Premier League:Zur Belohnung eine Vollumarmung von Klopp

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In den Fängen des Trainers kaum mehr zu erkennen: Jürgen Klopp herzt den Liverpool-Torschützen Stefan Bajčetić. (Foto: Carl Recine/Reuters)

Der schwach gestartete FC Liverpool setzt bei Aston Villa seine Aufholjagd fort. Behilflich sind drei eingewechselte Teenager, von denen einer direkt trifft. In der Rückrunde soll der niederländische WM-Angreifer Cody Gakpo sofort helfen.

Von Sven Haist, London

Die naheliegende Lösung für Stefan Bajcetic wäre gewesen, aus vollem Lauf einfach abzuziehen. Ein direkter Torabschluss hätte zur stürmischen Spielweise des Liverpool Football Club gepasst, mit der das Team von Trainer Jürgen Klopp auch am Montagabend im Ligaspiel bei Aston Villa zu Werke ging.

Doch Bajcetic hob den Ball mit dem rechten Fuß auf Höhe des Elfmeterpunkts zunächst geschickt an, als sich zwei Gegenspieler auf ihn stürzten, darunter Villa-Torwart Robin Olsen, der den noch abwesenden argentinischen Weltmeisterkeeper Emiliano Martínez vertrat. Erst mit der Folgeaktion presste der Mittelfeldspieler Bajcetic den Ball mit links irgendwie durch die Beine des auf der Torlinie stehenden Verteidigers Tyrone Mings. Damit wurde er im Alter von 18 Jahren und 65 Tagen zum drittjüngsten Torschützen des FC Liverpool in der Premier-League-Geschichte, nach Michael Owen und Raheem Sterling.

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Mit seinem sehenswerten Treffer bewies der in Spanien geborene Bajcetic, dessen Vater Srdjan einst Fußballprofi in Serbien war, ein ebenso feines Füßchen wie Trainer Klopp ein feines Händchen. Obwohl die Partie nach Aston Villas Anschlusstor durch Ollie Watkins (1:2/59. Minute) zu kippen drohte, entschloss sich Klopp, den bislang in lediglich 21 Liga-Minuten erprobten Bajcetic einzuwechseln - für Kapitän Jordan Henderson. Nur 116 Sekunden später (81.) entschied der Youngster mit seinem Tor zum 3:1-Endstand die Partie. Vor genau zwei Jahren hatte Liverpool Bajcetic für gerade mal eine Viertelmillion Euro aus der Nachwuchsabteilung von Celta Vigo geholt. Diese Verpflichtung dürfte sich schon jetzt ausgezahlt haben.

Dass Bajčetić trifft, sei wie eine Weihnachtsgeschichte, findet Klopp

Zur Belohnung erhielt Bajcetic nach Abpfiff eine Klopp-typische Vollumarmung, bei der er in den bärenartigen Armen seines Trainers kaum mehr zu erkennen war - und dazu viel Lob. Der Tor-Einstand des Teenagers gleiche "einer Weihnachtsgeschichte", sagte Klopp, ihm habe das Tor von Bajcetic, "am besten" gefallen. Der Junge mache sich "über nichts" Gedanken und trete rotzfrech auf: "cheeky as hell". Die Zeitung Times schrieb, Bajcetic habe mit "heruntergelassenen Socken", aber "erhobenem Kopf" agiert. Die Schlagzeile dazu: "Klopps Rookies sorgen für Ordnung nach dem Chaos in der zweiten Halbzeit."

Diese Sichtweise war zutreffend, weil Klopp neben Bajcetic zwei weitere Jungspunde in der brisanten Schlussphase losschickte. Auch deren Namen dürften künftig häufiger zu lesen sein: Harvey Elliott, 19, und Ben Doak, 17, zwei dribbelstarke Offensivspieler. Für den Schotten Doak, erst im Sommer bei Celtic Glasgow ausgelöst, war der Kurzeinsatz am Montag das Profidebüt für Liverpool in der Liga, während Elliott seit seiner Ankunft aus Fulham vor dreieinhalb Jahren immer wieder mal mit dabei ist. Ihr Mitwirken war einerseits überraschend, andererseits naheliegend: Liverpool verfügt zwar über eine sehr schlagkräftige Startelf, die zunächst eine beruhigende 2:0-Führung durch die Routiniers Mo Salah (5.) und Virgil van Dijk (37.) herausschoss. Doch wegen mehrerer verletzter Stammspieler bietet der Kader nicht mehr viele etablierte Alternativen.

Solche wären allerdings notwendig, um dem Kräfteverschleiß dauerhaft zu trotzen. Denn durch seinen schwachen Saisonstart ist Liverpool in der Ligatabelle früh ins Hintertreffen geraten, und ein Verpassen der Champions League würde das im Vergleich zur finanzkräftigen Konkurrenz eher spärliche und spielraumarme Budget noch weiter belasten.

Der Rückstand auf Arsenal beträgt weiter 15 Punkte

Beim Start nach der WM-Pause setzte Liverpool nun durch den dritten Ligasieg hintereinander die eingeläutete Aufholjagd fort. Der Rückstand auf den vierten Champions-League-Platz, den Tottenham (2:2 in Brentford) innehat, reduzierte sich auf fünf Punkte, bei einem Spiel weniger. Spitzenreiter FC Arsenal, den beim 3:1 gegen West Ham erstmals seit viereinhalb Jahren wieder Trainerlegende Arsène Wenger bei einem Heimspiel verfolgte, ist dem LFC allerdings nach 15 Runden bereits um 15 Punkte enteilt. Inwieweit Klopps Team noch aufschließen kann (analog zur Vorsaison, als es beinahe geklappt hätte, das zum Jahreswechsel klar dominierende ManCity abzufangen), hängt jetzt wohl vor allem von der Personalbeschaffung ab.

Zu dieser Erkenntnis ist offenbar auch der Börsenspekulant John W. Henry gelangt, der den FC Liverpool über seine Fenway Sports Group im Portfolio hat. Henry zieht mit seinen Geschäftspartnern derzeit einen (Teil-)Verkauf des Klubs in Erwägung, was den Erfolgsdruck nochmals erhöht. Als ersten Wintertransfer tütete Liverpool unmittelbar nach dem Sieg bei Villa den Kauf des niederländischen WM-Angreifers Cody Gakpo ein, der ab 1. Januar spielberechtigt ist. Weil Gakpos bisherhiger Klub PSV Eindhoven offiziell verlautbarte, es würde sich um einen "Rekordtransfer" handeln, dürfte die Ablöse mit Boni mehr als 45 Millionen Euro betragen. So viel kassierte Eindhoven 2019 für den vom SSC Neapel abgeworbenen Hirving Lozano.

Gakpos Verpflichtung schließt bei Liverpool zunächst die Vakanz auf der linken Angriffsseite, die sich durch die längerfristigen Verletzungen von Diogo Jota und Luis Díaz aufgetan hat. Auf Sicht erhöht der Transfer die Flexibilität der Mannschaft, weil der Linksaußen Gakpo mehrere offensive Positionen ähnlich gut bespielen kann. Dies bestätigte der 23-Jährige soeben in Katar, Bondscoach Louis van Gaal brachte Gakpo mal als Spielmacher, mal als zweite Spitze. Dabei traf der ballgewandte Tempodribbler als erster Niederländer in allen WM-Gruppenspielen. Für Eindhoven kam Gakpo in dieser Saison auf erstaunliche 13 Tore und 17 Vorlagen in 24 Partien. Auch Manchester United soll intensiv um ihn mitgeboten haben.

Ein weiterer Nebeneffekt des Transfers: Liverpools Handlungsbedarf hat sich reduziert. Zuletzt forderte sogar Klopp, der bisher klaglos die bisweilen sparsame Strategie des Klubs akzeptiert hatte, indirekt Verstärkungen. Zur Seite sprang ihm sein Abwehrchef van Dijk, der betonte, Liverpool werde "hoffentlich" bald Zugänge begrüßen. Seit Monaten wird der Klub unentwegt mit diversen Spielern in Verbindung gebracht, oben auf der Liste steht ein torgefährlicher Mittelfeldakteur. Als Favorit gilt Senkrechtstarter Jude Bellingham, 19, der noch zweieinhalb Jahre bei Borussia Dortmund unter Vertrag ist. Aber ob und, falls ja, wann und für wie viel Geld ein solcher Megatransfer zustande kommen könnte, lässt sich derzeit nicht seriös prognostizieren.

Ebenso spannend bleibt abzuwarten, in welchem Maße die Talente Elliott, Bajcetic und Doak dem LFC in dieser Saison noch behilflich sein können.

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