Formel 1 in Melbourne:Eine unwürdige Posse

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Testfahrt während der offiziellen Präsentation der renovierten F1-Strecke im Strandbad Zandvoort: Max Verstappen aus den Niederlanden vom Team Red Bull. (Foto: dpa)
  • Trotz eines Coronafalls im Fahrerlager wird das Formel-1-Rennen in Melbourne sehr spät abgesagt.
  • Ausschlag gab offenbar, dass sich eine Mehrheit der Teams schlicht weigerte, an dem Rennen teilzunehmen.
  • Die Formel 1 gibt beim Umgang mit dem Virus kein gutes Bild ab.

Von Philipp Schneider, Melbourne

Dieser Freitagmorgen vor dem Rennsonntag begann in Melbourne auf den ersten Blick so wie die Freitage vor den Rennsonntagen in den Jahren zuvor. In freudiger Erwartung, an diesem Vormittag die ersten Frühjahrsausfahrten der Formel-1-Autos aus der Nähe zu erleben, strömten Tausende Fans in Melbourne zum Albert Park und stellten sich dort brav an vor den Toren. Was sie nicht ahnten: Die Tore würden heute nicht geöffnet werden, obwohl von einer Absage des ersten Rennens des Jahres bislang keine Rede war. Was sie ebenfalls nicht wussten: Obwohl das Rennen noch nicht abgesagt war, saß Sebastian Vettel in diesem Moment bereits im Flugzeug und war auf dem Weg in die Heimat. Gemeinsam mit Kimi Räikkönen, seinem besten Freund im Fahrerlager.

Vettel fährt für Ferrari, Räikkönen für Alfa Romeo. Das ist kein unwesentliches Detail. Ihren Trip zum Flughafen hatten sie mitnichten spontan beschlossen. Wie aus Ferrari-Kreisen zu erfahren war, hatten der Rennstall und Vettel schon am Vorabend entschieden, am nächsten Morgen abzureisen - noch vor dem ersten freien Training. Sie hatten entschieden, dass kein Ferrari-Mitarbeiter mitmachen würde bei einer Veranstaltung, nachdem am Vorabend ein Mitarbeiter von McLaren positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden war. Und die Scuderia hatte diese Entscheidung unmissverständlich kundgetan auf einer gemeinsamen Krisensitzung aller Teamchefs, des Automobil-Weltverbands Fia und der Vertreter der Formel 1.

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Erst acht Stunden später, als die Zuschauer sich in diesen ansteckenden Zeiten dicht an dicht vor den Toren drückten, wurde das Rennen offiziell abgesagt. In einer Erklärung von Fia, der Formel 1 und dem lokalen Rennstreckenbetreiber. Da sie diese gemeinsam zeichneten, ist noch längst nicht klar, wer für die Kosten aufkommen wird. Wenn eine derartig riesige Open-Air-Party aufgebaut wird, dann muss die Rechnung irgendwer bezahlen. Mehr als 117 Millionen Australische Dollar kostet die Veranstaltung jedes Jahr, auf rund 60 Millionen bleibt der australische Steuerzahler sitzen.

Es gab eine nächtliche Krisensitzung, auf der nicht nur Alfa Romeo und Ferrari, sondern dem Vernehmen nach auch Renault klargemacht haben, dass sie am Freitag ihre Zelte abbrechen wollen. Vier andere Teams hingegen argumentierten zunächst, dass sie zumindest am Freitag noch fahren würden: Red Bull, Alpha Tauri, Mercedes und Racing Point. Und so nahm eine unwürdige Posse ihren Lauf, die das Ansehen der gesamten Formel 1 beschädigt zurückließ. Die Lage war so konfus, dass Günther Steiner, der Chef des Haas-Rennstalls, berichtete, er sei "aufgestanden und zur Strecke gefahren" und habe nicht "gewusst, wo die Reise hingeht". Steiner jedenfalls wollte seine Rennwagen auf die Piste schicken. Völlig irre wurde die Situation, als noch kurz vor der offiziellen Absage der australische Rennveranstalter versicherte, das Rennen werde wie geplant über die Bühne gehen.

Die selbsternannte Königsklasse des Motorsports hat es hinbekommen, eine ganze Nacht darüber zu grübeln und beraten, ob sie eine Massenveranstaltung absagen soll, obwohl in deren Herzen, im Fahrerlager der Teams, ein Mitarbeiter positiv auf Covid-19 getestet worden war. Einen Rennstart überhaupt in Betracht zu ziehen, war jenseits aller medizinischen Erwägungen auch eine Unsportlichkeit gegenüber McLaren. Der Mitarbeiter des britischen Teams hatte sich nach einem positiven Test in Quarantäne begeben müssen. Der Rennstall zog daraus die richtige Konsequenz und sein Team vom Rennstart zurück - und schickte sogar vorsorglich 14 weitere Mitarbeiter in Quarantäne, die mit ihm in engem Kontakt gestanden hatten. Die betreffenden Teammitglieder müssen vorsichtshalber für 14 Tage im Hotel in Melbourne bleiben.

Die entscheidende Wende zur richtigen Entscheidung, das Rennen abzusagen, erfuhr der quälend zähe Prozess erst, als Mercedes seine Position überdacht hatte und auf Wunsch der Fia einen flammenden Brief schrieb: "Angesichts der Ereignisse höherer Gewalt, die wir im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie erleben, ist der Fokus des Teams nun, sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter so sicher und schnell wie möglich nach Hause zurückkehren." Fakt ist: Abgesagt wurde das Rennen erst, als sich die Mehrheit der Teams gegen einen Rennstart ausgesprochen und Mercedes sogar dieses Schreiben aufgesetzt hatte. Chase Carey, Kopf des Formel-1-Eigners Liberty Media, sagte, am Ende habe "der Rat des nationalen Gesundheitsministers" den Ausschlag gegeben. "Es war eine Anhäufung von Fakten." Die Erkrankung des McLaren-Mitarbeiters sei ebenso in die Entscheidung eingeflossen wie die Corona-Lage in "Melbourne, Australien und der ganzen Welt".

Auf die Frage, wieso eine Veranstaltung fortgeführt wird, während auf der ganzen Welt Sportveranstaltungen abgesagt werden, hatte Lewis Hamilton am Vortag gelästert: "Cash is king", Geld regiere die Welt. Chase Carey versuchte den Satz am Freitag zu kontern, indem er sagte: "Wenn Cash King wäre, dann hätten wir diese Entscheidung nicht getroffen." Der Konter ging allerdings ins Leere. Haben doch gerade die zähen Verhandlungen in der langen Nacht auf Freitag bewiesen, dass Hamilton richtig liegt und die Formel 1 ganz offensichtlich noch auf eine Austragung des Rennens gehofft hat, als die Zuschauer für eine unfreiwillige Massenveranstaltung vor verschlossenen Toren zusammenkamen. Hamilton begrüßte die Absage. "Wir alle wollen in unsere Autos steigen und Rennen fahren", teilte er mit. "Wir müssen aber realistisch sein und die Gesundheit sowie die Sicherheit auf die Pole-Position stellen."

Die Formel 1 will am Sonntag kommender Woche in Bahrain ein sogenanntes Geisterrennen ohne Zuschauer veranstalten. Carey kam erst kürzlich aus Vietnam zurück, wo er sich mit den Organisatoren über die Grand-Prix-Premiere am 5. April in Hanoi beriet. Auch dort steht das Rennen infrage. Reisende aus Italien müssen dort für 14 Tage in Quarantäne. Ob und wann die Formel 1 in diesem Jahr ihren Rennbetrieb aufnimmt, ist ungewiss. "In den kommenden Tagen werden wir uns natürlich mit den vor uns liegenden Events befassen", versicherte Carey. "Das sind herausfordernde Zeiten", sagte er. In dieser Woche waren sie etwas zu herausfordernd für die überforderte Formel 1.

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