Formel 1 in Brasilien:Russell rettet die Ehre von Mercedes

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Fassungslos nach dem ersten Formel-1-Sieg seiner Karriere: George Russell, 24, in Brasilien. (Foto: Ricardo Moraes/Reuters)

Der 24-jährige Brite beschert den Silberpfeilen im vorletzten Rennen den ersten Triumph der Saison - und sich selbst den ersten Formel-1-Sieg seiner Karriere. Weltmeister Verstappen irritiert mit einem bösen Foul an seinem Teamkollegen.

Von Philipp Schneider

Es hat in diesem Jahr etwas länger gedauert, ehe das Team Mercedes die Konkurrenten einen frischen Hauch seiner lange Zeit verblichenen Stärke wieder spüren ließ. Ganze 21 Rennen und acht Monate sogar. Aber als es dann so weit war, am Sonntag in São Paulo, da wählte Lewis Hamilton den perfekten Moment. 16 Runden vor Schluss schoss er vorbei an dem Red Bull von Sergio Perez, der sich ihm nicht länger erwehren konnte, selbstverständlich auf Höhe der prall gefüllten Tribünen. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen und bejubelten Sir Lewis Hamilton, den siebenmaligen Weltmeister, der in dieser Woche auch noch zum Ehrenbürger Brasiliens ernannt worden war. Der höchstwahrscheinlich aber trotzdem zum ersten Mal in seiner langen Karriere eine Saison ohne Sieg beenden wird.

Denn als kurz nach dem Manöver eines der unterhaltsamsten Rennen des Jahres mit dem ersten Sieg eines Silberpfeils zu Ende ging, einem Doppelsieg von Mercedes noch dazu, da richteten sich die Scheinwerfer selbstverständlich auf seinen 13 Jahre jüngeren Teamkollegen George Russell. Gestartet von der Pole Position hatte der 24-jährige Brite auf blitzsaubere Weise den ersten Rennsieg seiner Karriere herausgefahren - und sich nach einer finalen Safety-Car-Phase auf elf langen Schlussrunden auch nicht vom hechelnden Atem Hamiltons in seinem Nacken verunsichern lassen. Auf den Plätzen drei und vier rollten Carlos Sainz und Charles Leclerc in ihren Ferraris über die Ziellinie - gefolgt vom fabelhaften Fernando Alonso, der beide Red Bull hinter sich ließ.

Russell stand eine Tränenmischung aus Glück und Strapaze in den Augen, als er vor die Kameras trat. "Die ganzen Erinnerungen an meine Anfänge im Kartsport" seien ihm nach der Zieldurchfahrt in den Sinn gekommen, sagte er. "Es war ein hartes Rennen, ich hatte alles unter Kontrolle, aber Lewis war so schnell..." Und er kündigte an: "Das war erst der Anfang."

Verstappen weigert sich, seinen Platz an Perez weiterzureichen

Einen solchen gab es auch bei Red Bull, allerdings den Anfang eines möglicherweise schweren Zoffs mit längerer Halbwertszeit. Denn als sein Team Weltmeister Max Verstappen kurz vor dem Ziel aufforderte, seinen sechsten Platz an Perez weiterzureichen, damit sich sein Teamkollege noch Platz zwei in der Fahrer-WM würde sichern können - da weigerte sich Verstappen. "Fragt mich das nicht noch mal", blaffte er im Funk zurück, "ist das klar? Ich habe meine Gründe." Welche Gründe es für diese beispiellose Egoisten-Tour geben könnte, verriet Verstappen leider nicht. Es sei "etwas vorgefallen", sagte er später bei Sky, ohne näher darauf einzugehen. Perez reagierte desillusioniert und sagte, "das zeigt, wer Max wirklich ist".

