FC Schalke 04:Tedesco wehrt sich vergeblich

Lesezeit: 3 min

Wann genau bildeten die Spieler von Schalke 04 zuletzt eine derartige Spielertraube? Nach dem 2:0 gegen Leipzig war es wieder so weit. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Auf Schalke sind sich Spieler und Manager einig: Der Matchplan war entscheidend für den Sieg über Leipzig - damit ist nur der neue Trainer nicht einverstanden.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Es war nicht die letzte, sondern die allerletzte Aktion im Abschlusstraining, als Guido Burgstaller im Zweikampf einen offenbar mächtigen Schlag abbekam. Für den betroffenen Mittelstürmer war das ein besonders schmerzhafter Unfall, für den betroffenen Trainer ein besonders großes Ärgernis. Domenico Tedesco musste seine Aufstellung ändern. Statt des lädierten Torjägers Burgstaller nominierte er für die Auftaktpartie gegen RB Leipzig Franco Di Santo als Angriffsspitze, einen Mann, der in den zwei Jahren als Schalke-Profi schon viele lustige Bilder auf Instagram veröffentlicht hat (unter anderem mit seinem Schäferhund India), der aber nur sehr gelegentlich das getan hat, wofür er aus Bremen gekommen war: Tore schießen und vorbereiten. Viele Schalker mögen sich am Samstagabend gewundert haben, dass der Argentinier überhaupt noch ihrem Klub angehört.

Wie das im Theater gern mal so ist, war der vergessene Di Santo dann einer der tragenden Darsteller bei Schalkes 2:0-Sieg, und Tedesco hat - ausnahmsweise - dem fleißigen Angreifer ein Sonderlob gewidmet, nachdem dieser der lange Zeit in Stellungskämpfen erstarrten Partie in der 43. Minute den nötigen Wende-Moment zufügte. Di Santo hatte in jenem Moment lehrbuchhaft das Richtige getan - nicht nur, weil er zur rechten Zeit zum Konter gestartet war, sondern, weil er sich nach dem Betreten des Strafraums sehr versiert von seinem Gegenspieler Dayot Upamecano rempeln ließ. Den Schiedsrichter Felix Zwayer veranlasste sein gekonnter Sturz ohne Rücksicht auf das Fernsehgericht zum spontanen Elfmeterpfiff. "Das 1:0 ist Francos Laufweg, er holt den Elfmeter raus", lobte Tedesco und machte damit eine Ausnahme: Über die Verdienste einzelner Spieler hatte er eigentlich nicht reden wollen. Noch weniger allerdings wollte er über seine eigenen Verdienste reden.

Hamburger SV
:Aufstand der Luschen

Dem Hamburger SV gelingt in der Bundesliga der erste Startsieg seit sieben Jahren. Dennoch spricht danach kaum jemand darüber.

Von Jörg Marwedel

Das erledigten andere an seiner Stelle. Der Kapitän Ralf Fährmann zum Beispiel, der sich überzeugt gab, dass dieser nicht überall erwartete Sieg vor allem einer Sache zu danken war: dem brillanten Matchplan des neuen Trainers. "Das war der Schlüssel für den Erfolg", behauptete der Torwart. Reihum im Schalker Lager teilte man seine Meinung. Leon Goretzka folgte ("Der Trainer hat uns hervorragend vorbereitet, der Plan ist super aufgegangen"), Di Santo schloss sich an, und auch das Vorstandsmitglied Christian Heidel erkannte Inspiration durch den Coach. So berichtete der Manager von neuen Tendenzen in der Spielerkabine: "Die Jungs befassen sich auf einmal mit Taktik, das ist wirklich hochinteressant." Auch wollte er beobachtet haben, dass die Spieler mitten im Kampfgeschehen "sehr oft" zu Tedesco hinübergeschaut hätten, "die verstehen ihn anscheinend, sonst hätte das nicht so gut funktioniert".

90 Spielminuten plus sechs Minuten Zugabe sind absolviert, und Domenico Tedesco alias "der Einser-Schüler" alias "das Superhirn" - so seine gängigen Medien-Synonyme - muss bereits dagegen ankämpfen, dass er zu einer Figur stilisiert wird, die er nicht sein will und wohl auch nicht sein kann. Er dementierte deshalb bei jeder Gelegenheit: Nicht der Matchplan habe die Partie gewonnen, sondern die hervorragende Verteidigungsleistung, der Kampfgeist und die Solidarität der Spieler. Tedescos Einspruch war keine falsche Bescheidenheit, er gab die Wahrheit über ein Spiel wieder, in dem Schalke über weite Teile unter Leipziger Vorherrschaft stand (die allerdings nur anderthalb Chancen erzeugte). Wahrscheinlich wird alles Leugnen nichts nutzen. Im Ruhrpott und im Rest der Welt wird man nun bis zum Beweis des Gegenteils vom "neuen Schalke" reden, welches das junge Genie angeblich erschaffen hat.

Ein vielversprechendes Debüt war es allemal, und tatsächlich gab es spielerische Ansätze, die in Gelsenkirchen lange vermisst worden waren: mehr Tempo bei den Gegenangriffen, direktes Passspiel nach Ballgewinn, weniger Ballhalten, weniger Rückpässe. Mancher Schalker sah auf einmal ganz anders aus als bisher: Außer dem Flügelstürmer und 2:0-Torschützen Jewgeni Konopljanka, der wie Di Santo bisher als krasser Fehleinkauf gehandelt wurde, gehörte dazu auch ein anerkannter Könner wie Nabil Bentaleb. Dessen Ballverliebtheit machte Schalkes Spiel in der Vorsaison umständlich und träge, nun nutzte er seine enormen technischen Kapazitäten zur Beschleunigung des Vorwärtsgangs.

Dazu fand er jedoch seltener Gelegenheit, als Tedesco erwünscht hatte. Leipzigs systematisches Pressing zwang Schalke in die Defensive wie bei einem Auswärtsspiel, und die innere Abwehrreihe mit dem alten Feldherrn Naldo, dem jungen Thilo Kehrer und dem coolen Serben Matija Nastasic leistete dazu beeindruckende Arbeit: indem sie den Gegner vom eigenen Tor fernhielt, und indem sie bei Ballbesitz zügig in die Offensive schaltete. Im Weltfußball keine neue Erfindung - auf Schalke durchaus. Für Nationalspieler Benedikt Höwedes, auf der Ersatzbank platziert, könnte es wegen seiner spielerischen Defizite schwierig werden mit der Rückkehr in die erste Elf. Da zieht ein Politikum heran. Tedesco lobte Höwedes für dessen Kabinenansprache - mit goldenen Worten, aber auch bemüht.

Helden und Legenden zu haben, ist schön, macht aber auch Mühe. Heidel gab jetzt bekannt, dass der langjährige Publikumsliebling Atsuto Uchida von der Trainingspflicht befreit worden sei, damit er sich einen neuen Verein suchen könne. Diese Meldung war zu erwarten: Mehr als zwei Jahre hat der Japaner nach seiner Knieverletzung nicht mehr in der Liga gespielt. Trotzdem braucht es Taktgefühl, um die bittere Botschaft zu vermitteln: "Schalke 04 wird einen Atsuto Uchida niemals wegschicken", erklärte Heidel.

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Peter Stöger im Interview
:"Wo viel Liebe ist, sind Träumereien - oder extremes Leiden"

Trainer Peter Stöger spricht im SZ-Interview über die Erwartungen in Köln, Doppelbelastung in Zeiten der Europa League und was er von "seinen Burschen" nicht verlangen will.

Von Sebastian Fischer und Moritz Kielbassa

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: