." Eine Woche nach dem Unfalltod des Formel-2-Piloten Anthoine Hubert beim Rennen in Spa hat die Formel 1 sich bemüht, auf Normalbetrieb umzustellen. Gut, sie haben rennserienübergreifend schwarze Aufkleber auf ihre Rennwagen gepappt, die Huberts Namen trugen.

Als aber der Sonntag kam, da stiegen die Piloten in ihre Rennwagen und donnerten los, so schnell und so routiniert wie in all den Jahren zuvor. Visier runter, Motor an, und weiter läuft die Formel 1. Am Tag nach einer irrwitzigen Qualifikation, bei der die Piloten Stehversuche unternommen hatten wie Bahnradfahrer. Weil niemand einem anderen Fahrer den in Monza so wichtigen Windschatten gewähren wollte, verkam die Zeitenjagd zur Farce. Die Fahrer bummelten so sehr, dass fast alle von ihnen zu spät für die eigentlich geplante letzte schnelle Runde über die Linie rollten. Damit stand Leclerc als Polesetter fest, vor Hamilton und Bottas. Und der viertplatzierte Vettel war sauer. Weil es eine Abmachung bei Ferrari gegeben hatte, wonach er sich beim letzten Versuch in Leclercs Windschatten hätte begeben dürfen.

Dann der Sonntag. Die Ampeln gingen aus in Monza, Leclerc kam ordentlich vom Fleck und verteidigte die Führung. Es half ihm, dass sich die zwei Silberpfeile vorübergehend gegenseitig bekämpften, Hamilton blieb aber Zweiter. Den besten Start erwischte Nico Hülkenberg, er überholte gleich seinen Teamkollegen Daniel Ricciardo, dann rollte er auch noch vorbei an Vettel. Allerdings währte Hülkenbergs Freude nicht lang, auf der Geraden nutzte Vettel den Kraftvorsprung seines Ferraris und kämpfte sich zurück auf Position vier. Drei Umdrehungen später unterlief Vettel allerdings ein verhängnisvoller Fahrfehler. Völlig unbedrängt drehte er sich mit seinem Ferrari in der Ascari-Kurve. Er fing das Auto zwar wieder ab. Dann jedoch rollte er in einem Moment zurück auf die Strecke, als diese nicht frei von Verkehr war, und touchierte den Racing Point von Lance Stroll.

"Er ist wie ein Idiot auf die Strecke zurückgekehrt", schimpfte Stroll im Funk. Vettel beschädigte bei der Aktion sein Auto, er hielt an der Box für einen neuen Frontflügel. Weil er allerdings zwar nicht wie ein Idiot, aber doch auf unsichere Weise auf die Strecke zurückgekehrt war, erhielt er von den Kommissaren die Strafe, dass er für zehn Sekunden an seiner Box halten musste. Als er danach auf die Strecke zurückkehrte, war er vom Teamkollegen und den Silberpfeilen überrundet worden.

Bedeutungsvolle zweite Schikane

Nach zwölf von 53 Runden sausten Leclerc, Hamilton und Bottas dicht an dicht durch den Königlichen Park, dahinter klaffte eine Lücke von elf Sekunden vor Ricciardo und Hülkenberg, die wieder ihre Plätze getauscht hatten. Nach 20 Runden hielt Hamilton als erster Pilot an der Spitze an der Box, er ließ sich Medium-Reifen aufziehen. Eine Umdrehung später stoppte Leclerc, wechselte auf die härtesten Gummis - und landete auf Rang vier hinter Hülkenberg. Hamilton durfte sich vorübergehend einen Geschwindigkeitsvorteil erhoffen.

Und nun gerieten Leclerc und Hamilton zum ersten Mal aneinander. Kurz vor der zweiten Schikane, in der sich im Vorjahr Vettel und Hamilton touchiert hatten, woraufhin für den Ferrari-Piloten das Rennen zu Ende gewesen war, ließ sich Leclerc nach außen treiben und drängte Hamilton ab in den Notausgang. Der beschwerte sich später, das Reglement schreibe eigentlich vor, dass ein Pilot, der seine Position verteidigt, zwischen sich und dem überholenden Auto mindestens eine Wagenbreite Platz lassen müsse. Leclerc behielt aber die Führung, die Rennleitung winkte nur mit der schwarz-weißen Flagge. "Warum?", fragte Leclerc seine Box. Außer ihm kannten alle die Antwort. Die interessierte aber kurz darauf kaum jemanden mehr. In dem Moment, als Leclerc im roten Meer von Monza badete und sagte: "Ich habe die Tifosi gesehen, es stand so viel auf dem Spiel. Mit diesem Sieg ist jetzt wirklich ein Traum wahr geworden." Ein Traum, den auch Sebastian Vettel träumte. Seit fünf Jahren bei Ferrari.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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