FC Bayern vor dem Wolfsburg-Spiel:Wellness auf der Ersatzbank

Lesezeit: 3 min

Butt, Rafinha, Pranjic, Olic, Usami, Petersen: So sah die Bayern-Bank beim Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea aus. Mittlerweile kann Trainer Heynckes Ein- und Auswechslungen ohne Qualitätsverlust vornehmen. Und einen Mann wie Martínez behutsam an die Bundesliga heranführen.

Claudio Catuogno

Wenn man Jupp Heynckes die naheliegende Frage stellt, warum Javier Martínez, dieses 40 Millionen Euro teure Juwel, am Samstag gegen den FC Schalke (2:0) wieder nicht in der Startelf stand, obwohl der Spanier drei Tage vorher doch in der Champions League überzeugt hatte, dann wird Heynckes ein bisschen ungehalten. Für einen Moment. Mehr grimmige Laune lässt sein Selbstverständnis als Gentleman nicht zu. Der Bayern-Trainer sagt dann zunächst leicht genervt, dass er dazu gar nichts sagen werde: "Ich bin ab sofort nicht mehr bereit, immer zu erklären, warum wer spielt oder nicht spielt." Aber dann erklärt er es doch geduldig und ausführlich, er will ja, dass man ihn versteht.

Jeder wird gebraucht, selbst wenn er auf der Ersatzbank sitzt: Xherdan Shaqiri, Anatoli Timoschtschuk, Tom Starke, Javier Martínez und Emre Can (von links). (Foto: Bongarts/Getty Images)

Jupp Heynckes spricht also über die vergangene Saison, "aus der wir gelernt haben, dass wir mehr Optionen haben müssen"; er spricht über die "Dreifachbelastung Liga, Pokal und Champions League", deren gnadenlosen Rhythmus man keinem Fußballer ohne Erholungspausen zumuten dürfe. Er spricht über das besondere Leben als Profi des FC Bayern, "das ja noch viele zusätzliche Verpflichtungen mit sich bringt, Merchandising-Termine, Medien-Termine, und jetzt kommt auch noch die Wiese dazu . . ."

Die Wiese?

Es mag Lebensbereiche geben, in denen fremdelt der Mönchengladbacher Heynckes auch im zweiten Jahr seines inzwischen dritten Engagements beim Rekordmeister noch mit dem bayerischen Brauchtum, das Oktoberfest alias "Wiesn" gehört offenkundig dazu. Aber einen Wesenskern dessen, was den FC Bayern in der jüngeren Vergangenheit schon des Öfteren erfolgreich machte, hat jetzt auch Heynckes mehr denn je zu seinem Projekt erklärt: die Rotation.

An diesem Dienstag, wenn der Liga-Betrieb für die Münchner mit einem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg weitergeht, wird man erneut verfolgen können, wie ernst er es mit der Rotation meint: Beispielsweise drängt der Franzose Franck Ribéry, der zuletzt wegen einer Muskelverletzung fehlte, zurück in die Mannschaft.

Warum spielt also Javier Martínez noch nicht regelmäßig? War Heynckes womöglich nicht zufrieden mit seinen bisherigen (Kurz-)Auftritten? Die Antwort ist simpler: Martínez spielt noch nicht regelmäßig, weil die Bayern sich das in diesem Jahr leisten können. Anderswo würden von so einem Rekord-Transfer vom ersten Tag an Wunderdinge erwartet, er stünde unter Dauerbeobachtung und Rechtfertigungsdruck. In München kann ihn Heynckes behutsam heranführen, unter Berücksichtigung, wie er sagt, "von Javiers Sommerprogramm: Er hat EM gespielt, hat Olympia gespielt, er hat dann einen Monat alleine trainiert. Da kann er ja noch gar nicht in Top-Verfassung sein, sonst bräuchte man die fünf Wochen Vorbereitung und die Testspiele nicht."

