Formel 1:Hat Red Bull das Budget überzogen?

Lesezeit: 4 min

Bleischwere Debatte: Die Formel 1 kreist in diesem Jahr um den Verdacht übermäßiger und verbotener Nachrüstung bei Max Verstappens Team Red Bull. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Diese Frage versetzt gerade den Rennbetrieb in Aufregung. Sollte der Weltverband eine Strafe gegen das Team von Weltmeister Max Verstappen verhängen, ist jetzt schon klar: Es wird schmutzig.

Von Philipp Schneider, Suzuka/München

Die Rennstrecke in Suzuka in Japan hat gleich an ihrer Seite einen Vergnügungspark angelagert. Das Herzstück des sogenannten Motopia Park bildet ein Riesenrad mit rotem Gerüst und roten Gondeln. Wer sich von ihm während eines Rennwochenendes durch die Lüfte schaukeln lässt, und das ist dringend angeraten, der kann den Blick schweifen lassen über die kurvige Strecke, kleinere und größere Industriestädte, und ein wenig grün ist die Landschaft sogar auch in der Präfektur Mie auf Honshu, der Hauptinsel Japans.

Dort, am Fuße des Riesenrads, saß am Donnerstag Lewis Hamilton ganz irdisch auf einem Stuhl, aber er ließ die Gedanken so schweifen auf eine Weise, dass den Zuhörern klar wurde: Um den Zusammenhang der Dinge zu verstehen, bedarf es einer räumlichen und zeitlichen Vogelperspektive. Also blickte Hamilton aus Suzuka 9202 Kilometer nach Westen und 16 Monate zurück - bis zum Rennen in Spielberg Ende Juni 2021. Dort nahm aus Hamiltons Sicht das Unheil über die aktuellen Budgetdebatten seinen Lauf.

"Es kamen weitere Updates für das andere Auto", und Hamilton dachte: "Meine Güte!"

In der schönen Steiermark war sein Mercedes dem Red Bull von Max Verstappen erstmals so unterlegen gewesen, dass der geschlagene Hamilton aus dem Auto kletterte und gleich in das erste Reporter-Mikrofon verzweifelt rief: "Ich brauche ein Upgrade, gebt mir ein Upgrade!" Der Reporter war der falsche Adressat. Aber Hamilton brachten seine Rufe auch so nicht viel ein. Einmal noch habe er danach neue Teile erhalten, erinnerte Hamilton nun in Suzuka: beim Rennen in Silverstone Mitte Juli - also fünf Monate vor dem Finale der WM in Abu Dhabi, die erst in der letzten Runde auf umstrittene Weise zugunsten Verstappens entschieden wurde. Und es sei so: Dank der neuen Teile in Silverstone sei sein Mercedes fast drei Zehntel schneller gerollt, rechnete Hamilton nun vor - und gekostet hätten sie weniger als eine Million Dollar!

Danach? Kein schicker neuer Flügel mehr für ihn, nicht mal Kleinkram. Entwicklungsstopp! Mercedes bündelte seine finanziellen Ressourcen für die Entwicklung des Autos für 2022, so erklärte es damals auch Teamchef Toto Wolff. "Dann allerdings sah ich diese Trucks von den anderen, es kamen weiterhin Updates für das andere Auto", so Hamilton in Suzuka, "und ich dachte mir: Meine Güte! Es wird schwer, sie in der WM zu schlagen, wenn sie weiter Updates bringen."

Welchen Fahrer Hamilton in diesem anderen Auto verortet, verriet er nicht. Sein damaliger Titelkonkurrent Verstappen jedoch dürfte sich angesprochen fühlen, für den noch immer die Unschuldsvermutung gilt in dieser bleischweren Debatte, die die Formel 1 fest im Griff hält. Seit am Rande des Rennens in Singapur das Gerücht durch das Fahrerlager gewabert ist, zwei Teams hätten im Vorjahr den Rahmen des damals neu eingeführten Budget-Caps in Höhe von 148,6 Millionen US-Dollar pro Team und Saison gesprengt. Praktischerweise wurden die Namen der Verdächtigen im Fahrerlager gleich mitgeflüstert: Red Bull und Aston Martin.

Wenn das Ergebnis der Buchprüfung feststeht, könnte Verstappen schon Weltmeister sein

Es sei "ein offenes Geheimnis", sagte Toto Wolff, dass eines der zwei Teams "massiv" über dem Limit gelegen habe. Ihm sekundierte Mattia Binotto, Teamchef von Ferrari, dem sofort eine interessante Rechnung einfiel: Für die kolportierte Überschreitung des Budgets um zehn Millionen Dollar hätte er ein Jahr lang 100 Ingenieure mit einem Gehalt von 100 000 Dollar beschäftigen können, die mit nichts anderem befasst gewesen wären, als von morgens bis abends die roten Rennwagen zu optimieren.

