FC Bayern in der Bundesliga:"Arbeitsschweinchen" auf der Durchreise

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Serge Gnabry (li.): Jubelte schon mal ausgelassener (Foto: Getty Images)

Der Meister zeigt beim 2:1 in Köln, dass es bei der aktuellen Terminhatz zuvorderst um das Abhaken von Pflichtaufgaben geht. Trainer Flick moniert dennoch, die Sicherung des Sieges habe "zu viel Kraft" gekostet.

Von Philipp Selldorf, Köln

Es stellt im Prinzip keinen Akt der Hochachtung vor dem Gegner dar, wenn Spitzenklubs zur Auswärtstour ihren besten Spieler zu Hause lassen, damit dieser sich mal ein unbeschwertes Wochenende machen kann. In der Dienstbefreiung des Stars steckt unausgesprochen eine Ansage mit Raum für Interpretationen. Vorneweg steht: Wir kommen da schon allein klar! Eine andere Botschaft könnte lauten: Genieß die Zeit und spar dir die Fernsehübertragung von unserem Pflichtsieg! Die Kölner waren dennoch nicht beleidigt, als sie hörten, dass Hansi Flick den Stürmer Robert Lewandowski in München entspannen ließ, wobei darüber gerätselt wurde, ob der Trainer die Erholung eher gewährt oder eher verordnet hatte.

Torjäger gehen allgemein gern zur Arbeit, wenn sie erwarten dürfen, ihr Schützenkonto zu füllen. Zumal in einem Spiel beim Drittletzten der Liga, und erst recht, wenn der Torjäger Lewandowski heißt und auch als 32-Jähriger immer noch sehr empfänglich ist für persönliche Rekorde und Auszeichnungen. Flick versicherte, er habe mit Lewandowski gesprochen, "ganz normal, wie ein Trainer mit einem Spieler spricht", und jener habe an der Idee "Gefallen gefunden".

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Wie Flick den Fall schilderte, musste Lewandowski in keiner Weise zum Daheimbleiben gezwungen, aber vielleicht doch ein bisschen davon überzeugt werden. Und es könnte schon sein, dass ihm am Samstag ein paar Treffer entgangen sind, und dass mit ihm vielleicht nicht bis zur letzten Sekunde der Sieg infrage gestanden hätte. Die Bayern-Profis hatten sich wie gewöhnliche Fußballer für den Erhalt des Vorsprungs anstrengen müssen. Die Extra-Arbeit in vier Minuten Nachspielzeit wurde durchaus als Belästigung empfunden. Flick monierte, man habe "zu viel Kraft gebraucht", um das 2:1 zu sichern.

Ob die Bayern eine Geringschätzung andeuteten, indem sie auf Lewandowski verzichteten, war für Kölns Sportchef Horst Heldt nicht das Thema. Vielmehr war es die Erfüllung einer Wunschvorstellung. Teams wie dem 1. FC Köln bleibt bei der Begegnung mit der Großmacht FC Bayern nur die Hoffnung auf eine Häufung günstiger Umstände.

Sind die Münchner, so wie jetzt, inmitten einer Champions-League-Kampagne im Tourstress, steigen die Chancen, dann spielen Eric Maxim Choupo-Moting in der Sturmmitte und Javi Martinez statt Goretzka oder Tolisso. Moskau, Köln, Salzburg, BVB, so sieht das aktuelle Programm der Meisterfußballer aus, am Samstag befanden sie sich gedanklich offenbar auf der Durchreise. Sie erledigten ihren Job, aber dafür habe man, wie Thomas Müller kreativ formulierte, "das Arbeitsschweinchen herausholen müssen".

Der Einsatz stimmte, inspiriertes Spiel kam aber nur in einzelnen Momenten zustande. Den Schönheitspreis erhielt diesmal kein Bayer, sondern der Kölner Ondrej Duda für seine eleganten technischen Einlagen. "Heute war es keine Gala", gab Müller zu. Die Intensität der emotionalen Beteiligung äußerte sich auch in Serge Gnabrys Reaktion auf sein sehenswertes 2:0. Für seine übliche Jubel-Choreografie als Koch mit Löffel und Topf nahm sich Gnabry circa eine halbe Sekunde Zeit und setzte dazu das Gesicht eines Mannes auf, der seiner Pflicht überdrüssig ist.

Am Ende hatten die Kölner häufiger aufs Tor geschossen als die Münchner, im Verhältnis 9:7. Das war zwar nur eine Statistik, die das Wesentliche verschwieg: Die Bayern hatten deutlich gefährlicher draufgeschossen. Dennoch hatte Markus Gisdol nicht unrecht, als er meinte, die Zahl beschreibe "das Bild des Spiels". Kölns Trainer behauptete gar, "niemand hätte sich beschwert", wenn auf der Anzeigetafel ein 2:2 gestanden hätte, "oder noch mehr..."

So aber musste sich Gisdol mit Teilerfolgen begnügen. Etwa, dass er einen fluchenden FC-Bayern-Rechtsverteidiger Benjamin Pavard gesehen habe, "weil er Ismail Jakobs nicht in den Griff bekommen hat". Der schnelle Linksaußen, 21, blieb nicht nur im Duell mit dem Weltmeister unerschrocken, sondern auch im Zwiegespräch mit der öffentlichen Meinung: "Die Entscheidung für den Elfmeter machte das Spiel kaputt", teilte Jakobs bei Sky mit.

Tatsächlich blieb die Rechtmäßigkeit des Handelfmeters, den Müller zum frühen 1:0 (13.) nutzte, unbestritten, über die Verhältnismäßigkeit durfte diskutiert werden. Sogar Flick deutete Zweifel am Wert der Richtlinie an. Gisdol forderte, die Pflicht zum Strafstoß bei unabsichtlichem, zufälligem Handspiel - wie am Samstag bei seinem Schüler Marius Wolf oder am Freitag beim Schalker Salif Sané - "endlich zu überdenken". Er wähnt sich bei seinem Vorstoß nicht allein: Diese Regel sei "grenzwertig, das weiß jeder Fußballer".

Was wäre ohne den Elfmeter geschehen? Bis dahin hatten die Kölner mehr Dynamik und Spielfreude eingebracht, vielleicht wäre es also noch mühseliger geworden für die recht träge gestarteten Bayern, die nach Müllers Geschmack häufig "einen Tick zu aufreizend" und "einen Tick zu lässig" auftraten. Diesen Eindruck konnte man schon haben, wenn man Leroy Sané zuguckte, der Schwierigkeiten offenbarte, sich an die Vorgaben des Münchner Spiels anzupassen. Diese sehen - bei aller gezeigten spielerischen Opulenz - zuerst Disziplin und Ordnung vor. Sané hingegen mag es etwas legerer, er läuft nicht gern jedem Ball hinterher, den der Gegner durch die Gegend trägt. Auch Lewandowskis Vertreter Choupo-Moting fiel nicht durch Matthias-Sammer-artigen Feuereifer auf.

Flick wurde gefragt, ob die umfassend umformierte Besetzung ein "Experiment" gewesen sei. Er antwortete mit einem Bekenntnis zum Zweck- und Gebrauchsfußball: "Wenn man 2:1 gewonnen hat, ist das Experiment aufgegangen." Die Kunst besteht für die Münchner zurzeit nicht in Unterhaltung des Fernsehpublikums, sondern im effektiven Abhaken der Aufgaben. Flick sprach dazu einen Satz, den er von seinem skrupellosen Kollegen José Mourinho ausgeliehen haben könnte: "Es geht am Ende ums nackte Ergebnis." Das 2:1 in Köln war spärlich, aber ausreichend bekleidet.

© SZ vom 02.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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