Die Formel 1 hatte in Brasilien die Startplätze mit einem Mini-Rennen ausgefahren, dem sogenannten "Sprint". Schon dabei hatten sich Russell und Hamilton die begehrtesten Plätze geschnappt. Und so geriet fast in Vergessenheit, dass Mick Schumachers Teamkollege Kevin Magnussen am Tag zuvor in der eigentlichen Qualifikation im unterlegenen Haas sensationell die schnellste Runde gelungen war, während der Sohn des Rekordweltmeisters Letzter wurde. Die Entscheidung, ob Schumacher sein Cockpit behalten darf, oder es an den erfahrenen Reservisten Nico Hülkenberg weitergereicht werden wird, will Haas im Laufe der Woche verkünden.

Für den Deutschen, der am Sonntag 13. wurde, verdichten sich die Zeichen, dass er seinen Platz wird räumen müssen. Seine Zeit in einem Stammcockpit der Formel 1 würde nach nur zwei Saisons zumindest unterbrochen werden. Theoretisch ist noch denkbar, dass der vom Team Williams für das kommende Jahr fest eingeplante Formel-2-Pilot Logan Sargeant die nötigen Punkte für eine Superlizenz nicht zusammen bekommt. Sollte der Amerikaner diese beim Saisonfinale in Abu Dhabi verfehlen, könnte Schumacher wieder ins Spiel rücken. Falls nicht, müsste er zumindest in der kommenden Saison versuchen, als Ersatzfahrer unterzukommen, bei Mercedes oder Alpine. Um aus dieser Position ein Stamm-Cockpit für 2024 zu ergattern.

Die Ampeln gingen aus in São Paulo, ohne Berührung bogen die Führenden um die ersten Biegen. Weiter hinten aber krachte es, als Daniel Ricciardo seinen McLaren ins Heck von Magnussen schob und beide Rennwagen von der Strecke drehte. Das Safety Car rückte aus - und die Hoffnungen des Teams Haas ruhten nun nicht länger auf seinem Pole-Setter vom Freitag, sondern auf Schumacher, der sich um zwei Positionen auf Platz zehn vorgeschoben hatte.

"Ihr fahrt gegeneinander, aber bitte seid respektvoll"

Sechs Runden später hatte Bernd Mayländer das Rennen gerade erst wieder freigegeben, da segelten die nächsten Rennwagenteile durch die Luft. Zunächst kollidierte Verstappen mit Hamilton, wofür der Niederländer eine Fünf-Sekunden-Strafe erhielt, dann krachten Lando Norris und Charles Leclerc gegeneinander. Verstappen und Leclerc ließen ihre Wagen in der Boxengasse flicken und fanden sich am Ende des Feldes wieder; Hamilton und Norris fuhren zunächst weiter, hatten aber Plätze verloren. Und Schumacher war plötzlich Siebter - zwei Positionen hinter Sebastian Vettel.

Den deutschen TV-Zuschauer konnte nun Wehmut überkommen beim Anblick zweier rasender Teutonen, von denen der eine garantiert, der andere sehr wahrscheinlich im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein wird.

Anders als die Silberpfeile, die in Brasilien eine mögliche Vorschau auf ihre Stärke in der nächsten Saison boten: Hamilton schnappte sich ziemlich bald Norris und Vettel und eroberte sich Rang drei zurück, an der Spitze hielt Russell seinen Verfolger Perez locker auf Distanz. Nach 24 Runden kam Perez an die Box, Russell folgte unmittelbar - und Hamilton erbte vorübergehend die Führung. Nachdem alle Piloten der Spitzengruppe die Versorgungsgasse wieder verlassen hatten, rollte Russell vor Perez, Sainz und Hamilton, der sich bald aber auf Position zwei vorkämpfte.

Als Lando Norris seinen McLaren wegen eines Defekts auf dem Kurs abstellen musste, rückte letztmals das Safety Car auf die Strecke. "Ihr fahrt gegeneinander, aber bitte seid respektvoll", funkte Mercedes an seine Fahrer. Dann aber zog Russell so unwiderstehlich davon, dass Hamilton wohl gar keine Chance zum Zweikampf blieb.

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