Leichtathletik und Schwimmen bei den Finals:Casting für den Olympia-Flieger

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Aus tiefen Tälern heraus an die nationale Spitze: Alexandra Burghardt ist über 100 Meter schneller als die Jahresbeste Lisa Mayer (rechts). (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Während die Leichtathleten in Braunschweig nur in kleinen Schritten vorankommen, nutzt Schwimmerin Anna Elendt die Bühne der "Finals" für zwei deutsche Rekorde.

Von Saskia Aleythe, Braunschweig

Die schönste Erfahrung war Olympia für Alexandra Burghardt bisher nicht. 2016 durfte die Sprinterin zwar mit nach Rio in den Flieger steigen, sie war aber als Ersatzfrau dabei, viel mehr als ein bisschen Flair aufsaugen kam nicht für sie dabei herum. In diesem Sommer soll das alles anders werden, dafür hat die 27-Jährige selbst gesorgt. Als sie am Samstag über 100 Meter in 11,14 Sekunden die Norm für die Sommerspiele unterboten hatte, ging ein Urschrei durchs Braunschweiger Stadion, wie man ihn zumeist nur von Athleten mit Wurfgeräten kennt.

Sie sei durch viele Täler gegangen, sagte Burghardt später und weinte Freudentränen. Am Sonntag war sie auch über die 200 Meter am schnellsten, in 23,15 Sekunden. In Tokio könnten sich bald ihre Wege kreuzen mit der derzeit schnellsten Frau der Welt: Shelly-Ann Fraser-Pryce, die in Kingston in Jamaika jüngst die zweitschnellste Zeit der Geschichte lief, 10,63 Sekunden - nur die Weltrekordinhaberin Florence Griffith-Joyner war 1988 schneller als die Frau aus Jamaika. Es war die überragende Leistung des Wochenendes neben dem Weltrekord der Niederländerin Sifan Hassan über 10 000 Meter: in 29:06,82 Minuten.

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Das Casting der deutschen Olympia-Mannschaft hat in der Leichtathletik gerade erst so richtig begonnen, und so klar wie bei Burghardt ist die Lage bei vielen Kolleginnen und Kollegen noch lange nicht. Auch nach den letzten Wettkämpfen der deutschen Meisterschaften hingen viele Fragezeichen über etlichen Disziplinen, was zum einen am frühen Termin der Titelkämpfe lag, zum anderen daran, dass sich zahlreiche verdiente Mitarbeiter abgemeldet hatten. Gina Lückenkemper, Konstanze Klosterhalfen, Denis Almaz, David Storl und Johannes Vetter, um nur einige zu nennen, sie alle klagten über Blessuren.

Reha statt Kräftemessen also, der Olympia-Flieger rumpelte beim Test noch etwas holprig über das Rollfeld. In der zweiten Kernsportart, dem Schwimmen, sind zumindest die Sitzplätze schon seit April vergeben - und in Anna Elendt hat man seit diesem Wochenende eine Athletin mit großem Erfolgserlebnis mehr an Bord.

Ein Wurf auf nicht mal 70 Meter? "Das wirft mich kein Stück zurück", sagt Thomas Röhler

Symbolisch für die ungewisse Stimmungslage bei den Leichtathleten stand der Auftritt von Speerwerfer Thomas Röhler. Vor 25 Monaten hatte der Olympiasieger von Rio seinen letzten Wettkampf bestritten, ob immer noch ein 90-Meter-Werfer in ihm steckt, ist derzeit ein großes Rätsel. Den Saisoneinstieg Mitte Mai verschob er wegen Rückenproblemen, nun das Comeback in Braunschweig: Da segelte der erste Speer auf nicht mal 70 Meter, kurz darauf war sein Wettkampf schon beendet. "Ich habe beim letzten Einwerfen schon gemerkt, irgendwie zieht es in der Brust", sagte der 29-Jährige. Mit dem Ärzteteam habe er entschieden, kein Risiko einzugehen. Er fand: "Das wirft mich kein Stück zurück."

Die drei Olympia-Tickets sind im zuletzt so starken deutschen Speerwerfen also weiter umkämpft, neben dem derzeit Weltbesten Johannes Vetter machen sich auch Andreas Hofmann, Bernhard Seifert und Julian Weber Hoffnungen. Nur: Alle fünf hatten in den vergangenen drei Jahren die Norm-Weite von 85 Metern erfüllt, brauchen aber auch jetzt noch einen Leistungsnachweis bis Ende des Monats. Vielversprechend war der Auftritt in Braunschweig nicht: Da reichten Weber schon 80,33 Meter zum Meistertitel und Seifert 78,35 zu Platz zwei; Hofmann laboriert noch an den Folgen einer Ellenbogen-OP. "Krass, das ist mein erster Titel", sagte Weber: "Und das mit der Weite, das hätte ich auch niemals gedacht."

