Als Uli Hoeneß noch Präsident des FC Bayern München war, hat er die Expansion des Großklubs unaufhörlich vorangetrieben: erst eine Niederlassung in New York, um den US-Markt zu erobern, und als nächstes ist eine Repräsentanz in Shanghai geplant. 300 Millionen Chinesen hätten das Halbfinale bei der Klub-Weltmeisterschaft Ende 2013 angeschaut, als die Bayern gegen Guangzhou Evergrande aus dem Reich der Mitte spielten, rechnen die Klub-Funktionäre stolz vor - welch ein "riesiges Potenzial" das doch sei, um die Erlöse weiter zu steigern. Mit dem Verkauf von Trikots und anderen Souvenirs, durch Fernseh-Einnahmen, durch neue Sponsoren, und, und, und. Auch die Chinesen wollten schließlich "g'scheiten Fußball sehen", scherzte Uli Hoeneß.
Er hatte oft den richtigen Riecher, wenn es um neue Geschäfte und Visionen ging, und um die Leute, die man dafür brauchte. Auf dem Spielfeld, auf der Trainer-Bank und im Management. Jetzt, nach seinem Gefängnis-Urteil, ist der Präsident weg. Und viele im Klub und in dessen Umfeld rätseln, was nun wohl wird aus dem derzeit erfolgreichsten Fußball-Verein der Welt.
Wer sich bei Verantwortlichen der Bayern umhört, stößt auf zwei Phänomene: wie unprofessionell Vereinsführung sowie Vorstand und Aufsichtsrat der FC Bayern AG mit dem Prozess gegen Hoeneß umgingen - und wie schnell nichtsdestotrotz nach dem Gerichtsurteil eine Zukunft ohne den Präsidenten geregelt wurde. Das wirkte wie bei Trainer Pep Guardiola, der - wenn es mal nicht läuft - kurzerhand seine Taktik ändert und mit ein paar Auswechslungen seiner Mannschaft doch noch zum Sieg verhilft. Wie beim 2:1 zu Beginn der Rückrunde in Stuttgart, als das Münchner Ensemble lange 0:1 zurücklag.
Dimension der Hinterziehung interessierte nicht
Hoeneß ist erst ein paar Tage weg, und schon werden an führender Stelle im Klub Stimmen laut, die eine Rückkehr des Patriarchen an die Macht ausschließen: "Uli wird ein anderer sein, wenn er aus dem Gefängnis kommt." Und der FC Bayern werde bis dahin anders aufgestellt sein. Wie ein modernes Unternehmen. Wie eines, das keinen Übervater mehr braucht?
Noch vor einer Woche war das für Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, für Vizepräsident Karl Hopfner, die Aufsichtsräte aus den Dax-Konzernen und den Verwaltungsbeiratschef, den früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, schier unvorstellbar. Die Vereins-Größen saßen vor dem Champions-League-Spiel gegen den FC Arsenal in der Arena zusammen und ließen sich von Hoeneß berichten, wie die beiden ersten Verhandlungstage in seinem Steuerprozess beim Landgericht München II gelaufen seien. Der Präsident war guter Dinge, dass die Selbstanzeige beim Fiskus als gültig und somit strafbefreiend anerkannt werde. Oder dass er allenfalls eine Bewährungsstrafe zu befürchten habe, aber nie und nimmer Gefängnis.
Hoeneß hatte einen seiner Anwälte mitgebracht, der den Bayern-Verantwortlichen diese Sichtweise bestätigte. In der Krisenrunde herrschte große Erleichterung. Hoeneß könne Präsident bleiben, lautete die allgemeine Einschätzung, man brauche keinen Plan B.
In welcher Dimension der Klub-Chef Steuern hinterzogen hatte, war in der Arena offenbar gar kein Thema. Auf 27 Millionen Euro hatte sich die Steuerschuld von Hoeneß am Tag des Arsenal-Spiels summiert, was eine ganz neue Größenordnung war im Vergleich zu den in der Anklage genannten 3,5 Millionen. Doch in der Krisenrunde soll kein einziger gefragt haben, ob Hoeneß angesichts dieser Dimension weiterhin den FC Bayern führen könne, ganz egal, ob er ins Gefängnis müsse oder nicht.
