FC Barcelona - Inter Mailand:90.000 gegen 98 Prozent

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Vor dem Rückspiel im Champions-League-Halbfinale sprechen die Fakten für Inter und gegen Barcelona - deshalb wird im Camp Nou eine Drohkulisse aufgebaut.

Javier Cáceres

Der Weg ist vorgezeichnet, seit Wochen schon. "Finale" steht auf den Plakaten, die das Camp-Nou-Stadion des FC Barcelona verzieren. Geschmückt sind sie mit dem Champions-League-Pokal, den Barça 2009 emporrecken durfte, und mit einem elektrisierenden Wort: Madrid.

Auf Lionel Messi ruhen die Hoffnungen der Barcelona-Anhänger. (Foto: Foto: Reuters)

Am 22. Mai findet dort das diesjährige Champions-League-Finale statt, genauer: im Estadio Santiago Bernabéu, der Heimat des Erzrivalen Real Madrid. Barça hat dort schon 1997 eine Trophäe gewonnen, den spanischen Königspokal, der damalige Vize- und spätere Klubpräsident Joan Gaspart enterte seinerzeit die Sprecherkabine, schloss sich ein und legte eine CD mit der Vereinshymne ein: dreimal lief sie über die Stadion-Lautsprecher.

Doch die Erinnerung an das unvergleichliche Gefühl des Triumphs auf feindlichem Boden erlischt, neue Generationen trachten nach Auffrischung. Das erklärt, zum Teil jedenfalls, dass Barcelona am Vorabend des Halbfinal-Rückspiels gegen Inter Mailand kaum wiederzuerkennen ist. Und vollends durchgeknallt zu sein scheint.

Selbst die Stadtältesten können sich nicht daran erinnern, ihre Heimat in einem derart exzessiven Zustand der Erregung erlebt zu haben wie zurzeit. Der Verein hat die Anhänger aufgerufen, 45Minuten vor Spielbeginn in Vereinsmontur im Stadion zu sein - um die Italiener bereits einzuschüchtern, wenn sie die Muskeln lockern und wärmen. Alle Motorrad- und Rollerfahrer sind aufgefordert, sich um 18 Uhr zum Mannschaftshotel zu begeben, der Bus soll per Korso zum Stadiontor begleitet werden.

Der Klub hat Anzeigen in Funk, Presse und Fernsehen geschaltet, dabei ist in den lokalen Medien auch so schon vom "Jahrhundert-Kessel" die Rede, der Inter bereitet werden müsse. Vor dem Anpfiff wird auf den Rängen ein Mosaik gebildet werden, das jedem nordkoreanischen Gewerkschaftstag zur Ehre gereichen würde. Und sobald das Spiel beginnt, wird das Stadion röhren wie noch nie. "Ich erwarte das beste Camp Nou der Geschichte - und dass die Spieler Inters 90 Minuten lang ihren Beruf als Fußballer hassen", sagt Verteidiger Gerard Piqué, Vereinsmitglied bei Barça seit seiner Geburt.

Doch nicht allen Anhängern Barcelonas ist bei dem Gedanken an die außergewöhnliche Drohkulisse geheuer. Sie fürchten, dass sie die womöglich wichtigste Tugend erstickt, die Barça am Mittwochabend zeigen muss, um auf Inter einen Zwei-Tore-Rückstand aufzuholen: Geduld. "Um gegen Inter weiterzukommen, müssen wir die Essenz unser selbst sein, unsere Essenz in Reinheit", hat Trainer Josep Guardiola gesagt. Und das bedeutet, rast-, aber hastlos Spielzüge stricken, bis der Ball von 90000 Lungenpaaren bloß noch über die Linie gepustet werden muss, wie es der frühere Barcelona-Trainer Carles Rexach einmal sinngemäß formuliert hat.

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3:1 hatte Inter vor Wochenfrist das Hinspiel gewonnen, und dass Barcelona in Wallung ist, liegt nicht nur am Endspielort Madrid. Sondern auch an dem Gesprächsbedarf, den die Partie im San-Siro-Stadion hinterließ. Weniger, weil Barça in Mailand nicht wiederzuerkennen war.

Eher, weil Schiedsrichter Olegario Benquerança aus Portugal eine auffallend schlechte Leistung bot. Jaja, Portugal, hieß es sodann in Katalonien. Denn Portugal, das ist das Heimatland von Inters Botschafter Luis Figo und von Trainer José Mourinho - zwei unter Barça-Fans ausreichend verhasste Figuren.

Figo stahl sich einst zu Real Madrid davon und wurde bei späteren Visiten unter anderem mit einem Schweinskopf beworfen. Mourinho war zwar mal Co-Trainer in Barcelona, hat aber insbesondere als Coach des FC Chelsea keine Gelegenheit zur Provokation ausgelassen. Nun schießen der FC Barcelona und sein Umfeld zurück. In der Presse wurde sogar das - offenbar haltlose - Gerücht über eine angebliche Geschäftspartnerschaft Mourinhos mit Benquerança in die Welt gesetzt. Alles zählt, wenn es darum geht, eine titanische Aufgabe zu bewältigen.

Denn das ist sie allemal. Fünfmal hat Barça in seiner Geschichte in einem europäischen Wettbewerb ein 1:3 aufholen müssen, nur zweimal haben es die Katalanen auch geschafft (1994 gegen Dynamo Kiew, 2000 gegen den FC Chelsea). Inter wiederum hat fünfmal ein 3:1 verteidigen müssen und es nur einmal aus der Hand gegeben, 1986 gegen Real Madrid.

Auch die Zahlen der Trainer sprechen eher für Inter. Einerseits hat Barça zwar in den 116 Spielen unter Guardiola 50 Mal mit einem 2:0 oder einer größeren Tordifferenz gewonnen; zudem neunmal ein 3:1 erzielt, das immerhin die Verlängerung herbeiführen würde. Doch andererseits halten die Fußballdatenbanken unter der Kennung Mourinho bombastische Zahlen bereit: In 389 Spielen als Trainer hat der Portugiese nur 46 Mal verloren, davon bloß zehn Partien - oder 2,5 Prozent - mit zwei (8) oder drei (2) Toren Differenz. Und so spielen und lärmen am Mittwoch 90.000 Menschen im Camp Nou gegen Inter und die fast 98-prozentige Wahrscheinlichkeit an, dass die Mailänder erstmals seit 1972 wieder ins Finale einziehen.

© SZ vom 28.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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