Lichtblicke gab es im Eintracht-Stadion aber auch zu erspähen, neben Sprinterin Burghardt, Stabhochspringer Oleg Zernikel, Langhürden-Läuferin Carolina Krafzik (54,89 Sekunden) und 1500-Meter-Sieger Robert Farken (3:34,64 Minuten)- alles frische Normerfüller - versöhnte sich Gesa Felicitas Krause über 3000 Meter Hindernis mit der Ausrichterstadt. Im vergangenen Jahr hatte sie noch entkräftet aufgeben, diesmal gewann die WM-Dritte von Doha souverän (9:31,36 Minuten) und war am Sonntag auch über 5000 Meter am schnellsten (15:26,80). Bei den Männern kam Mohamed Mohumed sogar mit der schnellsten Meisterzeit seit Dieter Baumann 1998 ins Ziel: 13:30,78 Minuten. Speerwerferin Christin Hussong, derzeit Zweite der Weltjahresbestenliste, genügten indes schon 63,30 Meter zum Sieg, Malaika Mihambo rang sich nach 6,62 Metern im Weitsprung ein gequältes Lächeln ab, Diskus-Olympiasieger Christoph Harting wird seinen Titel in Tokio nach 57,29 Metern wohl nicht einmal verteidigen können.

Para-Weitspringer Markus Rehm gewinnt außer Konkurrenz - und ist enttäuscht

Am Sonntag spielte sich noch eine weitere Besonderheit im Dickicht des Qualifikations-Castings ab: Im Weitsprung gewann Fabian Heinle mit 7,81 Metern den Titel, der weiteste Satz aber kam außer Konkurrenz: von Prothesen-Springer Markus Rehm, mit 8,29. Der 32-Jährige fordert nach seinem Para-Weltrekord in der vergangenen Woche (8,62), dass der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) ihn für Olympia nominiert, was dieser bisher ablehnt. Im November 2020 hatte der Internationale Sportgerichtshof entschieden, dass Sportverbände den Sportlern nachweisen müssen, dass ihnen die Prothesen einen Vorteil verschaffen, was eine Umkehr der Beweislast bedeutet. Der Weltverband World Athletics hat die Regeländerung aber noch nicht umgesetzt, darauf beruft sich nun der DLV. Die Norm für Tokio hat Rehm als bislang einziger Deutscher erfüllt. "Ich würde bei Olympia keinem den Platz wegnehmen, es geht mir um einen reinen Start, in welcher Wertung auch immer", sagte er in Braunschweig. Und fügte an: "Ich finde es schade, dass man nicht in den Austausch geht."

Chance genutzt: Anna Elendt bricht bei den deutschen Meisterschaften in Berlin gleich zwei nationale Rekorde. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Derlei Kontroversen beschäftigten die Schwimmer in Berlin nicht, auch bei ihnen waren die "Finals" eher kein Sammelpunkt der Besten: Die WM-Medaillengewinner Florian Wellbrock und Sarah Köhler bringen sich gerade lieber im Höhentrainingslager in Olympiaform, dafür nutzte eine andere die Bühne: Anna Elendt, die gleich zwei deutsche Rekorde knackte. Über 100 Meter Brust schlug die 19-Jährige in 1:06,50 Minuten an und war damit 51 Hundertstelsekunden schneller als Sarah Poewe bei der WM 2009 in Rom, als noch in Hightech-Anzügen geschwommen wurde. Auch die nicht-olympischen 50 Meter Brust schwamm Elendt in Rekordzeit (30,67 Sekunden). "Ich fange direkt am Montag oder Dienstag wieder mit Training an. Es wird bis Tokio durchgezogen", sagte Elendt, die in den USA trainiert. Marco Koch, der einzige ehemalige Weltmeister in Berlin, sagte seinen Start kurzfristig ab, er habe mit Nachwirkungen der Corona-Impfung zu kämpfen. Die Unwägbarkeiten im Jahr zwei der Pandemie - sie werden die Sportler noch so einige Wochen bis Olympia beschäftigen.

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