FC Ingolstadt:Diesmal mit neuen Tricks

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Tomas Oral, 47, war von 2011 bis 2013 erstmals beim FCI und 2019 als Interimstrainer zum zweiten Mal. Seine bisher längste Station war der FSV Frankfurt, von 2006 bis 2009. (Foto: Stefan Bösl/imago)

Tomas Oral, der einst Fußballer zur Motivation durch die Waschstraße laufen ließ, soll den FCI bei seinem dritten Mal als Trainer in die zweite Liga führen.

Von Johannes Kirchmeier

An diesem Freitag jährt er sich, der Tag des Absturzes. Am 29. Mai 2019 stieg der FC Ingolstadt 04 wieder in die dritte Liga ab - nach neun Jahren in den höchsten beiden Spielklassen. Eigentlich zählte sich der Verein selbst schon zum Establishment im deutschen Fußball, umso niederschmetternder war das bittere Ende in der Relegation gegen den SV Wehen Wiesbaden. Einen Tag später verabschiedete sich auch noch der Trainer Tomas Oral, der den Klub mit einer starken Serie binnen sieben Wochen überhaupt erst in die Relegation gehievt hatte. Doch nach Wehmut ist in Ingolstadt gerade trotzdem niemandem zu Mute.

Das Gegenteil ist der Fall: Nach Wochen der Corona-bedingten Fußballpause beginnt der FCI am Samstag um 14 Uhr wieder mit dem Fußball, Gegner im Sportpark ist dann der FC Bayern II im oberbayerischen Drittliga-Derby. "Sie sind alle sehr dankbar, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist", sagt einer, der das wissen muss, über die Spieler. "Dass sie ihrer Liebe wieder voller Leidenschaft nachgehen können." Der eine, der das wissen muss, besitzt ein Café mit dem Namen "Leidenschaft" in Frankfurt: Es ist Tomas Oral, 47. Er startet - zumindest an der Seitenlinie - am Samstag in seine dritte Amtszeit (nach 2011 - 2014 und 2019) als Trainer des FC Ingolstadt. Angestellt ist er dann bereits seit 80 Tagen, kurz vor der Pause wurde er vorgestellt, war dann aber mit seinem Team zum Innehalten gezwungen.

Oral lacht in diesem Telefonat kurz vor dem Neustart sehr viel. Man merkt ihm an, wie sehr ihm der Fußball, die Arbeit mit einer Mannschaft, gefehlt hat - und wie sehr er auf die Rückkehr brennt. Nach dem Ende in Ingolstadt hatte ihn ja kein Verein mehr verpflichtet. So hat es auch ihn selbst etwas überrascht, dass er letztlich so lange aus dem Geschäft war, bis im März die Anfrage aus Ingolstadt kam. Der FCI rutschte nach fünf sieglosen Spielen unter Orals Vorgänger Jeff Saibene nach unten. Genauer gesagt: auf Rang fünf, das Ziel Wiederaufstieg, das die Ingolstädter langsam etwas offensiver formulierten, geriet in Gefahr. Auf Rang zwei fehlen jedoch lediglich zwei Zähler in der engen Liga, in der selbst der Zehnte, Würzburg, nur einen Punkt hinter dem FCI liegt. Die halbe Liga kann und will aufsteigen - selbstverständlich auch Oral: "Wir werden alles versuchen, um die oberen zwei Plätze anzugreifen."

Wie coacht man elf Spiele in 35 Tagen? Definitiv nicht mit einer Stammelf, sagt Oral

Das klingt wieder nach dem alten Motivator, der bisweilen auch psychologische Tricks einsetzt, um seine Ziele zu erreichen: Beim FSV Frankfurt, die Geschichte ist überregional bekannt, hat er vor fünf Jahren seine Spieler durch die Waschstraße laufen lassen. Eine Aktion, die er sich nach Gesprächen mit Weggefährten überlegt hatte, wie er erzählt. Und die letztlich glückte: Der FSV hielt die Klasse mit einem Sieg im letzten Saisonspiel. "Wäre es anders gelaufen, hätte ich aber auch in 24 Stunden zum Kasper der Nation werden können", sagt Oral amüsiert. "Meine Ohren waren danach auch wieder richtig sauber." Beim FCI setzt er nun wieder ein, zwei Kniffe ein. Was genau, will er nicht verraten. Zu viel "drehen" wolle er diesmal aber nicht. Im Vorjahr hatte er den Spielern weißes Tape ums Handgelenk gebunden, es sollte als Energieband Kraft verleihen. Und obwohl es letztlich nicht zum Klassenverbleib reichte, prägte das die Kicker nachhaltig: Auch unter Saibene trugen noch manche die Bänder.

Nach den äußerst intensiven zwei Monaten des Abstiegskampfs vor einem Jahr sah sich Oral nicht mehr in der Lage, mit Haut und Haaren am nötigen Umbruch in Ingolstadt mitzuwirken, doch jetzt ist er wieder voll da - aus mehreren Gründen: Einerseits fühlte er sich geehrt, dass ihn der Klub zum dritten Mal verpflichten wollte - das zeige ja, "welche Wertschätzung und welche Überzeugungen die Verantwortlichen in meine Person haben". Außerdem musste auch er sich nicht mehr groß einarbeiten am Sportpark. Und dann ist er über die Jahre schon auch ein bisschen zum Fan geworden. Er habe bei den FCI-Spielen ohnehin mitgefiebert, da fällt die Hilfe als Coach noch leichter, bis zum Sommer 2021 hat er unterschrieben. "Diesen Klub trage ich mit Sicherheit nicht nur jetzt, sondern auch in 20 Jahren noch im Herzen, er ist mehr als ein normaler Klub für mich." Nur anders als bei seinen vorherigen Einsätzen geht es jetzt nicht mehr um den Abstieg, sondern um den Aufstieg.

Doch auch diese Mission ist ja ähnlich wie im Vorjahr eine besondere, die Parallele drängt sich fast schon auf: Statt in wenigen Wochen noch von ganz unten auf den Relegationsrang zu hüpfen, türmt sich vor Orals Team nun diese Aufgabe auf: elf Spiele in 35 Tagen. Es warten durchweg Englische Wochen auf die 20 Drittligisten, auch für den Trainer ist das Neuland. "Wir werden definitiv keine Stammformation haben, selbst wenn ich es mir wünschen würde", sagt er. "Jetzt wird wirklich jeder Einzelne zu 100 Prozent gefragt sein. Ob er 18 ist oder 31 ist, spielt dann keine Rolle."

Daher will sich Oral auch erst einmal nicht groß auf einen Spielstil festlegen, es gehe vor allem darum, nach der langen Pause schnell Stabilität ins Team zu bringen - "und mit allem, was wir haben, Spiele zu gewinnen". In Ingolstadt hätten sie schließlich nichts dagegen, wenn die Erinnerungen an den 29. Mai 2019 bald hinter einem Aufstiegsdatum im Jahr 2020 verblassen würden.

© SZ vom 29.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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