Philipp Lahm kam einfach nicht hinterher. Augsburg-Angreifer Raúl Bobadilla entwischte dem 31-Jährigen, er stürmte auf das Bayern-Tor zu - und Pepe Reina wusste sich nur noch mit einer Rambo-Einlage zu helfen. Er sah folgerichtig die rote Karte. Philipp Lahm schüttelte den Kopf über sich, dann wurde er ausgewechselt. Nach 14 Minuten.
Diese Szene von der Niederlage am Samstagnachmittag beschreibt den Zustand des FC Bayern in diesem Frühsommer treffend. Die Mannschaft ist müde, in entscheidenden Momenten unkonzentriert, sie hat das Siegen verlernt. Die Szene ist auch sinnbildlich für Philipp Lahm in diesem Frühsommer. Denn Philipp Lahm ist nicht Philipp Lahm.
Der Defensivkünstler prägte das Bayern-Spiel früher wie kein anderer. Er setzte sich in Zweikämpfen fast immer durch, jeder Pass kam beim Mitspieler an und er antizipierte, wohin der Gegner läuft, noch bevor der selbst wusste, was er vorhatte. Philipp Lahm war eine Klasse für sich. Pep Guardiola beorderte ihn sogar ins Herz des Spiels, ins zentrale Mittelfeld. Nun ist er ein Spieler von elf - und zum Symbol der Schlappheit des Vereins geworden.
Im Rückspiel gegen Porto zeigte er noch eine großartige Leistung. Doch je länger das Champions-League-Halbfinale in Barcelona dauerte, desto häufiger ließ der Kapitän sich überlaufen. Das Tempo von Neymar und Kollegen war einfach zu hoch für ihn an diesem Abend, er gewann nicht einmal 55 Prozent seiner Zweikämpfe. Beim Pokal-Aus gegen Borussia Dortmund in der Woche zuvor schleppte er sich in den letzten Minuten nur noch über den Platz, musste dann aber noch die Verlängerung überstehen. Als er zum Elfmeter antrat, rutschte er aus.
Vor dem Rückspiel gegen Barcelona weiß Pep Guardiola, dass die Chancen auf ein Weiterkommen der Bayern minimal sind. Trotzdem setzt er auf eine Taktik der Kontrolle. Bloß nicht den Gegner überrennen.
Die Ursache für Lahms Formtief hat etwas mit einem trüben Novembermorgen zu tun. Während die Nationalspieler verreist waren, trainierte der kurz zuvor zurückgetretene DFB-Kapitän an der Säbener Straße. Er knickte von selbst um und schrie verzweifelt: "Scheiße, scheiße, scheiße!" Die Diagnose: Bruch des rechten oberen Sprunggelenks. Drei Monate Pause. Im Februar kehrte er auf den Platz zurück.
Doch Lahm konnte nicht langsam wieder herangeführt werden, denn es gibt ja beim verletzungsgeplagten FC Bayern niemanden, der ihn hätte entlasten können. Lahm spielte also die kräftezehrenden Partien gegen Porto, er war im DFB-Pokal im Einsatz und in der Bundesliga fehlte der Kapitän nur in der Partie gegen Hoffenheim - weil er eine Magen-Darm-Grippe hatte. Lahm ergeht es genauso wie dem Rückkehrer Thiago: Beide spielen immer - doch sie erreichen nicht immer 100 Prozent ihrer Leistung. Wie soll das auch möglich sein?
Wie früher passieren Lahm keine gravierenden Patzer, bis auf den verschossenen Elfmeter im Pokal-Halbfinale. Noch immer sorgt er für Stabilität und Sicherheit. Er wird gebraucht, um das Bayern-Spiel im Gleichgewicht zu halten. Doch bis Philipp Lahm wieder der echte Philipp Lahm ist, wird es wohl noch ein paar Wochen dauern.
Euphorie? Null. Nada. Der FC Barcelona versucht vor dem Rückspiel in München, den Gedanken ans Finale zu verdrängen. Deutschland-Trips endeten oft brutal - das 0:7 gegen Bayern begleitet manchen aus dem Profi-Tross bis heute.
Franz Beckenbauer knöpfte sich nach Mario Götze im Halbfinal-Hinspiel auch Lahm vor. "So wie er spielt seit seiner Verletzung ist er nicht mehr der Lahm, den wir kennen", sagte er. "Er verliert viel zu viele Bälle und hat viele Fehlpässe, die wir gar nicht von ihm gewohnt sind." Es dürften die ersten kritischen Worte Beckenbauers über Lahm in der Geschichte der Sport-Talk-Shows gewesen sein.
Lahm selbst schiebt seine Formkrise nicht auf seine Verletzung. "Es darf keine Ausrede sein, dass wir nicht fit sind", sagte er nach dem 0:3 in Barcelona. Nach der Niederlage gegen Augsburg kam er als erster aus der Kabine und sprach so ausführlich mit den Journalisten wie kein anderer Spieler. Er zog schon einmal eine Saisonbilanz: "Ich weiß, was schlechte Saisons sind, und die schauen ganz anders aus", sagte er trotzig. Erst wenn in Berlin das Champions-League-Finale stattfindet, dürfte Lahm wieder bei 100 Prozent sein. Es könnte zu spät sein.