Die Offiziellen in Australien haben sich in den vergangenen Tagen verhalten, als lebten sie nicht auf einer siebeneinhalb Millionen Quadratkilometer großen Insel, sondern auf einem Eiland der Glückseligen, dessen Einwohner mit speziellen Immunitäten gesegnet wären. Als Italien in der vergangenen Woche zum Land mit den zweitmeisten bestätigten Fällen des neuartigen Coronavirus aufgestiegen war, verhängten sie zwar eine 14-tägige Quarantäne für alle Einreisenden aus China, Iran und Südkorea. Nicht aber für Italiener, die wegen des an diesem Sonntag geplanten Formel-1-Auftakts in Melbourne in beträchtlicher Zahl erwartet wurden. Die Gründe für diese Sonderbehandlung blieben im Dunkeln. Erst am Mittwoch verfügte Australien auch eine Schutzquarantäne für Passagiere aus Italien. Da waren die Teams von Ferrari, Alpha Tauri und Haas, wo viele Italiener arbeiten, schon im Land.
Am Montag noch, als auf der ganzen Welt bereits Großveranstaltungen abgesagt und Spiele zu sogenannten Geisterspielen erklärt wurden, erklärte Andrew Westacott, der Chef des Grand Prix in Australien, es sei ausgeschlossen, dass sein Rennen ohne Zuschauer über die Bühne gehen würde. Er verwies auf das Cricket-Finale der Frauen, das in Melbourne am Sonntag vor 86 000 Zuschauern ausgetragen worden war. Und wenn Cricket gespielt werden kann, dann kann es für die Formel 1 ja keine Gefahr seitens der Virenfront geben - oder etwa nicht?
Formel 1:Massive Front gegen Ferrari
Der Automobilweltverband Fia und der Rennstall ziehen nach ihrem Deal erheblichen Ärger von fast allen Formel-1-Teams auf sich - die Kritiker wollen einen möglichen Skandal publik machen.
48 Stunden später hat die Realität die Traumwelt in Melbourne doch noch erreicht. Am Mittwoch wurde bekannt, dass sich zwei Teammitarbeiter von Haas sowie je einer von McLaren und Williams einem Test unterziehen mussten und sich im Hotel in Quarantäne befinden. Das Portal Auto, Motor und Sport berichtet über weitere Personen bei Ferrari und Alpha Tauri, die über Anzeichen einer Erkältung klagen. Das heißt freilich erst mal nichts. Die Untersuchungen folgen dem Skript einer Präventivstrategie, die zuvor mit den Teams abgesprochen worden war. Würde sich jeder Einwohner Melbournes, der gerade niest, in Quarantäne begeben - die Straßen wären bereits verwaist wie in Teilen Italiens.
Hamilton ist "schockiert", dass in Melbourne gefahren werden soll
Mit den Ergebnissen der Untersuchung wird frühestens am Donnerstag gerechnet. Da die Formel 1 ein kleiner Zirkel ist, dessen Mitglieder gemeinsam um die Welt ziehen, fände das Coronavirus aber zweifelsfrei paradiesische Zustände vor, hätte es sich einmal Zutritt verschafft. Je nach Ausgang der Tests sind alle Optionen denkbar: von einer Rennabsage über ein Geisterrennen bis zu einem Wettstreit mit Zuschauern und verschärften Kontakt-Auflagen. Schon am Mittwoch wurden die Autogrammstunden durch Bühnen-Interviews mit den Piloten ersetzt. Zudem sollen die Fahrer auf Selfies mit Fans verzichten.
Weltmeister Lewis Hamilton sagte offen, was er von all dem hält. Der Brite zeigte sich "schockiert" und "sehr überrascht, dass wir alle hier sind. Es scheint, als würde der Rest der Welt reagieren. Donald Trump lässt keine Europäer mehr in die USA, die NBA stoppt ihre Saison. Aber die Formel 1 macht weiter." Etwas zurückhaltender äußerte sich Sebastian Vettel. "Das ist alles sehr schwierig zu beurteilen", sagte der deutsche Ferrari-Pilot, "aber man kann sich durchaus die Frage stellen, warum wir hier sind."
Eigentlich sollten in dieser Saison 22 Rennen gefahren werden. Der Große Preis von China wurde auf Wunsch der Chinesen bereits auf unbestimmte Zeit verschoben. In Bahrain wird am 22. März ein Geisterrennen ausgetragen. In Vietnam (5. April) soll, Stand Donnerstagmorgen, gefahren werden. Allerdings besteht dort eine 14-tägige Quarantänepflicht für Reisende aus Italien - die Italiener der Formel 1 müssten aus anderen Ländern einreisen.