Champions League:Simeone: "Zwei Finals zu verlieren bedeutet: Versagen!"

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Juanfran nach seinem verschossenen Elfmeter. (Foto: Getty Images)

Atlético resigniert nach der Niederlage gegen Real Madrid. Trainer Simeone lässt seine Zukunft offen.

Von Javier Cáceres, Mailand

Der Fußball ist kein guter Ort, um Grausamkeiten zu umschiffen. Oder um auf eine wie auch immer geartete Gerechtigkeit zu hoffen. Denn der Fußball wird sich, wie das Leben, immer einen Weg bahnen, um einem in die Hacken zu treten. Wer sollte das besser wissen als die Anhänger von Atlético Madrid?

Drei Mal stand ihr Verein nun schon im Finale der europäischen Königsklasse. Doch seit Samstag ist er der einzige Klub, der es auch im dritten Anlauf verpasst hat, den wichtigsten europäischen Vereinspokal zu gewinnen.

1974 sah Atlético gegen den FC Bayern schon wie der sichere Sieger aus - dann traf Schwarzenbeck. In der 120. Minute erzwang er ein Wiederholungsspiel, das die Münchner 4:0 gewannen. 2014 sah Atlético gegen Real Madrid wie der sichere Sieger aus - dann traf Sergio Ramos. In der Nachspielzeit erzielte er das 1:1 und erzwang eine Verlängerung, in der Real drei weitere Tore gelangen. Und am Samstag?

Tja, am Samstag, im Stadio San Siro zu Mailand stand es nach 120 Minuten wieder mal 1:1, nachdem sich Atlético nach dem 0:1 durch Sergio Ramos (15.) ins Spiel gekämpft, durch Yannick Carrasco (79.) ausgeglichen und eigentlich genug Meriten erworben hatte, um nach Punkten zum Sieger erklärt werden zu können.

Doch so läuft das nicht. Anders als beim Boxen gibt es beim Fußball keine Punktrichter, es zählen nur die Tore. Und wenn in einem Finale am Ende ein Remis steht, wird die krude Entscheidungshilfe herangezogen: Elfmeterschießen. Dieses jedoch verloren die ewig Unglücklichen von Atlético gegen den großen Nachbarn mit 3:5. Und nun werden unzählige Kinder an diesem Montag in Madrid einen schweren Schultag haben, und in den Bars werden die Eltern die Zeitungen auf der Theke beiseiteschieben, auf denen Reals "Undécima" gefeiert wird, der elfte Europapokal.

Und wenn sie den Kopf heben, werden sie das Grinsen der "madridistas" zu ertragen haben, die sich, mit einigem Recht, als Könige Europas fühlen dürfen: "Reyes de Europa, somos los Reyes de Europa", sangen die Real-Fans zur Melodie des kubanischen Klassikers Guantanamera. "Ooooolé" riefen sie, als sich Sergio Ramos mit dem roten Tuch, das ihm der Torero Alejandro Talavante geschenkt hatte, einen imaginären Stierkampf mit dem Henkeltopf lieferte. Zu diesem Zeitpunkt saßen noch viele Atlético-Fans auf der Tribüne. Über ihnen schwebte nur eine Frage: Warum?

Vielleicht war ein Grund jener, der am Vorabend des Endspiels thematisiert worden war. Was er davon halte, dass so viel darüber geredet werde, Atlético vertraue auf abergläubische Rituale, wurde Diego Simeone gefragt. "Wer so etwas sagt, schätzt unsere Arbeit gering", antwortete der Trainer, zornig und pikiert. Doch wenn es stimmt, was Real Madrids nunmehr pensionierter Verteidiger Álvaro Arbeloa nach dem Spiel offenbarte, erlag Atlético genau dem: einem irrwitzigen Aberglauben.

Rückblende: Im Viertelfinale gegen den PSV Eindhoven hatte Atlético schon einmal ein Elfmeterschießen überstehen müssen. Sie traten damals als Zweite an, schossen immer hinterher, und es ging gut. Wohl deshalb ließen sie in Mailand Real den Vortritt. Atlético gewann beim Münzwurf, bei dem es darum ging, wer als Erster zum Elfmeterpunkt schreiten würde. Aber sie wollten wieder hinterher schießen, berichtete Arbeloa. Die Wahl des Tores, auf das geschossen werden musste, ging dann an Sergio Ramos. Natürlich wählte Reals Kapitän den Kasten vor dem eigenen Anhang. Der feierte dies wie die Antizipation des Sieges, der dann folgte.

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Alle Atlético-Schützen trafen, bis als Nummer vier der Rechtsverteidiger Juanfran antrat, also derjenige, der gegen PSV den letzten Elfmeter verwandelt hatte. Juanfran setzte den Ball an den linken Außenpfosten. Anschließend kam nur noch Cristiano Ronaldo und traf zum 5:3. Beziehungsweise zu einem Sieg des empirisch gefestigten Glaubens Real Madrids an sich selbst - gegen den Glauben Atléticos an höhere Mächte, die nicht existieren.

"Ich habe zu Zidane gesagt, dass ich das Siegtor schießen würde", erzählte Ronaldo später in der Mixed Zone, "ich hatte eine Vision." Juanfran hingegen weinte, bis seine Augen aussahen wie die eines Zombies. Er taumelte auf dem Platz umher, wies jeden Versuch der Kollegen, ihn zu trösten, verzweifelt zurück. Nie hat Atlético den Henkeltopf stemmen dürfen, den Real nun schon elf Mal gewinnen konnte - ein einsamer Rekord. Sogar Simeone, der mehr Hohepriester denn Trainer Atléticos ist, sagte resigniert, dass er "nachdenken" müsse wie es weitergeht - ein Wink mit dem Abschied -, und flüchtete sich in Defätismus. Deutlich wie nie proklamierte er, dass für ihn das Resultat über allem steht. Dass der Weg nicht das Ziel ist. "An den Zweiten erinnert sich niemand. Zwei Finals zu verlieren bedeutet: Versagen!", sagte er. Dabei trug er ein Gesicht und ein schwarzes Hemd, mit dem er bei jeder Aufbahrung von Toten hätte vorbeischauen können.

Den Kontrast dazu bildete Ronaldo. Mit einem offenen weißen Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, trat er vor die Presse: "Wir leben einen Traum." Da war dem Portugiesen schon nichts mehr von den körperlichen Mühen anzusehen, die in der Verlängerung vor allem die Spieler Madrids verkrampfen ließen, und die dann allesamt vergessen waren. Vergessen wie die Chance von Karim Benzema, der das 2:0 auf dem Fuß hatte. Vergessen auch der verschossene Atlético-Elfmeter von Antoine Griezmann. Vergessen wie die Tränen des Atlético-Eigengewächses Fernando Torres, der einen Champions-League-Sieg mit seinem Stammverein über sein Tor gegen Deutschland im EM-Finale von 2008 gestellt hatte. Und vergessen wie der Umstand, dass Sergio Ramos beim Tor zum 1:0 doch ein bisschen abseits stand.

Ausgerechnet Ramos, der sich die Minute und die Sekunde seiner Heldentat im Finale von 2014 - 92:48 - auf den linken Arm tätowieren ließ. Und der sich, wenn er jetzt noch jene 14:26, die Zeit seines Tores zum 1:1, auf die Haut brennt, nicht mehr verkleiden muss, wenn er beim Karneval als Telefonbuch gehen möchte.

Eine Tattoo-Stecherei, heißt es, sei nicht selten mit Schmerzen verbunden. Doch die gehen vorbei. Tattoos auf der Seele hingegen bleiben ewig, und auf der Seele der Fans von Atlético lastet nun eine unauslöschliche Triade: 1974, 2014, 2016.

"Ich weiß nicht, was mehr weh tut, ob Lissabon 2014 oder dies", sagte Simeone, als er danach gefragt wurde. Er erklärte, dass ihn vielmehr etwas anderes schmerze. Dass er an die Leute denke, "die sich ihr Ticket abgespart haben, die nach Mailand gereist waren, die Illusionen gehegt hatten". Und er fuhr fort: "Ich konnte ihnen nicht geben, was sie wollten. Und das schmerzt mehr als alles andere."

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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