Am Ende dieses Vormittags, an dem sich seine neue Welt in ihrer wundersamen Schrägheit aufgetan hatte, ging Carlo Ancelotti in den Schatten. Er saß nun auf der Trainerbank der Münchner Arena, dem einzigen dünnen Streifen, den die Sonne nicht traf. Ancelotti verschwand aus der Hitze, und das erste Mal an diesem Vormittag wirkte er wie der Mann, als den ihn in den Monaten vor seiner Ankunft alle beschrieben hatten. Gemütlich saß er da, er lächelte milde, ein freundlicher Maestro, im Reinen mit sich und der Welt, mochte sie auch noch so wundersam sein.
Eine knappe Stunde lang war er nun offiziell angekommen, er, Carlo Ancelotti, 57, der neue Trainer des FC Bayern München. Und jetzt lächelte Ancelotti, er blickte unverbindlich freundlich in die Kameras der Fotografen und Fernsehteams, für die das ja ein enorm wichtiges Bild war, das erste Probesitzen des neuen Trainers auf seinem zukünftigen Arbeitsplatz. Für Ancelotti dagegen war es die erste Gelegenheit, einmal zu entspannen an diesem Vormittag, der ihn, den großen Gemütlichen der Fußballwelt, doch so sehr herausgefordert hatte, dass selbst er ein bisschen angespannt gewirkt hatte. Was kein Wunder war bei all dem, was er mitgemacht hatte.
Er hatte Deutsch gesprochen, diese Sprache, in der sogar er, der Mann aus der Emilia Romagna, hölzern klingt. Er war in der Münchner Arena durch eine trockene Hitze gelaufen, die ihn an diesem Vormittag empfing als sei er zu seinem vergangenen Verein zurückgekehrt, zu Real Madrid. Er hatte sich die Musik der Blaskapelle der "Emmeringer Musi" angehört. Er hatte die Hände geschüttelt von Menschen mit gewagten Bärten. Und er, gekleidet in dunkelblauem Anzug, hellblauem Hemd, dunkelblauer Krawatte, hatte sein Antrittsgeschenk ohne Murren entgegen genommen, obwohl es sich dabei um eine Lederhose handelte, die selbst ihm, der so gerne von seiner Vorliebe für Schinken, Tortellini und Rotwein erzählt, zu breit war.
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Das bestätigt der Verein offiziell. Ob der Abschied etwas mit seiner Gesundheit zu tun hat, ist unklar. Kaderplaner Reschke soll eine wichtigere Rolle bekommen - und wohl auch Uli Hoeneß.
Nun also saß Ancelotti im Schatten, er blickte in die fremden Gesichter, für die das so aufregend war, ein Trainer auf einer Trainerbank in einem leeren Stadion, und jetzt konnte er das tun, was er am besten kann. Er war ruhig und unaufgeregt, er war der Carlo Ancelotti, von dem die Fußballwelt so schwärmt.
Ancelotti hat an seinem ersten Arbeitstag also gleich seine neue Welt in ihrer ganzen bayerischen Vielfalt kennengelernt, und er hat das gekontert mit einer professionellen Weltmännischkeit. Er hatte auf Englisch gesprochen, auf Italienisch, auf Spanisch, und auch in einem sehr beachtlichen Deutsch, und damit konnte er so sehr beeindrucken, dass er sich inhaltlich erst einmal auf wenig festlegen ließ. Nur eines machte Ancelotti sofort klar: Er ist nicht Pep Guardiola.
Als der Katalane vor drei Jahren zum FC Bayern kam, waren der Verein, die Bundesliga und ganz München aufgeregt, alle hatten sich schrecklich geschmeichelt gefühlt, dass dieser Intellektuelle des Fußballs zu ihnen kam. Und als Guardiola dann auch fast eine Stunde lang ein beeindruckendes Deutsch gesprochen hatte, redeten alle hymnisch über ihn. Er bereicherte gleich in seinen ersten Wochen den Fußball, Philipp Lahm zum Beispiel, für viele im Verein ein unverzichtbarer Rechtsverteidiger, stellte Guardiola ins Zentrum des Spiels, und alle staunten begeistert. Nebenbei bereicherte er noch die deutsche Sprache, er sagte "toptoptop" oder "supersupersuper", und alle staunten begeistert. Ancelotti sagte bei seinem ersten Auftritt: "Ich bin nicht hier, um eine Revolution zu starten." Er sagte es auf Englisch.
Auch der Italiener hatte auf Deutsch gesprochen, dass er glücklich sei, dass der FC Bayern einer der größten Vereine der Welt sei, dass er seinem "Freund Guardiola" dankbar sei, der "in den letzten Jahren eine hervorragende Arbeit gemacht" habe. Er glaube aber, dass es "besser für alle" sei, das Frage-Antwort-Spiel auf Italienisch oder Englisch zu beginnen. Das alles hatte er, der in seinem Sabbatical in Vancouver mit seiner Frau Mariann an der Universität Sprachunterricht genommen hatte, flüssig und gut verständlich vorgetragen. (Dieter Nickles, der bei den Pressekonferenzen den langjährigen Mediendirektor Markus Hörwick ersetzen wird, gratulierte mit einem ehrfürchtigen "Wow, vielen Dank!") All diese Höflichkeiten, fand der Trainer, reichten an seinem ersten Arbeitstag jedoch an Einblicken in das Denken des Carlo Ancelotti.
Ob er weiter auf Mario Götze setzen werde, auf den Spieler, den der Verein ganz gerne verkaufen würde? "Solange er ein Spieler des FC Bayern ist, betrachte ich ihn als einen Spieler des FC Bayern, behandle ich ihn als einen Spieler des FC Bayern." Zu Pierre-Emile Højbjerg sagte Ancelotti schon gar nichts mehr, der Mittelfeldspieler wechselte am Montag zum FC Southampton aus der Premier League - angeblich bekommt der FC Bayern 15 Millionen Euro für den 20-Jährigen.
Ob Ancelotti die Champions League gewinnen wolle, den einzigen Titel, der für Guardiola in den drei Jahren in München unerreicht geblieben ist? "Ich glaube, dass ein Trainer mit der Hilfe des Klubs alles kontrollieren kann. Das einzige, was er nicht kontrollieren kann, sind die Ergebnisse. Könnte er auch die Ergebnisse kontrollieren, wäre er ein Zauberer." Aber, natürlich: "Wir wollen das Maximale erreichen." Welchen taktischen Ideen er umsetzen wolle? "Ich denke nicht, dass wir das System verändern werden. Das wird mehr oder weniger das System von letztem Jahr sein."
Ancelotti war Trainer in Mailand, in London, in Paris, in Madrid, er kennt den Fußball gut genug, um auch die Bedeutung einer funktionierenden Taktik zu kennen, so experimentierfreudig wie Guardiola ist er vielleicht nicht, aber wer ist das schon? Ancelotti kennt den Fußball schließlich auch gut genug, um zu wissen, dass es bei talentierten Spielern mit einem gereiften taktischen Verständnis nicht immer nur darum gehen muss, welcher Gegenspieler welchen Laufweg bevorzugt. Sondern dass es manchmal hilfreich sein kann, sich hinzusetzen und zu reden. Oder vielleicht mal ein gutes Essen zu genießen.
"Ich werde die Feinkost genießen", auch das sagte Ancelotti, und das zumindest war ein Satz, an dem er sich gerne messen lassen wird.