Der gar nicht beim Namen genannte Red-Bull-Teamchef Christian Horner machte Rufschädigung geltend, weil er sich ja angesprochen fühlen musste: "Das ist diffamierend." Er sei sicher, sein Team habe die Vorgaben des finanziellen Rahmens strikt eingehalten. Horner rieb sich wohl auch daran, dass die Konkurrenz möglicherweise nicht nur die Informationen lanciert hatte, sondern auch gleich Strafen forderte. "Wir wollen, dass diese Aussagen widerrufen werden. Es ist nicht akzeptabel, so etwas zu sagen." Und sogar der eigentlich unpolitische Fahrer Verstappen murmelte Empörung: "Ich finde das ein bisschen dumm. Haltet einfach eure Klappe!"

Hätte der Automobilweltverband Fia wie angekündigt schon am Mittwoch das Ergebnis der Untersuchung präsentiert, dann würden vielleicht jetzt schon wieder alle die Klappe halten. Oder aber die Debatte liefe erst recht auf Hochtouren, weil es bereits Zank um das verkündete Strafmaß geben würde, das sicher als zu lasch (aus Sicht der Betrogenen) oder zu hart (aus Sicht der Betrüger) gewertet werden wird. Die Ergebnisse der Buchprüfungen sollen nun ausgerechnet am Montag verkündet werden. Am Tag nach dem Sonntag also, an dem Verstappen in Suzuka die erste realistische Chance auf den Gewinn seiner zweiten Weltmeisterschaft hat - zur Krönung genügt ihm diesmal ein Renn-Sieg in Kombination mit der schnellsten Rennrunde.

Schon die fünf Prozent Überschreitungen entsprechen 7,4 Millionen Dollar

Sollte es sich bewahrheiten, dass Teams betrogen haben - beispielsweise, indem sie Personalkosten in Sub-Firmen versteckt haben -, dann steckt die Fia in einem Dilemma. Einen klar definierten Strafenkatalog gibt es nicht, aber neben hohen Geldbußen drohen auch Sperren und Punktabzüge. Letztere auch rückwirkend. Das könnte im Extremfall ein ganz neues Resultat der WM-Tabelle 2021 ergeben. Einerseits müsste die Fia schon aus Eigeninteresse so hart ahnden, dass möglichen Trittbrettfahrern der Schreck ins Getriebe fährt. Andererseits wird sie versuchen, knüppelharten juristischen Konflikten aus dem Weg zu gehen, was wiederum die betrogenen Teams in Flammen setzen dürfte. Auch dann, wenn es nur zu "leichten" Überschreitungen von bis zu fünf Prozent gekommen sein soll, wie es jetzt gerüchteweise heißt und wofür die Fia ein geringeres Strafmaß vorsieht als bei schweren Vergehen. Schon die fünf Prozent entsprechen einem Betrag von 7,4 Millionen Dollar.

So oder so: Höchstwahrscheinlich wird es schmutzig.

Unter die Obergrenze fallen nicht nur Entwicklungskosten, sondern auch der Betrieb der Firmenzentrale, Energiekosten, Personal. An einer strikten Einhaltung des Budgets sind deshalb nicht nur jene Rennställe interessiert, die vorneweg brausen. Auch die kleinen Teams, die ja gerade dank des Kostendeckels langfristig um Rennsiege und Titel mitfahren sollen, sind verständlicherweise aufgebracht.

Frederic Vasseur, der Teamchef von Alfa Romeo, rechnete vor, ihnen stünden lediglich 2,4 Millionen Dollar für Entwicklung zur Verfügung - für die gesamte Saison. Und Andreas Seidl, verantwortlich bei McLaren, erzählte mit betroffener Miene von Entlassungen und Gehaltskürzungen, die er in der Zentrale in Woking im Vorjahr wegen des Kostendeckels durchsetzen musste. Gleichzeitig gebe es "vor allem zwei Teams, die unglaublich aggressiv Leute eingestellt haben und weiter einstellen", klagte Seidl. Diese hätten unter anderem mit "unglaublichen Gehältern" um sich geworfen.

Eine weitere, ganz entscheidende Argumentation der Befürworter von harten Strafen lautet: Ein Team, das sich schon 2021 oberhalb des erlaubten Budgets bereichert hätte, profitiert davon auch in dieser Saison - und möglicherweise sogar noch in der nächsten. Weil es schon in der Vergangenheit mehr Ressourcen nutzen konnte zur Gestaltung des Auto der Zukunft. Auch daran dachte wohl Lewis Hamilton, als er am Fuße des Riesenrads in Suzuka eine Zeitreise unternahm.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: