Fußball-WM:Die Ukraine als Symbolpolitik

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Das Stadion von Kiew war 2012 Spielstätte bei der EM . (Foto: Andrey Lukatsky/AP)

Das von Russland überfallene Land bewirbt sich mit Spanien und Portugal um die WM 2030. Das ist Symbolik und eine Reaktion auf eine andere Kandidatur, hinter der zwei Figuren stehen: der saudische Kronprinz und der Fifa-Boss.

Kommentar von Thomas Kistner

Nun also noch WM-Fußball in der Ukraine. Das gebeutelte Land in Osteuropa will gemeinsam mit der westlichsten Region des Kontinents, Spanien und Portugal, für die WM-Vergabe 2030 kandidieren. Was die im Sport (der sich gern gegen jede politische Einmischung wehrt) betriebene Symbolpolitik auf neue Höhen führt. Denn hier geht es nur um Symbolik; wie es wirklich in acht, fünf oder auch nur zwei Jahren in der Ukraine aussieht, kann heute niemand verlässlich prognostizieren. Nur eine Vorrundengruppe ist dort angedacht, was zeigt: Hauptsache, die Botschaft ist draußen.

Europas neues Dreigestirn ist auch eine Reaktion auf die neueste Sport-Offensive aus der Golfregion, hinter der zwei beste Freunde stehen: Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman und der Fifa-Boss Gianni Infantino. Auch die Saudis schieben ein Trio auf die Rampe: Mit Ägypten und Griechenland soll das erste kontinental übergreifende Co-Hosting stattfinden. Ägypten ist beglückt; die Griechen, wird getuschelt, fänden Gefallen an neuen Stadien, zu denen der superreiche Partner aus der Wüste beitragen könnte. Und die Saudis selbst - nun, die haben es gerade schwer, sie müssen dem ungeliebten Nachbarn Katar dabei zusehen, wie der ins Zentrum des Weltsport-Interesses rückt. In Kürze wird dort die WM angepfiffen. Zum Trost hat sich Riad noch rasch die Asien-Winterspiele 2029 gesichert. Skigebiete in die Wüste bauen: Man gönnt sich ja sonst nichts.

MeinungSaudi-Arabiens Sportstrategie
:Und nun: Winterspiele in der Wüste

Nein, das ist kein Witz. Die asiatischen Winterspiele sollen 2029 in einer noch zu bauenden Megacity stattfinden. Das wirkt erst mal nur bizarr, doch es ist Teil eines größeren Konzepts der saudi-arabischen Despoten - das in einer Fußball-WM enden könnte.

Kommentar von Johannes Aumüller

Die Welt ist aus den Fugen, auch im Sport. Und mit Blick auf den Fußball fragt sich, ob es so ein Ukraine-Projekt in Europa wirklich geben würde, gäbe es nicht die Absicht der Saudis, mit einem europäischen Partner ins WM-Geschäft zu steigen. Maßgeblicher Akteur ist Weltverbandschef Infantino, der im Vorjahr seinen Lebensmittelpunkt aus der heimischen Schweiz, wo die Fifa residiert, ins sechs Flugstunden entfernte Katar verlagert hat. Was an Dohas landschaftlichen Reizen liegen könnte. Oder eben daran, dass in der Schweiz Strafermittlungen gegen ihn laufen: ein besorgniserregender Status, der Infantinos Vorgänger Sepp Blatter 2015 das Amt gekostet hatte. Diese Ermittlungen haben seit Sommer richtig Fahrt aufgenommen.

Erst in Doha wohnen - und dann in Riad?

Nach der WM in Katar könnte Doha des eng mit Riad verbandelten Fifa-Bosses überdrüssig werden, auch gibt es dort kein Fußballthema mehr, das die Dauerpräsenz des Präsidenten erfordert. Wohin also? Man will ja nicht vorgreifen - aber bestünde, falls Saudi-Arabien in den WM-Ring steigt, nicht auch dort großer Bedarf an einem Weltfußball-Kapo vor Ort?

Klar, das ist spekulativ. Tatsache ist aber, dass sich hinter jeder neuen Kapriole des Weltfußballs dieser tiefe Riss auftut, den Infantinos bislang durchgängig gescheiterten Reform-Projekte verursacht haben: Von dem Plan, fast sämtliche Fifa-Rechte diskret an Milliarden-Investoren unter saudischer Regie zu verhökern, über diverse Formate für Klub- und National-Teams bis zur jüngst krachend gescheiterten Schnapsidee, die Fußball-WM alle zwei Jahre auszutragen. Auch dabei standen offiziell die Saudis Pate: Formal schlugen sie das bei der Fifa vor, Infantinos Maschinerie konnte es dann nur nicht gegen die Widerstände vor allem in Europa durchboxen.

Ruhe im Fußball, Entspannung in der chronisch aufgewühlten Fußballwelt tritt erst ein, wenn die Branche ihr absurdes Personalproblem gelöst hat.

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