Ein Konzernchef, der Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, ist binnen weniger Tage weg. Wie der frühere Post-Mann Klaus Zumwinkel. Ein Politiker ist bei sehr viel weniger Geld sein Mandat oder seinen Ministerposten los. In der Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag musste der CSU-Fraktionschef gehen, weil er seine Ehefrau für 5000 Euro im Monat beschäftigt hatte. Nur im Fußball gelten wieder einmal andere Gesetze, selbst wenn Ex-Politiker wie Stoiber mit am Tisch sitzen, die eigentlich ein Gespür haben sollten für die Lage.
Als die Bayern-Größen nach dem Arsenal-Spiel nach Hause fuhren, gab es nur eine Absprache für den Fall eines Gefängnis-Urteils gegen Hoeneß. Nach dem Prozessende werde man sich am Freitag um 10 Uhr in der Geschäftsstelle an der Säbener Straße treffen. Der Präsident und Aufsichtsratschef soll angedeutet haben, in diesem Fall seine Ämter aufzugeben. Aber von diesem Szenario ging ja niemand aus.
Umso größer war das Entsetzen, als Hoeneß am Donnerstag zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Nun nahmen die Dinge ihren Lauf. Bei dem Treffen am Freitag erklärte Hoeneß seinen Rücktritt, und dann ging alles plötzlich ganz schnell. Vizepräsident Karl Hopfner rückte im Aufsichtsrat der Fußball-AG in den Präsidialausschuss auf, und der von Stoiber geleitete Verwaltungsbeirat nominierte den Finanzstrategen einstimmig als Kandidaten für das Präsidenten-Amt. Am 2. Mai soll Hopfner bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung gewählt werden.
Öffentlich war der frühere Geschäftsführer und spätere Finanzvorstand des FC Bayern hinter Hoeneß nie groß aufgefallen. Aber intern gilt er als integrer Sachwalter der Klub-Kasse und als ein Mann, der sich im Kreise der Konzernbosse im Aufsichtsrat durchaus behaupten könne. Hopfner werde, sagen führende Verantwortliche, die volle Amtsperiode von drei Jahren absolvieren - und mitnichten den Präsidentenposten für Hoeneß warm halten, bis der nach vielleicht einem Jahr Freigang aus dem Gefängnis erhalte.
Einer aus dem Klub, der seit Jahrzehnten dabei ist und eine ziemlich niedrige Mitgliedsnummer hat, der viel Einblick und Einfluss hat, vergleicht die Lage beim FC Bayern mit den Geschehnissen in der CSU nach dem Tod von Franz Josef Strauß. Da hatten sich zuerst viele Leute gefragt, ob die Christsozialen den Verlust ihres Patriarchen verkraften könnten. Das gelang, indem die Macht geteilt wurde, zuerst zwischen Max Streibl, Theo Waigel und Edmund Stoiber, später zwischen Waigel und Stoiber. So ähnlich müsse man sich das auch beim FC Bayern vorstellen, sagt der langjährige Funktionär mit der niedrigen Mitgliedsnummer und verweist auf Rummenigge und Hopfner, Sportchef Matthias Sammer und auf die anderen Vorstände.
Groß ist im Klub auch die Hoffnung auf die junge Generation - die zweite nach Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Aus der Generation dazwischen war ja aus vielen Gründen niemand in Frage gekommen für führende Aufgaben beim FC Bayern, kein Stefan Effenberg, kein Oliver Kahn, erst recht kein Lothar Matthäus. Und auch mit Mehmet Scholl hat es nicht geklappt.
Doch einer wie Philipp Lahm, sagt ein wichtiger Funktionär, könne nach seiner Karriere auf dem Feld in den Verein oder dessen Fußball-AG wechseln, in einem halben Jahrzehnt vielleicht, an welche Stelle auch immer. Lahm sei nicht der einzige, dem man das zutraue. Für die Identifikation der Fans mit dem FC Bayern sei das eine wertvolle Perspektive. Lahm ist keiner, der poltert und provoziert, er ist ganz anders als Hoeneß, und ein Patriarch wird er bestimmt nie werden. Für den FC Bayern muss das kein Nachteil sein. Patriarchen haben eigentlich längst ausgedient.