Fußball beim 1. FC Heidenheim:Es regnet Eckbälle

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Verzinkte Technik: Jan-Niklas Beste (vorne, gegen Anthony Rouault) gibt den 1000 Ecken und Freistößen einen Sinn. (Foto: Wolfgang Frank/Eibner/Imago)

40 Prozent Standardtore: Die Fußballer des 1. FC Heidenheim gewinnen ihre Spiele, weil sie das, was sie eh schon gut können, noch mehr trainieren. Auch der VfB Stuttgart muss sich der Flankentechnik des Heidenheimers Jan-Niklas Beste geschlagen geben.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Wer den Fußball des 1. FC Heidenheim schon mal gesehen oder zumindest von ihm gehört hat, der dürfte schnell begriffen haben, was diese 31. Spielminute bedeutete. Bis dahin hatte es nur etwas Herbstlaub von den Bäumen außerhalb des Stadions auf den Rasen geweht, und jene von unabhängigen Diensten gemessenen siebeneinhalb Grad plus fühlten sich wie dreieinhalb Grad minus an. So weit war also alles wie immer auf dem Heidenheimer Schlossberg - dann aber fuhr plötzlich eine Böe ins Stadion, die vor der Haupttribüne eine Werbebande umriss. Es war in erster Linie ein optischer Reiz, aber die Menschen, die häufiger auf dieser Haupttribüne sitzen, hörten einen geheimen Ton dazu. Er hörte sich an wie ein Signalhorn und bedeutete so viel wie: Jetzt geht's los.

"Wir wussten, dass sich hier unter gewissen Voraussetzungen eine unangenehme Dynamik entwickeln kann", sagte später Fabian Wohlgemuth, der Sportdirektor des unterlegenen VfB Stuttgart. Das Problem in Heidenheim ist nur, dass Wissen manchmal nichts nützt. Man weiß, dass Harry Kane torgefährlich ist, man weiß, dass Oliver Baumann Elfmeter hält, man weiß, dass Didi Hamann bald wieder was sagt - aber kann man das verhindern? Wenn in Heidenheim überwiegend Niederschlag herrscht, wenn es anfängt, Freistöße zu regnen und Eckbälle vors Tor zu wehen, dann ist es nicht mehr weit bis zu der exzellenten Floskel, so etwas könne man "nicht mehr verteidigen".

"Wir haben heute neun Eckbälle zugelassen, das darf einem in Heidenheim nicht passieren", sagt VfB-Trainer Hoeneß

Der Aufsteiger von der schwäbischen Ostalb hat den Nachbarn aus der großen Stadt am Sonntag gleich doppelt besiegt. Einmal statistisch, denn dieses 2:0 durch Tore von Jan Schöppner (70.) und Tim Kleindienst (Nachspielzeit) bildet sich in der Tabelle ab; aber eben auch ideologisch. Die Heidenheimer haben getan, was sie tun müssen, um auf diesem Niveau ein Fußballspiel zu gewinnen: Sie haben ihre Idee durchgesetzt. Sie haben den Stuttgartern, die sich bis zum Umsturz der Werbebande in etwas zu großer Gemächlichkeit zum Sieg kombinieren wollten, ihren Heidenheim-Style aufgezwungen. "Wir haben heute neun Eckbälle zugelassen, das darf einem in Heidenheim nicht passieren", sagte Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß, "nicht gegen eine Mannschaft, die 40 Prozent ihrer Tore aus Standardsituationen erzielt."

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Was beim Brasilianer Diego einst noch eine Sensation war, ist heute fast zum Alltag geworden: das Tor von der Mittellinie. Diese Treffer sind kein Zufall mehr - sondern ein gezielter Trainingsinhalt.

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So wie die erste Liga nun den Heidenheimer Fußball kennengelernt hat, ist er mindestens Geschmackssache. Die einen weisen mit gerümpfter Nase darauf hin, dass der Aufsteiger von zehn gängigen Offensivwaffen maximal drei bis vier bedienen könne (Standardsituation, Umschaltspiel, Flügelspiel); andere zollen der Elf von Trainer Frank Schmidt gerade deshalb erheblichen Respekt. In Heidenheim wissen sie genau, was sie können und was nicht - und das, was sie können, trainieren sie einfach mehr als andere Mannschaften. Solange, bis sie es noch besser können - und damit Teams wie den VfB bezwingen, der die Abwesenheit von Mittelstürmer Serhou Guirassy und Spielmacher Enzo Millot zwar in keiner Spielminute kaschieren konnte, aber dank der kultivierteren Spielanlage wahrscheinlich trotzdem gewonnen hätte. Jedenfalls, wenn es ein Samstagsspiel um 15.30 Uhr gewesen wäre, ohne Flutlicht, Regen und Orkanwarnung. Die Heidenheimer sind zu einer Elf geworden, die man nicht mit den handelsüblichen Tools, sondern mit der Wetter-App scouten muss.

"Wir haben zuletzt viele Gegentore nach Ecken bekommen", sagte Trainer Frank Schmidt, "trotzdem haben wir in dieser Woche keine defensiven Standards trainiert, sondern nur offensive. Das zeigt, wie wir denken: immer positiv." Dazu zwei Anmerkungen: Ja, die Heidenheimer Story ist wirklich respektabel. Aber Frank Schmidt erzählt sie auch hervorragend.

"Bei so vielen Ecken ist klar, dass irgendwann einer reinfällt", sagt Jan-Niklas Beste

Zur Erfolgsgeschichte des 1. FC Heidenheim gehört aber auch, dass dieser kunstvolle Banalfußball nur mit einem Fuß funktioniert, der den 1000 Ecken und Freistößen einen Sinn gibt. Über ein Jahrzehnt war Heidenheims Spiel auf der verzinkten Schuss- und Flankentechnik des rotblonden Marc Schnatterer aufgebaut; als er altershalber die Flanke räumte, haben die Heidenheimer bei der Nachfolgesuche in Regensburg die verzinkte Schusstechnik des rotblonden Jan-Niklas Beste, 24, entdeckt. "Eine Sensation, mit welcher Qualität und Konstanz er die Ecken schlägt, fast jeder Ball kommt genau in den Zielbereich", schwärmt Schmidt von seinem Linksaußen, aus dessen Eckbällen nicht nur das Tor zum 1:0, sondern auch zwei Lattentreffer sowie eine Großparade des Stuttgarter Torwarts Alexander Nübel resultierten.

"Wir hatten heute ein paar Ecken, da freut man sich immer drauf", sagte Beste später mit hübscher Lakonie, "bei so vielen Ecken ist klar, dass irgendwann einer reinfällt". Am kommenden Wochenende tritt er sie in den Strafraum des FC Bayern.

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