Und wenn Javier Martínez dann irgendwann im Spätherbst oder Frühwinter in Top-Verfassung ist und sich bis dahin im Teilzeitbetrieb mit seinen Nebenleuten vertraut macht, dann ist das für Heynckes wirklich völlig okay.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Wenn Thomas Müller hyperaktiv wird

Jérôme Boateng übt das Unsichtbarsein, Dante gibt sich als Nervensäge und Toni Kroos zeigt sein Talent beim Gärtnern. In der Pause kann Thomas Müller die Beine kaum still halten. Die Spieler des FC Bayern beim 2:0 gegen Schalke in der Einzelkritik.

von Hendrik Buchheister

Als der FC Chelsea am 19. Mai in der 88. Minute des Münchner Champions-League-Finales den 1:1-Ausgleich erzielte, saßen auf der Bayern-Bank zur (theoretischen) Einwechslung bereit: Butt, Rafinha, Pranjic, Olic, Usami, Petersen. Jetzt sitzt dort mal Martínez, mal Luiz Gustavo, mal Pizarro, mal Mandzukic, mal Shaqiri, mal Robben, mal Müller. "Wenn einer verletzt ist, können wir ihn jetzt ohne Qualitätsverlust ersetzen", freut sich Heynckes.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Wenn Thomas Müller hyperaktiv wird

Jérôme Boateng übt das Unsichtbarsein, Dante gibt sich als Nervensäge und Toni Kroos zeigt sein Talent beim Gärtnern. In der Pause kann Thomas Müller die Beine kaum still halten. Die Spieler des FC Bayern beim 2:0 gegen Schalke in der Einzelkritik.

von Hendrik Buchheister

Das alleine ist allerdings noch nicht der Charme der Rotation. Der setzt tiefer an, es geht auch um Prävention: Indem alle mehr Pausen bekommen, ist jeder Einzelne am Ende womöglich seltener verletzt. Es dürfte etwas Fingerspitzengefühl notwendig sein, um den Diven den Platz auf der Bank als Wellness-Oase anzupreisen, als erholsame Auszeit vom mühsamen Sportler-Alltag. Aber Heynckes wirkt wild entschlossen: "Meine Aufgabe wird sein, das so zu moderieren, dass es funktioniert. Und glauben Sie mir: Es wird funktionieren."

Weniger Verletzte, und falls doch: mehr gleichwertiger Ersatz. Klingt so schlüssig, dass sich die Leute an der Säbener Straße fragen müssen, warum sie erst jetzt darauf gekommen sind, in der Saison nach ihrem Sehnsuchts-Finale dahoam. Zumal - falls der Eindruck der bisherigen Spiele nicht täuscht - noch ein weiterer Effekt zu beobachten ist: Schon der bloße Konkurrenzdruck scheint die Qualität auf dem Platz zu erhöhen.

So abgeklärt-konzentriert wie bei den bisher sechs Siegen in sechs Pflichtspielen hat man die Bayern lange nicht spielen sehen. Auch der viermalige Torschütze Thomas Müller hat diesen Eindruck: "Du bist permanent unter Zugzwang, weil du weißt: Wenn du dich mal hängen lässt, kommt ein anderer rein." Er findet das "mehr motivierend als belastend - und definitiv gut für unser Spiel".

Jupp Heynckes kann dieses Phänomen (wo er schon mal dabei ist, ausführlich zu erklären, warum wer spielt oder nicht) am Beispiel von Toni Kroos verdeutlichen: Kroos hat bisher auf der Position des Zehners drei Liga-Tore erzielt, er hat seine Mitspieler stark in Szene gesetzt, er wirkt präsenter als im vergangenen Jahr. Heynckes, der im Sommer viel mit ihm gesprochen hat, glaubt, den Grund zu kennen: "Toni kann sich jetzt nicht mehr hängen lassen. Er ist für mich der ideale Spieler auf dieser Position, aber er muss auch immer daran erinnert werden, dass mehr dazu gehört, als nur den Ball zu streicheln."

Toni Kroos muss jetzt nur auf die Bayern-Bank gucken, dann erinnert er sich ganz automatisch daran.

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: