Finalniederlage gegen Chelsea:Bayern verzweifelt an einer brutalen Nacht

Lesezeit: 4 min

"Wir haben immer über Leverkusen gelächelt": Beim Bankett im Münchner Postpalast versucht der FC Bayern in der Nacht die Niederlage im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea zu begreifen. Mit mäßigem Erfolg. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge findet seltsame Worte, für Präsident Uli Hoeneß sind drei zweite Plätze in einer Saison inakzeptabel und Bastian Schweinsteiger verlässt als einer der ersten den Saal.

Benjamin Romberg

Als einer der letzten Spieler saß Philipp Lahm noch im Bankettsaal des Münchner Postpalastes, wo die Bayern sich nach der Niederlage im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea zum Abendessen getroffen hatten. Der Blick leer, Frau Claudia lehnte an seiner Schulter - doch Trost konnte auch sie nicht spenden. Lahm war offensichtlich immer noch weit weg, irgendwo auf dem Rasen der Allianz Arena, wo die Bayern zuvor eine historische Chance verspielt hatten. Die Chance auf den Champions-League-Titel im eigenen Stadion - als erste Mannschaft überhaupt.

Bayern-Präsident Uli Hoeneß beim Bankett im Gespräch mit Karl-Heinz Rummenigge. (Foto: REUTERS)

Für Trauerarbeit war es in dieser Nacht zu früh. Erst einmal mussten die Beteiligten begreifen, was da eigentlich geschehen war. "Das ist ein Riesenproblem, dass du es nicht fassen kannst", erklärte Präsident Uli Hoeneß die größte Schwierigkeit bei der Aufarbeitung des Geschehenen.

Die Fassung zu bewahren, das fiel auch Karl-Heinz Rummenigge sichtlich schwer. Um 2.20 Uhr betrat er die Bühne und griff sich das Mikrofon. "Das war ein Abend, an dem man sagt, dass man lieber zu Hause geblieben wäre und das nicht erlebt hätte", eröffnete er seine Bankettrede. Was folgte waren teils überraschende Worte des Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern, unfair könnte man gar sagen. Wären die Zuhörer nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen - viele hätten sich wohl gefragt: Was soll das?

"Wenn man das Gute sehen will", sagte Rummenigge, "Wille, Einsatz und Kampf der Mannschaft waren okay." Okay? Die Enttäuschung saß tief, doch dieses Fazit wird der Leistung der Mannschaft nicht gerecht. Die Bayern hatten den FC Chelsea über 120 Minuten beherrscht. Nicht nur mit Kampf und Einsatz, sondern vor allem auch spielerisch. Nie zuvor gab es ein derart einseitiges Champions-League-Finale.

Genau richtig lag Rummenigge aber mit seiner weiteren Analyse: Der einzige Vorwurf, den man der Mannschaft machen könne, wären die vergebenen Matchbälle. Bei diesen Worten zuckten einige der Anwesenden innerlich zusammen. Da waren sie wieder, die Bilder vom jubelnden Didier Drogba, der kurz vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich erzielt hatte, als die meisten Bayern-Fans sich schon überlegten, wie sei am schnellsten auf die Leopoldstraße kommen. Per Kopf, nach einer Ecke. Der einzigen für Chelsea. Bayern hatte deren 18.

Da waren auch wieder die Bilder von Arjen Robben, der in der Verlängerung aus elf Metern an Petr Čech gescheitert war. Zusammengekauert saß Robben auf seinem Stuhl im Bankettsaal, den Kopf auf seinen Arm gestützt. "Wenn er festgelegt ist als Nummer-1-Schütze, dann schießt er den Elfmeter", verteidigte Uli Hoeneß die Entscheidung. Als Problem sah er die lange Unterbrechung durch die Verletzung von Franck Ribéry: "Das ist für einen Spieler keine gute Ausgangsposition. Da wird man kalt, da kommt man aus dem Rhythmus."

Bankett des FC Bayern
:Nur Lahm bleibt bis zum Ende

Im noblen Münchner Postpalast kamen die geschundenen Bayern-Spieler nach der Niederlage zusammen. Doch Lachs-Carpaccio, liebevolle Ehefrauen und ein fürsorglicher Kapitän boten nur einen geringen Trost.

Der letzte vergebene, alles entscheidende Matchball folgte dann im Elfmeterschießen. Robben war dieses Mal nicht angetreten, doch Ivica Olic und Bastian Schweinsteiger hatten mit ihren Fehlversuchen Drogba den Weg zum entscheidenden Schuss ins Glück geebnet. Schweinsteiger wird diesen Abend wohl lange nicht vergessen. Als letzter stieg er die Treppen der Arena hinauf zu den Uefa-Offiziellen. Mit gesenktem Kopf schritt er vorbei an Michel Platini, der ihm im Vorbeigehen die Medaille in die Hand drückte. Der Blick verharrte am Boden, als er Bundespräsident Joachim Gauck passierte, dessen dargebotene Hand offenbar nicht bemerkte und die Treppen ohne Pokal wieder hinabstieg. Das nächtliche Bankett verließ er lange vor Lahm.

Bankett des FC Bayern
:Nur Lahm bleibt bis zum Ende

Im noblen Münchner Postpalast kamen die geschundenen Bayern-Spieler nach der Niederlage zusammen. Doch Lachs-Carpaccio, liebevolle Ehefrauen und ein fürsorglicher Kapitän boten nur einen geringen Trost.

Während Rummenigges Rede drehte sich das Bayern-Logo an der Decke des Saals. Am unteren Teil der Bühne war das Bonmot zu lesen, das die Münchner in den letzten Wochen begleitet hatte: "Finale dahoam." Ein Traum, der nach den Worten von Sportdirektor Christian Nerlinger zum "Alptraum" wurde, einem "schlechten Film".

Der schlechte Film ist das Ende einer ganzen schlechten Serie von geplatzten Träumen, die mit dem Drama im eigenen Stadion ein würdiges Ende fand. Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League futsch. Dreimal nur Zweiter. "Wir haben immer über Leverkusen gelächelt, jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation", gab Hoeneß zu. Auf die Dauer habe er keine Lust immer Platz zwei zu belegen. "Das ist kein Zustand, den ich akzeptieren kann."

Als schreiende Ungerechtigkeit empfanden nicht nur Fans des FC Bayern, sondern auch neutrale Beobachter den Ausgang des Spiels. Auf der Suche nach einer Erklärung für die unfassbare Niederlage wollte Bayern-Trainer Jupp Heynckes aber keine Kritik am Gegner zulassen. "Wir haben zu viele Chancen liegenlassen. Wir dürfen dem Gegner keine Vorwürfe für seine Spielweise machen. Mit so etwas muss man im Fußballer-Leben fertig werden." Ganz anders Hoeneß: "Die wissen ja bis jetzt noch nicht, wie sie das gemacht haben", sagte der Bayern-Präsident verbittert.

"Wenn die Engländer morgen aufwachen, werden sie sich fragen: Was ist eigentlich passiert, dass wir den Pokal gewonnen haben und nicht Bayern München", sagte auch Rummenigge in seiner Rede, die von langsamer, fast getragener Live-Musik begleitet wurde. Die Mannschaft habe eine "großartige Champions-League-Saison" gespielt. "Wir haben eine Chance verpasst, es wäre möglich gewesen und es ist unverständlich, dass es nicht geklappt hat."

Zuletzt durfte auch der Vergleich zum bislang größten Drama in der Champions-League-Geschichte der Bayern nicht fehlen: Die Last-Minute-Niederlage gegen Manchester United im Finale von Barcelona 1999. "Das war unglaublich brutal", erinnerte Rummenigge, "aber heute war eigentlich noch brutaler - und überflüssiger." Er sei auf der Fahrt vom Stadion an vielen Bayern-Fans vorbeigefahren und habe "unheimliche Trauer" gesehen.

"Diese Niederlage zu verdauen, wird sehr schwierig", prognostizierte Nerlinger - und Hoeneß erklärte: "Wie ich das persönlich verarbeiten kann, weiß ich noch nicht." Die Trauerarbeit hatte da noch nicht einmal begonnen, das erkannte auch Rummenigge: "Ich glaube, Trauer und Wut wird bei uns erst so richtig morgen früh zum Tragen kommen." Und selbst das ist optimistisch. Er habe "kein Auge zugemacht", schrieb Thomas Müller am Sonntagmorgen bei Facebook. "Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben."

© Süddeutsche.de/bero - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: