FC Bayern:Thiago kickt mit dem Weihnachtsmann

Lesezeit: 3 min

Spanisches Duell: Thiago, r., und sein großer Fußballbruder Xabi Alonso. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Beim 3:0 gegen Leipzig überragt Bayern-Profi Thiago mit einer zauberhaften Leistung.
  • System und Idee von Trainer Ancelotti kommen dem Spanier sehr entgegen, auch wenn Thiago ursprünglich ein Guardiola-Spieler war.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Thomas Hummel

Thiago führte den Ball wie immer mit sehr aufrechter Körperhaltung. Er deutete einen Pass nach rechts an, stieg auf den Ball, drehte sich. Ein Leipziger kam näher, da entdeckte er im Augenwinkel einen Kollegen in rotem Trikot und weißer Hose, der an der Außenlinie freistand. Ohne wirklich den Kopf zu drehen, lupfte Thiago den Ball hinüber. Eine banale Szene, und dennoch sagte sie viel aus über das Spiel des Spaniers. Der Pass ging in Richtung eines digitalen Weihnachtsmanns, der auf der Werbebande digitalen Schnee wegschaufelte.

Es war ein wenig verwunderlich, dass der Weihnachtsmann das Zuspiel verschmähte und weiter Schnee schippte. Denn wer hätte an diesem Mittwochabend nicht gerne mit Thiago Alcántara gekickt, sich das Bällchen hin und her gelupft, ein paar Kunststückchen gezeigt (der Weihnachtsmann kann bestimmt auch ein paar)? "Wenn du Spaß hast am Spiel, macht dich das besser, es bringt mehr aus dir heraus", sagte der 25-Jährige später. Und wenn Thiago in der Lage ist, alles aus sich rauszubringen, dann schaut er bisweilen gar nicht mehr richtig hin. Da vermischen sich Erkennen und Intuition zu einem Spiel voller Überraschungen.

Energischer Antritt in den Fünfmeterraum

Die Partie gegen RB Leipzig brachte vieles zu Tage, was in diesem Thiago steckt. Er schoss das 1:0 selbst nach einem energischen Antritt in den Fünfmeterraum. Mit einem feinen Pass bereitete er das 2:0 von Xabi Alonso vor. Er hatte die meisten Ballkontakte von allen Profis auf dem Platz. Er schlängelte sich mit Ball durch drei Gegenspieler hindurch. Er schaute nach rechts und passte nach links. Er allein brachte enorme Unruhe in die Abwehrreihe des so hoch gelobten Aufsteigers, Leipzig kam mit seinem Spiel überhaupt nicht zurecht und sah sich zumeist hilflos den bayerischen Angriffen ausgesetzt.

Allein wegen Thiago hätte die Begegnung locker höher als 3:0 enden können. Verteidiger Mats Hummels kommentierte: "Er ist immer anspielbar, torgefährlich und will sich zeigen. Das ist eine sehr gute Mischung."

FC Bayern in der Einzelkritik
:Fuchs Lahm entscheidet das Spiel

Der Kapitän tritt als Fuchs auf, Mats Hummels strahlt mit neuer Frisur und Xabi Alonso braucht noch lange keinen Stuhl. Der FC Bayern beim 3:0 gegen Leipzig in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Sebastian Fischer

Dass der 25-jährige Spanier mit dem brasilianischem Pass ein zauberhafter Fußballer ist, weiß man in München seit nun dreieinhalb Jahren. Dennoch ist seine Entwicklung bis zu diesem kalten und nebligen 21. Dezember 2016 erstaunlich. Galt er doch als Inbegriff des Guardiola-Spielers. Der frühere Trainer hatte seine Amtszeit mit dem Spruch "Thiago oder nix" begonnen. Pep Guardiola wollte diesen kapitalen Burschen vom FC Barcelona unbedingt, und weil sein Bruder Pere als Berater an der Schaltstelle saß, war der Wechsel kein Problem (dass Pere aufgrund des Transferwunsches von Pep eine ordentliche Provision erhielt, gehört zu den Eigentümlichkeiten des Fußballgeschäfts). Würde Thiago also mit Pep nach England ziehen?

Guardiola versicherte dem FC Bayern, keinen Spieler nach Manchester locken. Zumindest im ersten Jahr. Auch die Verbindung zu Bruder Pere löste Thiago zuletzt auf, er lässt sich nun von Vater Mazinho vertreten. Und unter dem neuen Trainer Carlo Ancelotti ist kein Leistungsabfall zu sehen. Im Gegenteil. Thiago wirkt in diesem Herbst fast stärker als zuvor. Er ist vermutlich der Münchner, der vom neuen Spielsystem und von der Herangehensweise Ancelottis am meisten profitiert.

Während Guardiola häufig vier oder gar fünf Stürmer aufstellte, belässt es Ancelotti meist bei drei. Und formiert dahinter drei Mittelfeldspieler. Das war auch gegen Leipzig eine schlechte Nachricht für Thomas Müller, der 90 Minuten auf der Bank saß. Aber eine gute für Thiago. Ancelotti hat sich zwar den Wünschen der Spieler angenähert und einen Mittelfeldmann sehr weit nach vorne geschoben, aber das ist nur umso schöner für Thiago. Als Freigeist hinter den Stürmern Costa, Lewandowski und Robben durfte er die Schaltzentrale geben. Er war der Fixpunkt vor der Leipziger Abwehr, der fast alle Angriffe ein- oder weiterleitete. An guten Abenden eine Position mit höchstem Spaßfaktor.

Ancelotti erklärte: "Die Idee war, dass er zwischen den Abwehrlinien spielen sollte. Das machte Thiago sehr gut. Er hatte die richtige Position auf dem Feld, und das half uns, gute Angriffe zu spielen." Der Gelobte gab die Wertschätzung artig zurück und berichtete von einem immer besseren Gefühl zwischen Mannschaft und Trainer. Sein Dank an den Trainer war sehr berechtigt. Denn Ancelotti hatte die kluge Idee, dem verspielten Thiago als Rückendeckung den alten Bären Xabi Alonso und den grimmigen Arturo Vidal mitzugeben. Die beiden gaben die großen Brüder, die darauf achteten, dass ihrem kleinen Thiago nur ja niemand zu nahe kommt. Und schon gar nicht den Ball, sein liebstes Spielzeug, abnimmt. Ob diese Position auf dem Platz nun seine liebste sei? Staatsmännisch wiegelte Thiago ab: Nein, nein, eine Lieblingsposition habe er nicht, er könne überall spielen, außer im Tor.

Dass der Leipziger Gegenspieler Naby Keita nach einer Oberschenkelverletzung nicht fit wirkte und kraftlos über den Platz schlurfte, half dem Spiel des Spaniers zusätzlich. Gegner mit körperbetonter Spielweise und kernigen Zweikämpfen liegen Thiago nicht, da fehlt ihm bisweilen die Robustheit. Doch Leipzig war zu einem solchen Spiel nicht in der Lage. Deshalb dürfte lange kein Profi mehr in einem Spitzenspiel des Tabellenersten gegen den Zweiten so viel Freude gehabt haben. Das Zuspiel zum Weihnachtsmann rettete übrigens Juan Bernat kurz vor der Seitenlinie. Es gibt Abende, da kommen sogar Fehlpässe an.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: