Saison des FC Bayern:Zum Frühlingsgefühl ein Flaschenbier

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Robert Lewandowski und der FC Bayern haben noch sehr viel vor. (Foto: Getty Images)

Die gedämpfte Meisterzeremonie ist für die Münchner nur eine Durchgangsstation. Denn es stehen ja noch Titel aus - Trainer Flick hat zu so manchem neue Zugänge gefunden.

Von Nico Fried, Wolfsburg

Als Trainer des FC Bayern ist man eigentlich nie fertig mit der Arbeit. Aber so wenig fertig wie Hansi Flick in diesem Jahr war wohl noch keiner seiner Vorgänger. Die Meisterschaft steht bei den Bayern selten für den Abschluss einer Saison, und wenn doch, dann war es ganz bestimmt keine wirklich gute. Viel eher bildet die Meisterschaft ganz besonders in diesem Jahr nur den Anfang eines langen, allmählichen Endes, weil noch weitere Titel eingesammelt werden sollen - wenn es gut läuft. Und bisher ist es in diesem Jahr sehr gut gelaufen für den FC Bayern, oder wie Flick sagen würde: "sehr, sehr gut".

Auch die Meisterfeier in Wolfsburg war mithin nur eine Durchgangsstation, die Schale nahmen die Bayern im Vorbeigehen mit, was der Charakter der wegen der Corona-Regeln stark reduzierten Zeremonie noch unterstrich. Im DFB-Pokal folgt am nächsten Samstag das Finale gegen Bayer Leverkusen, dann folgt noch die Champions League, die während des Achtelfinals wegen der Corona-Pandemie eingefroren wurde und im August wieder aufgetaut werden soll. Nie zuvor war in einem Sommer noch so viel Frühling für die Bayern.

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Ohne Weißbier, ohne Konfetti, ohne Fans: Nach dem Sieg gegen Wolfsburg bekommen die Münchner die Meisterschale überreicht. Impressionen von einer etwas anderen Siegerehrung.

Es konnte also nur ein vorläufiges Fazit sein, das der Trainer nach dem 4:0 in Wolfsburg zog. Ihn mache "sehr, sehr stolz", wie die Mannschaft "hier und auch in den letzten Monaten gespielt hat", sagte Flick. Was sie erreicht habe, sei "unglaublich". Das mag in den Ohren all jener merkwürdig klingen, die in der achten Meisterschaft in Serie wenig Überraschendes erkennen können. Aber bei einer Gesamtbetrachtung gehöre neben der besten Rückrunde, die der FC Bayern je gespielt hat (49 von 51 Punkten, 54:10 Tore), die Vorrunde "ja immer mit dazu", so Flick, jene Vorrunde, die bis zum Trainerwechsel eine Titelverteidigung nicht zwangsläufig erwarten ließ.

Die große Veränderung personifiziert vielleicht kein Spieler mehr als Thomas Müller. In Wolfsburg war er am ersten Tor beteiligt, als er zusammen mit Robert Lewandowski Kingsley Coman so zielsicher freispielte, dass der Franzose keine Mühe mehr hatte, schon in der vierten Minute das Führungstor zu erzielen. Das letzte Tor des Spiels und damit das einhundertste der Saison erzielte Müller selbst mit einem wuchtigen Schuss aus kurzer Distanz. Und ganz gewiss würde niemand behaupten, dass er in den 75 Minuten, die dazwischen lagen, nur herumgestanden habe.

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Der vergangene Herbst sei schwierig gewesen, "auch für mich persönlich", so Müller nach dem Spiel. Da brauche man gar nicht drumherum reden. Seine neunte Meisterschaft sei deshalb für ihn neben der ersten "die speziellste, die intensivste und die emotionalste". Unter Niko Kovac war Müller so gut wie ausgemustert. Wenn er doch spielte, wirkte er verunsichert. Mit Flick kam die Wende, Müller brachte es in der Spielzeit insgesamt auf 21 Torvorlagen und ein ganz neues Selbstbewusstsein. Manager und andere Chefs können hier am Fußball exemplarisch ablesen, was Führungspersönlichkeiten bei Untergebenen bewirken können, und sei es nur, wie Hansi Flick in der Pressekonferenz sagte, mit einem "gewissen Spaß, den man braucht, um am Ende vielleicht die entscheidenden paar Prozent herauszukitzeln".

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Flick scheint zu wissen, wie man diesen Zugang zu den Spielern findet. Und sie lassen es zu. Es läuft also im Großen ähnlich ab wie nach dem Abpfiff in Wolfsburg auch im Kleinen. Die Spieler der Bayern gratulierten sich routiniert, klatschten ab oder gönnten sich gelegentlich kurze Umarmungen. Nur Flick umarmte jeden Entgegenkommenden mit Inbrunst, ließ niemanden aus - und wo es ihm nötig erschien, spendierte er auch noch ein paar Extra-Worte, wie bei Joshua Zirkzee, der offenbar ein wenig Erbauung brauchen konnte, nachdem er im letzten Liga-Spiel nicht mehr zum Einsatz gekommen war.

Meisterfeier in der Pandemie. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hielt eine kurze, nachdenkliche Rede: "Das ist ein besonderer, aber auch ein sehr seltsamer Moment", sagte der Mann, der die Wiederaufnahme des Spielbetriebs vorangetrieben hatte. "Keine Zuschauer, kein Jubel, keine Pfiffe." Was die vergangenen Wochen zu erleben gewesen sei, "ist nicht die Bundesliga, die wir wollen", sagte Seifert, fügte aber lieber gleich hinzu, dass mindestens der Beginn der nächsten Saison dem Ende dieser Saison noch sehr ähnlich sehen werde.

Die Medaillen verteilte Bayern-Teammanagerin Kathleen Krüger aus einer Kiste an der Trainerbank. Sie wurden ausgehändigt, nicht umgehängt. Dann gingen die Bayern durchs Spalier der höflich applaudierenden Wolfsburger Spieler. Mikhael Cuisance berührte die Schale als erster, was gut zu seiner ambitionierten Darbietung im Spiel vorher passte, die er mit einem satten Schuss aus mehr als 20 Metern in den Winkel zum 2:0 gekrönt hatte. Die Vorstands-Herren tranken auf der Tribüne Flaschenbier, niemand wurde unter Weißbier geduscht, nur Thomas Müller imitierte die Prozedur mit einer 0,3-Liter-Plastikflasche Wasser, die er über die dicken Locken des Kollegen Zirkzee goss.

Die Mannschaft habe gewusst, was sie bei dieser Feier erwarte, berichtete Müller. Bundesliga unter Corona-Bedingungen, das sei keine Situation, "an die man sich gerne gewöhnt". Auch die Bayern hätten die Fortsetzung des Spielbetriebs nicht ohne Skepsis gesehen. Man habe ja nicht gewusst, "ob sich jemand infiziert". Und der Wettkampf selbst sei zwar ohne Zuschauer genauso intensiv. Aber es fehle eben etwas, "das Gefühl", so Müller, "das Wofür".

So konnte man auch bei der Meisterfeier nur so tun, als ob. Also gingen die Bayern noch auf eine Ehrenrunde durch die leere Arena. Fast jeder Kameramann und jeder Stadion-Mitarbeiter bekam so sein persönliches La Ola. Hansi Flick stellte sich derweil den Fragen der Presse. Ob er es bedaure, dass es nur 100 Tore geworden seien, wo doch der Rekord aus der Saison 1971/72 bei 101 liege. "Ich glaube", sagte Flick, "da soll man jetzt nicht rummachen." 100 Tore seien mit Sicherheit "ein sehr, sehr guter Wert". Aber als Bayern-Trainer ist man eben nie fertig.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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