Formel 1: Michael Schumacher:Entzaubert

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Die unglückliche Fahrt beim Großen Preis von Istanbul ist mehr als ein Ausrutscher: Mercedes-Pilot Michael Schumacher hat viel von dem verloren, was ihn einst auszeichnete.

René Hofmann, Istanbul

Es gibt Dinge in der Formel 1, die sind nicht zu erklären. Und es gibt Dinge, die will niemand erklären. An Michael Schumacher erging am Samstag in Istanbul, bei der Qualifikation zum Großen Preis der Türkei, ein merkwürdiger Funkspruch: "You lost the magic pedal." Du hast das magische Pedal verloren. Was sich dahinter verbarg?

Ratlos und enttäuscht: Michael Schumacher nach dem Großen Preis von Istanbul. (Foto: AP)

"Oh, wir können jede Menge an den Knöpfen am Lenkrad verstellen. Motor-Einstellungen, Differenzial-Einstellungen. Und manche Einstellungen liegen eben auch auf den Pedalen am Lenkrad", gab Schumacher ungenau zurück. Ähnlich vage blieb auch Teamchef Ross Brawn: "Auf jeden Fall war es heute nicht magisch genug", sagte er.

Einig waren sich die einstigen Erfolgsmenschen aber in einem: An dem ominösen Hebel hatte es nicht gelegen, dass Schumacher nicht so recht in die Gänge gekommen war.

Startplatz acht. Damit hatte das Dilemma begonnen, das sich tags darauf zu etwas auswuchs, was im Sport gerne Desaster genannt wird. Michael Schumacher blieb punktlos, weitgehend aus eigenem Verschulden. In der zweiten Runde verteidigte er sich übereifrig gegen Witali Petrow. In einem riskanten Manöver lenkte er zu früh nach links. Das kostete ihn den Frontflügel und brachte ihm einen zusätzlichen Boxenstopp ein, der ihn zwischenzeitlich bis auf Platz 17 zurückwarf.

Am Ende wurde Schumacher Zwölfter. In zwei der vier Rennen in diesem Jahr blieb er ohne jeden Zähler. "Ich muss mir das noch mal ansehen, aber ich denke, dass ich wohl eher schuld bin als jemand anderer", sagte Schumacher. "Da ging der Vollblut-Racer in ihm durch, er wollte sich verteidigen, das kann vorkommen", sagte Mercedes-Sportchef Norbert Haug.

Im silber schimmernden Motorhome wurde anhand der Rundenzeiten, die Schumacher anschließend glückten, flugs hochgerechnet, was ohne das Malheur drin gewesen wäre: Platz sechs oder sieben, womit Schumacher in der Region seines Teamkollegen Nico Rosberg, 25, rangiert hätte, der von Startplatz drei aus Fünfter wurde.

Der Vergleich mit dem einzigen Rivalen, der über das gleiche Material verfügt, ist stets der erste Referenzpunkt. Und in dieser Wertung sieht es nicht gut aus für Schumacher. Rosberg kommt auf 20 WM-Punkte, Schumacher auf sechs. In der vergangenen Saison endete der Vergleich 142 zu 72. In der Qualifikation lautet die Quote bisher 4:0 - für Rosberg.

"Wie ich ihn kenne, wird er sich selbst einige Fragen stellen", meinte BBC-Kommentator David Coulthard, der Schumachers Unfall mit Petrow in der Live-Reportage mit den Worten bedacht hatte: "Ich weiß nicht, warum er nicht weiß, wann es Zeit ist aufzugeben." Martin Brundle, der zweite Experte am Mikrofon, hatte darauf eingewandt: "Meinst du die Szene oder seine Karriere?"

Der einstige Teamchef Eddie Jordan verglich die Fahrt des 42 Jahre alten Schumacher durch den Istanbul Park mit dem Boxkampf des alternden Schwergewichts Muhammad Ali 1980 gegen Larry Holmes, der in einer herben Niederlage endete: Ali verlor jede Runde nach Punkten; in der zehnten warf sein Trainer für ihn das Handtuch.

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Coulthard, Brundle und Jordan sind keine Schumacher-Freunde. Die ersten zwei hat Schumacher auf der Strecke oft schlecht aussehen lassen, Jordans Team verließ er einst keineswegs im Guten. Natürlich ist nicht jeder Kommentar objektiv. Natürlich wird im Moment auch so manche alte Rechnung beglichen. Aber Schumacher liefert seinen Kritikern eben auch viele Vorlagen.

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Von Jürgen Schmieder

Es gab einmal eine Zeit, in der schien nicht nur ein Hebel an Schumachers Auto von einem magischen Zauber umgeben, sondern er selbst. Schumacher unterliefen scheinbar nie Fehler. Schon gar nicht in wichtigen Situationen. In der Qualifikation schlug er jeden Teamkollegen, und im Rennen gewann er so gut wie jedes Manöver. Dieser Zauber ist weg.

Schon in Shanghai verbremste er sich in der Qualifikation auf der entscheidenden Schleife. In Istanbul blieb Schumacher eine Sekunde hinter Rosberg. Er- klären konnte er es nicht. Vielleicht hatte der Wind gedreht. Vielleicht hatte er schlechte Reifen erwischt. Und vielleicht war das tatsächlich so. Aber früher erwischten eben die anderen die schlechten Reifen und kamen in den Gegenwind.

Und wäre Michael Schumacher ein Fahrer, wie die meisten anderen es sind, dann würde all das vermutlich gar nicht groß auffallen. Aber weil er eben einst beinahe makellos war, ziehen die Makel nun eine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Das ist ein Fluch, den außergewöhnlicher Erfolg bringen kann.

Eine Erklärung, warum der Zauber verloren ging, gibt es nicht. Nur Thesen. Die Konkurrenz ist stärker geworden. Und sie hat den Respekt verloren. Außerdem gibt es keine Testfahrten mehr. "Schnell Autofahren können wir alle. Das Geheimnis ist, was man aus seinem Auto macht", sagt Schumacher.

Er war ein Meister darin, es mit viel Fleiß genau so hinzubasteln, wie er es haben möchte. Heute muss das in wenigen Runden am Rennwochenende geschehen, wie es Sebastian Vettel nach seinem Trainingsunfall am Freitag in der Türkei par excellence vorführte. "Die Generation, die das in den vergangenen Jahren gelernt hat, ist da sicher im Vorteil", sagt Mercedes-Sportchef Norbert Haug.

Auch sonst hat sich einiges geändert: Dank der verstellbaren Heckflügel und der Kraft, die aus dem Bremsenergie-Rückgewinnungs-System Kers kommt sowie der unterschiedlichen Reifen, die im Rennen benutzt werden müssen, ist das Überholen zur Selbstverständlichkeit geworden. Das hat auch Einfluss darauf, welches Zweikampfverhalten klug ist. Wenn früher ein Gegner vorbeizog, dann blieb er meist auch vorne. Wer konnte, verhinderte das - mit allen Mitteln. Schumachers Manöver gegen Petrow war so eine Alles-oder-Nichts-Aktion, die nicht mehr so recht in die Zeit passt.

Doch, er fühle sich besser gewappnet als im vergangen Jahr, hatte Schumacher vor dem Rennen in Istanbul noch einmal betont, er kenne das Team nun besser. Das gebe ihm die Hoffnung, am Ende vor Rosberg zu landen, der im Moment als Kandidat für Red Bull und Ferrari gehandelt wird, ohne dass jemand genau weiß, wie lang sein aktueller Kontrakt noch läuft.

Schumacher hat selbst entschieden, die Laufzeit seines Vertrages zu enthüllen: Es sind drei Jahre, bis Ende 2012. "Sicher nicht vor der Hälfte der Laufzeit" heißt es bei Mercedes, werde man überlegen, ob eine Verlängerung sinnvoll sei. Das wäre ab dem Rennen im Juli auf dem Nürburgring.

© SZ vom 10.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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