Max Verstappen in der Formel 1:Diesmal der Gejagte

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Am Freitag kreiste Max Verstappen in Spielberg noch vor ziemlich leeren Tribünen. Das wird sich in den kommenden Tagen ändern. (Foto: Clive Rose/Getty)

Bei seinen gefühlten Heimspielen auf dem Red-Bull-Ring war der 23-Jährige schon immer die Attraktion, doch in diesem Jahr reist er erstmals als WM-Favorit zu den zwei Rennen in Spielberg.

Von Philipp Schneider, Spielberg

Satt grün sieht sie aus. Alle Halme senkrecht, keinerlei plattgelegene Stellen zu erkennen. Zweifellos: Die Campingwiese der Familie Gruber hat sich wunderbar erholt in den 16 Monaten Pandemie, das haben auch die Kühe begriffen, die weiter hinten ihre Köpfe interessiert über den Zaun strecken, als gäbe es dort etwas zu grasen. Ach, Spielberg. Immer wieder herrlich!

Ausfahrt Knittelfeld West, um die Ecke die Örtchen Kleinlobming, Großlobming und Apfelberg. Im Hintergrund wohlgeformte Hügel, prächtige Tannen. Aber wenn man den Ankündigungen glauben darf, dann ist die Idylle in der Steiermark eine trügerische. Spätestens in der kommenden Woche, wenn die Regierung Österreichs sämtliche Beschränkungen für Sport-Großveranstaltungen aufgehoben haben wird, findet hier im Schatten der Fußball-Europameisterschaft das im Wortsinn größte Feldexperiment seit der Entdeckung eines mutationsfreudigen Virus auf einem Fischmarkt in Wuhan statt: Auf den Feldern rund um Spielberg wird gezeltet.

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Mercedes ist das mit Abstand erfolgreichste Team der Formel 1. Doch nun mehren sich die Sorgen bei dem Rennstall von Weltmeister Lewis Hamilton - weil die einst Unfehlbaren Fehler begehen. Und weil Konkurrent Red Bull seine Ressourcen bündelt.

Von Philipp Schneider

Sagenhafte 95 000 Fans werden erwartet beim Großen Preis von Österreich, der wiederum sieben Tage nach dem Großen Preis der Steiermark an diesem Sonntag abgehalten wird. Es gibt wie schon im Vorjahr, als die Formel 1 inmitten der Pandemie in Österreich erstmals die Motoren anschmiss, zwei Rennen nacheinander in Spielberg. Und zwar: wegen der Pandemie. Erst sprangen wegen zu hoher Inzidenzen die Veranstalter des geplanten Rennens in Montreal ab, dann der Ersatzkandidat Istanbul. Eine Gelegenheit, die sich der Milliardär Dietrich Mateschitz, geboren in Sankt Marein im Mürztal, nicht nehmen ließ: Er bot seinen sogenannten Red-Bull-Ring, zu dem er den ehemaligen Österreichring vor zehn Jahren für 250 Millionen Euro umbauen ließ, als Kulisse für eine Doppelveranstaltung an. Um den prallen Rennkalender mit 23 geplanten Rennen zu retten - und garantiert auch, damit mehr Rennsportfreunde jene Brause trinken, die Mateschitz reich machte.

Wer es nach Österreich über die Grenze und auf eine der Tribünen schaffen will, der muss nur getestet, genesen oder mindestens einmal geimpft sein. Und deshalb fallen wohl sehr bald auch die Niederländer ein im schönen Murtal und errichten ihre Burgen auf den Wiesen rund um den Ring. Kuscheln im Schlafsack, Spielberg wird oranje, tot ziens Pandemie!

Lewis Hamilton, das zuverlässige Gewissen der Formel 1, warnt vor zu schnellen Öffnungen. In Silverstone sollen sogar 140 000 Zuschauer zugelassen werden

"Wie da in den Zelten Abstand gehalten wird, das weiß ich auch nicht", murmelt am Freitag der freundliche Parkeinweiser in seine FFP2-Maske, in dessen Blickfeld die Veranstalter mehrere geräumige Wigwams hochgezogen haben, die auch Winnetou stolz gemacht hätten. Die Fallzahlen in Österreich sind niedrig. Aber am Freitag wird gemeldet, dass inzwischen auch hier jede vierte Neuinfektion auf die Krone der zu Recht schlecht beleumundeten Delta-Variante geht.

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Lewis Hamilton, das zuverlässige Gewissen der Formel 1, warnt vor zu schnellen Öffnungen. Im Hinblick auf Spielberg und die folgende Wettfahrt im englischen Silverstone, wo die Delta-Mutante ein Heimspiel feiert und allen Ernstes 140 000 Zuschauer eingelassen werden sollen, sagt er: Man solle besser "vorsichtig aufbauen statt gleich voll reingehen". Das wird den Max-Verstappen-Fanklub nicht aufhalten, der schon längst die Wohnwagen abfahrbereit gemacht hat.

Es gibt in diesem Jahr erstmals seit 36 Jahren wieder einen Großen Preis der Niederlande - im September in Zandvoort. Weil es aber diesen seit Ewigkeiten nicht gab, haben die Niederländer traditionell zwei andere Rennen adoptiert. Die Sause im belgischen Spa - und jene in Spielberg. In diesem Jahr lohnt sich die Tour ins Murtal wie nie zuvor: Verstappen tritt nicht wie sonst als Geheimfavorit an, sondern als Führender des Gesamt-Klassements.

"Wir sind die Jäger", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff angesichts der Dominanz von Red Bull

Erstmals hat Red Bull dem Jahrhunderttalent einen Dienstwagen unter den Sitz geschraubt, dem zuzutrauen ist, die seit 2014 andauernde Dominanz von Mercedes zu durchbrechen. Sieben goldene Jahre für die Silberpfeile waren auch sieben eher magere für das britische Team unter österreichischer Lizenz. Dreimal Zweiter, dreimal Dritter, das ist für einen Großinvestor wie den 76-jährigen Mateschitz eher ein Durchwurschteln, wie sie in Österreich sagen. "Sieben Jahre sind wir Mercedes hinterhergehechelt, jetzt läuft es", jubiliert Mateschitz' langjähriger Motorsportberater Helmut Marko vor dem doppelten Heim-Grand-Prix. "50 Punkte" soll Verstappen in Österreich einfahren, zwei Siege also, die Marko aus drei Gründen für realistisch hält. "Mercedes schwächelt, dem Max liegt die Strecke. Und unser Honda-Motor funktioniert hier besonders gut."

Verstappens Sieg vor einer Woche auf dem Circuit Paul Ricard bedeutet eine Zäsur. In den zwei Jahren zuvor hatten die Silberpfeile in Frankreich jede einzelne Session gewonnen und mit Lewis Hamilton auch jede einzelne Rennrunde - bis auf eine - angeführt. Wenn Red Bull auch auf einer permanenten Rennstrecke wie jener in Le Castellet gewinne, dann könne Verstappen überall siegen, stichelte Teamchef Christian Horner. So sieht das auch Hamilton, der in Österreich wiederholt über den Geschwindigkeitsvorsprung klagte, den die Red Bull nicht nur in den langsamen Kurven, sondern neuerdings auch auf den Geraden entwickeln. Von beidem gibt es in Spielberg reichlich. Toto Wolff, Horners Widerpart bei Mercedes, sagte am Freitag: "Wir sind die Jäger."

Bemerkenswerterweise hatte Verstappen in Frankreich dank einer überlegenen Rennstrategie gewonnen, obwohl ihm nach dem Start ein Fahrfehler unterlaufen war, der ihn die Führung kostete - und er Probleme mit dem Funkverkehr hatte. "Redet mit mir! Hallo?", rief er Mitte des Rennens. Das Team funkte zurück, dass es ihn nicht verstehen könne und er bitte versuchen solle, in den langsamen Kurven zu sprechen, nicht in den schnellen. Aber auch das hörte Verstappen nur stückweise.

Es liege "nicht nur an einer Sache", dass er neuerdings hinterherfahre, sagt Hamilton, der derzeit so sanft und demütig spricht wie nie: "Wir wissen, wie stark wir sind. Wir kommen hier mit einem optimistischen Ansatz her." Sehr viel lieber wäre ihm wohl, er käme mit einem schnelleren Auto her.

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