Sieben Kurven der Formel 1:Mit lila Brille, aber ohne Power

Lesezeit: 4 min

Dürfte in dieser Form mit dem WM-Ausgang nichts zu tun haben: Lewis Hamilton. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Lewis Hamilton zählt die Fehler an seinem Mercedes auf, Max Verstappen jubelt - und Mick Schumacher hat seinen schweren Unfall erstaunlich schnell verarbeitet. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

Max Verstappen

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Titelverteidiger zu sein, hat sich Max Verstappen vermutlich auch leichter vorgestellt. Im zweiten Rennen stand er bereits gewaltig unter Druck, auch in Saudi-Arabien hat er bis kurz vor Schluss eigentlich keine Siegchance mehr. Aber der Niederländer hatte bis dahin gut taktiert, die Reifen geschont, auf eine gute Angriffsposition gelauert - dann tauchte er plötzlich hinter Charles Leclerc auf, saugte sich heran, ging vorbei. Dreimal, wie beim Saisonauftakt in Bahrain, spielten die Kontrahenten das Spielchen und sorgten auf dem Stadtkurs für ein sportliches Drama.

Vier Runden vor Schluss wog Verstappen seinen Gegner in Sicherheit, um dann an der perfekten Stelle mit flach gestelltem Flügeln vorbeizuschießen. Für einen echten Konter reichte es nicht mehr. Aufatmen, durchatmen: "Es war hart und es war verrückt", bilanziert der Sieger, "aber ich bin glücklich, dass die Saison jetzt für mich erst richtig beginnt." Leclerc hat zwar momentan 20 Punkte Vorsprung, aber enteilt ist er fürs Erste nicht.

Charles Leclerc

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Respekt, das ist etwas ganz besonders Verletzliches zwischen zwei erbitterten Titelkämpfern, hervorragend zu besichtigen gewesen am eskalierten Vorjahres-Duell zwischen Hamilton und Verstappen. Aber Rad an Rad ist das auch schwieriger als in der schönen Theorie. Charles Leclerc, der aktuelle WM-Spitzenreiter, hat sich wieder großartig geschlagen in seinem Ferrari, und den zweiten Erfolg des Jahres erst ganz am Ende vergeben, als ihn Max Verstappen doch noch überrumpeln konnte.

Dennoch gratulierte der Verlierer dem Sieger sofort über Boxenfunk. Die beiden kennen sich schon aus gemeinsamen Kart-Tagen, und sie scheinen Spaß daran gefunden zu haben, das Ganze jetzt mit 1000-PS-Rennwagen und endlich wieder auf Augenhöhe zu wiederholen. "Wir haben uns so getrieben wie selten zuvor, sind hohe Risiken eingegangen", sagte Leclerc: "Das geht natürlich nur, wenn man sich respektiert. Es war hart, aber fair. Jedes Rennen sollte so sein."

Sergio Pérez

(Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Aus der ersten Pole-Position seines Lebens, für die es elf Jahre und 214 Anläufe gebraucht hat, am Ende Vierter zu werden - diese Enttäuschung kann nicht mal die Bonuszahlung von Red Bull wettmachen. Sergio Pérez bleibt da nur die Formulierung aller in der Formel 1 Desillusionierten: "So ist der Rennsport eben." Kaum hatte der Mexikaner mit einem frühen Boxenstopp ein taktisch kluges Manöver unternommen, wurde das Rennen nach einem Unfall neutralisiert, die Siegchance war dahin: "Pech, dass Nicholas Latifi ausgerechnet in diesem Moment in die Mauer krachen musste." Aber dem Teamkollegen von Max Verstappen bleibt zumindest die Genugtuung, auf einer der schwierigsten Strecken im ganzen Kalender die optimale Runde hingelegt zu haben: "Ich glaube, es war die beste in meinem ganzen Leben."

Mick Schumacher

(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Ein Aufprall in die Mauer mit gut 260 Stundenkilometern. Ein Auto, das bei der Bergung auseinanderbricht. Funkkontakt abgebrochen. Krankenwagen, Rettungshubschrauber und Hospital. Aber relativ schnell nach dem Mega-Crash von Mick Schumacher in der zweiten Qualifikationsrunde ging der berühmte Schumi-Daumen in die Höhe: Der seitliche Aufprall hatte dem Fahrer keine Verletzungen zugefügt. Auch eine Folge dessen, dass genau diese Partie an den neuen Rennwagen vor Saisonbeginn noch einmal verstärkt worden war.

Der Haas-Rennstall entschloss sich schließlich, das Auto nicht in Windeseile über Nacht neu aufzubauen. Das Risiko, dass dabei etwas übersehen worden wäre, wurde als zu groß erachtet. So musste der Deutsche statt des geplanten zweiten Versuchs, zum ersten WM-Punkt zu kommen, zugucken. Den Unfall verarbeitete er erstaunlich schnell und gewohnt analytisch: "Ich habe es kommen sehen und konnte mich auf den Einschlag vorbereiten." Sein Pech und auch das von Nicholas Latifi unterstreicht aber die Kritik vieler Fahrer an der an einigen Stellen offensichtlich zu gefährlichen Piste.

Stefano Domenicali

(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Wie eine dunkle Mahnung hing nach dem Raketenangriff jemenitischer Rebellen vom Freitag eine dunkle Rauchwolke über Dschiddah, nachdem ein Tanklager des Formel-1-Topsponsors Aramco ausgebrannt war. Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali blieb fast nichts anderes übrig, als den Beteuerungen der Gastgeber zu glauben, die eine erhöhte Sicherheit versprachen. Einige Rennfahrer fühlten sich offenbar trotzdem unsicher, ließen sich erst nach vierstündigen Diskussionen von einem Boykott abbringen.

Diese Begrifflichkeit mag der Italiener aber nicht: "Boykott ist nicht das richtige Wort, es ging mehr darum, die Dinge richtig zu erklären." Mit der Abreise aus Saudi-Arabien wächst aber der Erklärungsbedarf für die Zukunft, ob die F1 sich weiterhin der Macht der Petro-Dollars beugen wird und das auch wegen der Menschenrechtsverletzungen im Land umstrittene Rennen noch einmal ansetzt. Domenicali verbat sich eine moralische Kritik an der Formel 1. Man sei nicht blind, aber man sehe die riesigen Fortschritte im Land - zum Beispiel, dass auch Frauen beim Rennen zusehen durften ...

Lewis Hamilton

Dürfte in dieser Form mit dem WM-Ausgang nichts zu tun haben: Lewis Hamilton. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Schon in der Qualifikation von Dschiddah, in der der Rekordweltmeister auf Rang 16 mit einem völlig aus der Balance geratenen Silberpfeil eine der schlechtesten Vorstellungen seiner Karriere ablieferte, hatte Teamchef Toto Wolff die Mercedes-Truppe angewiesen: "Es ist Zeit, aufzuwachen." Daran änderte auch das erneut halbwegs versöhnliche Rennresultat nichts, das George Russell als ordentlichen Fünften auswies und Lewis Hamilton als Zehntem nach einer großen taktischen und kämpferischen Leistung immerhin einen Ehrenpunkt bescherte.

"Wir sind immer noch weit weg von den Jungs an der Spitze", erklärte Hamilton. Prinzipiell fehlt es dem Auto nur an zwei Dingen, leider sind das die entscheidenden: "Wir brauchen mehr Grip. Und wir brauchen mehr Power." Offenbar kommt das bislang führende Hybrid-Aggregat nicht so gut mit der Bio-Ethanol-Beimischung im Sprit klar. Da half es Hamilton auch nichts, die Dinge durch die lila Sonnenbrille zu betrachten.

Nico Hülkenberg

(Foto: Lars Baron/Getty Images)

Der Edelreservist der F1 kam zum zweiten Einsatz innerhalb einer Woche, da Sebastian Vettel nach seiner Covid-19-Erkrankung auch nicht nach Saudi-Arabien reisen konnte. Die Piste am Roten Meer verlangte dem Emmericher noch mehr ab: "Ein Wahnsinn. Es ist unfassbar schnell, richtig brutal." Die vielen Kurven gehen vor allem auf die Nackenmuskeln, ähnlich wie in einer Waschmaschine müsse man sich das vorstellen. Von Startplatz 17 aus wurde er am Ende im erneut schwächelnden Aston Martin Zwölfter, noch einen Rang vor dem Stammpiloten Lance Stroll.

Der 34-Jährige wird in Australien voraussichtlich wieder das Lenkrad an Vettel übergeben: "Seb wird sich anstrengen müssen, diesen Erfahrungsrückstand wieder aufzuholen. Aber die Fähigkeiten dazu hat er." Hülkenberg sah sich in seiner Ersatzrolle daher vor allem als Datensammler, um dem gestrauchelten Team für die Zukunft weiterzuhelfen. Was seine eigene Perspektive angeht, hofft er immer noch auf ein Angebot im richtigen Moment.

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