FC Bayern:Carlo Ancelotti - andächtig wie ein Museumsbesucher

Lesezeit: 3 min

Gefragt für Selfies: der neue Bayern-Trainer Carlo Ancelotti steht erstmals in einem Testspiel an der Linie (Foto: Christof Koepsel)

Anders als bei seinem Vorgänger ist der Bewegungsradius des neuen Bayern-Trainers vor der Bank kein Gesprächsthema. Das Wichtigste ereignet sich im ersten Testspiel tatsächlich auf dem Rasen. Und es handelt von Arjen Robben.

Von Benedikt Warmbrunn, Lippstadt

Wer den FC Bayern in den vergangenen Jahren verstehen wollte, der lernte schon viel, wenn er sich das Treiben an der Seitenlinie anschaute. Dort bewegte sich ein Mann, dessen Gesten manche an einen Verkehrspolizisten erinnerten, andere an einen Regentänzer, und wieder andere sahen darin sogar das Tun eines großen Fußballtaktikers. Der Bewegungsradius des Pep Guardiola vor seiner Bank war stets ein Gesprächsthema, wer ihn erstmals im Stadion erlebte, vergaß schnell das Geschehen auf dem Rasen. Und so wie Guardiola gestikulierte, so war dann ja auch das Spiel des FC Bayern, es war aufregend, es war meistens taktisch genial, nur ganz selten verlor sich die Mannschaft in diesen taktischen Experimenten selbst. Der Trainer Guardiola an der Seitenlinie, er war eines der interessanteren Kulturgüter des Vereins.

So gesehen herrscht nun eine andere Kultur beim FC Bayern. Nicht besser, nicht schlechter. Aber anders.

FC Bayern
:Götze-Wechsel: "Noch über Ablöse einigen"

Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge bestätigt Gespräche mit Dortmund über einen Transfer des Weltmeisters. Doch noch streiten die beiden Klubs über das Geld.

Am Samstagnachmittag trat das Team zum ersten Testspiel der Vorbereitung an, beim SV Lippstadt 08, in der Heimat von Klubboss Karl-Heinz Rummenigge. Der Rekordmeister zu Gast bei einem Oberligisten, das kommt in den Sommerwochen immer wieder vor, aber an diesem Nachmittag war das Spiel größer als ein gewöhnliches Testspiel. Es war die erste Partie ohne Pep Guardiola. Es war die erste Partie mit Carlo Ancelotti.

Wer sich nun das Treiben an der Seitenlinie anschaute, der bekam schon eine Ahnung davon, wie die Kultur beim FC Bayern in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren sein könnte.

Das Spiel lief zwei Minuten, da erhob sich Ancelotti, wie der Rest des Trainerteams gekleidet im Trainingsanzug des Vereins, von seiner Bank. Es blieb seine hektischste Bewegung an diesem Nachmittag.

Ancelotti verbirgt sein Entsetzen nicht

Ancelotti verfolgte das Spiel überwiegend im Stehen, die Arme verschränkte er entweder vor der Brust oder er legte sie hinter dem Rücken übereinander, wie ein Museumsbesucher, der sich ein bisschen Zeit nehmen will, um ein expressionistisches Werk genauer zu verstehen. Sah er eine Lücke, einen zu laufenden Laufweg, einen zu spielenden Pass, dann streckte er seinen Arm so aus, dass unmissverständlich war, wo eine Lücke war, wohin der Laufweg führen sollte, wohin ein Pass zu spielen war. Als Juan Bernat einmal einen zu kurzen Rückpass zu Torwart Sven Ulreich spielte, verbarg Ancelotti sein Entsetzen nicht: Er ließ beide Arme hängen. Und als sich seine Mannschaft in der zweiten Hälfte weit in die eigene Spielfeldhälfte zurückdrängen ließ, breitete er die Arme leicht auf, drehte die Handflächen nach oben, auch das war schon einer der emotionaleren Momente.

Diese ruhige Art an der Seitenlinie stand auch sinnbildlich für Ancelottis erstes Spiel, er verzichtete komplett auf taktische Experimente. Der Italiener stellte die bestmögliche Elf auf, mit Arjen Robben, Franck Ribéry, Philipp Lahm, Javi Martínez, Xabi Alonso. Mit Nachwuchskräften wie Julian Green oder Fabian Benko. Und mit einem Götze in der Innenverteidigung: mit Felix, dem jüngeren Bruder von Nationalspieler Mario. Diese Spieler formierte Ancelotti zu einem 4-2-3-1-System, wie es auch Guardiola oft angewendet hatte. Kapitän Lahm spielte in der ersten Hälfte im zentralen Mittelfeld, was ein taktisch geniales Experiment gewesen wäre, wenn auf diese Idee nicht schon Guardiola in seinen ersten Wochen in München gekommen wäre.

Das Spiel in Lippstadt endete übrigens 4:3 (3:0), was den Spielverlauf gut wiedergibt. Was aber nach fünf Tagen im Training nicht einmal dafür stehen kann, dass jetzt alles anders ist, und schlechter schon gar nicht. Nach dem Seitenwechsel standen am Ende nur noch junge Spieler auf dem Platz, Klubboss Rummenigge sagte daher: "Die jungen Burschen sind wohl erschrocken, dass Lippstadt auch Fußball spielen kann."

Zum nächsten Testspiel kommt Manchester City - mit Pep Guardiola

Die für Ancelotti wichtigste Szene ereignete sich in der 35. Minute. Robben setzte kurz hinter der Mittellinie zu einem Sprint an - und brach diesen abrupt wieder ab. Ein Griff an den rechten Oberschenkel, an dem der Niederländer schon so oft verletzt war; erst zum Ende der vergangenen Saison hatte er aufgrund von Adduktorenproblemen gefehlt. Ancelotti verfolgte es unbewegt am Seitenrand. Robben verbrachte die zweite Halbzeit im Mannschaftsbus, noch am Abend sollte er in München untersucht werden. Und bei seiner Verletzungshistorie machten sie sich im Klub keine Mühe, den Vorfall klein zu reden. Rummenigge verwies darauf, dass das erste Ligaspiel ja erst Ende August anstehe und dass Robben bis dahin "doch hoffentlich wieder dabei sein kann".

Das zweite Testspiel steht für den neuen Trainer am Mittwoch an, dann muss er noch einmal die Vergleiche mit seinem Vorgänger ertragen, danach dürfen sie auch aufhören. Am Mittwoch aber wird ein paar Meter von dem ruhigen Ancelotti entfernt Pep Guardiola gestikulieren, der neue Trainer von Manchester City.

© sz.de/bwa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FC Bayern
:Ancelotti schwärmt von seiner Abwehr

Vor dem ersten Testspiel des FC Bayern verabschiedet der neue Trainer Medhi Benatia nach Turin - und spricht ein Wechselverbot für Joshua Kimmich aus.

Von Sebastian Fischer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: