FC Barcelona:Katalanischer Krisenzirkus

Lesezeit: 4 min

Kann derzeit keine Tore schießen, um die Stimmung aufzuhellen: Lionel Messi. (Foto: dpa)
  • Beim FC Barcelona geht es inmitten der Corona-Pandemie drunter und drüber.
  • Insbesondere Präsident Bartomeu steht unter Dauerdruck: Finanziell pfeift der Klub aus dem letzten Loch.
  • Sechs Personen aus der Vereinsführung sind bereits zurückgetreten.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gibt ein Grundgesetz, das bei jedem Fußballklub gilt, auch beim FC Barcelona. Es lautet: Solange der Ball ins Tor rollt, gibt es keine Krisen - außer in ganz besonderen Ausnahmesituationen. Zurzeit rollt, wie man weiß, der Ball weder ins Tor noch sonst irgendwo hin, schon gar nicht in Barcelona: Für das Staatsgebiet Spaniens und damit auch für Katalonien gilt seit Mitte März der Alarmzustand. Superstar Lionel Messi? Ist daheim in Quarantäne, offenbar bei bester Gesundheit, immerhin. Ansonsten aber geht es derzeit beim FC Barcelona drunter und drüber.

Das Präsidium hat dabei eine echte Meisterleistung vollbracht. Man wirft sich mitten im Lockdown, der weitaus strenger gehandhabt wird als in Deutschland, das Porzellan vor aller Augen so stramm an den Kopf, dass die Sportzeitungen in fußballarmer Zeit keine Mühe haben, ihre Seiten zu füllen. Nachdem gleich sechs hochrangige Funktionäre aus dem 20-Mann-Führungsgremium des FC Barcelona gegangen waren, schrieb die Zeitung As voller Bewunderung, der Verein habe ein Schisma aufgeführt, "ohne dass jemand auch nur einen Schritt vor sein Haus tut".

Das muss man erst mal hinkriegen - wobei das Kunststück nur möglich war, weil der Zwist im Klub schon länger gärt.

Ein Teil des Präsidiums probte den Aufstand

Wie es sich für einen innenpolitischen Machtkampf gehört, ist er von außen nicht so einfach zu entwirren. Der Streit ist von vielen Handlungssträngen und Intrigen durchzogen, und er hatte auch noch einen bizarren Auslöser: eine kaum nachvollziehbare, als "Barçagate" bekannte Propagandaschlacht in sozialen Netzwerken.

Athletic Bilbao
:Mit Sparschwein und Steinbruch

Baskische Fußballromantik: Weshalb Athletic Bilbao in der großen Corona- und Finanzkrise der gesündeste Klub in Spanien ist.

Von Javier Cáceres

Im Februar war bekannt geworden, dass der FC Barcelona eine als recht obskur geltende Firma namens "I3 Ventures" unter Vertrag genommen hatte. Deren offizielle Mission: das Image des seit 2015 regierenden Vereinschefs Josep María Bartomeu im Internet zu schützen. Der Radiosender Cadena SER enthüllte, dass deshalb auch anonyme Accounts betrieben wurden, um Gegner des Präsidiums zu diskreditieren. Auch Spieler, die den Klubfunktionären ein Dorn im Auge waren, wurden zu aller Verblüffung im Netz attackiert, zum Beispiel Messi und Gerard Piqué. Wer von Barças Feldzug im Netz wann wusste, soll die Unternehmensberatung PWC klären, deren Bericht lässt noch auf sich warten.

Mindestens ebenso spannend sind andere heikle Fragen: Wieso wurde eine siebenstellige Summe an I3 Ventures gezahlt, obwohl der Marktwert der Dienstleistungen nur einen Bruchteil davon betrug? Und warum wurden die bezahlten Beträge so gestückelt, dass sie nicht der Kontrollkommission des Klubs vorgelegt werden mussten? Diese Kommission muss erst aktiv werden, wenn ein Vertrag Zahlungen von mehr als 200 000 Euro vorsieht. Und welch Zufall: Die fraglichen Verträge, die sich laut Gazzetta dello Sport auf mehr als drei Millionen Euro Honorar für drei Saisons summieren, beliefen sich immer auf rund 190 000 Euro, und sie wurden auf verschiedene Sektionen des Klubs verteilt.

Am Montag enthüllte die Zeitung Sport, dass in der Angelegenheit auch Barcelonas Nachwuchsabteilung zahlen musste, ohne dass deren Verantwortliche davon wussten. Vor ein paar Tagen machte der prominenteste der Präsidiumsdissidenten, Emil Rousaud, eine Interviewrunde bei katalanischen Radiosendern und äußerte eine auf der Hand liegende, aber ungeheure Vermutung: Jemand müsse "in die Vereinskasse gegriffen" haben. Belege legte er nicht vor - dass sie sich finden lassen dürften, bezweifelt er nicht. Rousaud bemühte dafür eine gängige spanische Metapher: Wenn etwas "weiß und in einer Flasche" abgefüllt sei, handele es sich um "Milch"! Der FC Barcelona teilte per Kommuniqué mit, rechtliche Schritte gegen Rousaud zu prüfen.

Schon zuvor hatte Rousaud mit Präsidiumskollegen den Aufstand geprobt - bei einer informellen Vorstandssitzung in einem Restaurant in Sant Joan D'Espí, nahe der Sportstadt des Klubs, vor den Toren der katalanischen Hauptstadt. Eine Spekulation lautet, dass die Rebellen um Rousaud im Lichte von "Barçagate" die Chance witterten, die Macht an sich zu reißen. Demnach wollten sie Präsident Bartomeu zum Rücktritt zwingen, die für 2021 vorgesehenen Neuwahlen vorziehen - und die Kandidaten der Opposition auf dem falschen Fuß erwischen. Rousaud dürfte auf das "Good Will" des Präsidenten gehofft haben, immerhin war er dessen designierter Nachfolgekandidat. Die Dissidenten aber hatten ein weiteres Problem: die desaströse Finanzlage des Klubs. Und das trifft Bartomeu ins Mark.

Denn Bartomeu träumt davon, sich nach seiner zweiten und letzten Präsidenten-Ära mit allen möglichen Champions-League-Titeln zu verabschieden. Das erklärt, wieso er mehr als 60 Prozent der Milliarden-Einnahmen des Klubs fürs Personal ausgibt. Diese Kosten sind seit Jahren exorbitant gestiegen, von 375 Millionen Euro (2015/16) auf 507 Millionen (2019/20).

Im Vorsommer holte Bartomeu den Weltmeister Antoine Griezmann für die Fußballmannschaft, Barcelonas Basketballern schenkte er den NBA-Profi Nikola Mirotic. Jetzt pfeift der Verein in der Corona-Krise finanziell aus dem letzten Loch, denn Einnahmen sind gerade nicht zu generieren. Auch die Ausgabensenkungen führten zu einem Disput. Die Profis, die wegen Barçagate und der teuren Investitionen mit dem Präsidium zerstritten sind, willigten zwar für die Dauer der Krise in eine 70-prozentige Lohnkürzung ein - aber nur auf ihre Grundgehälter, und das ergibt, so die Zeitung El País, eine Summe von nur 14 Millionen Euro pro Monat. In den Augen der Gruppe um Rousaud ist das unzureichend, auch im Vergleich zu anderen Vereinen. Bei Juventus Turin etwa verzichten die Spieler auf 90 Millionen Euro.

Womit man wieder beim informellen Vorstandstreffen vom Februar wäre: Denn als er all diese Rügen zu hören bekam, fasste Bartomeu den Entschluss, den Vorstand umzubauen. Er rechnete aber nicht damit, dass Rousaud gleich fünf weitere Abtrünnige zum Rücktritt bewegen würde, darunter die Unternehmerin Maria Teixidor, die den Frauenfußball zu einer gewinnbringenden Abteilung geformt hatte und die Kommission für Transparenz leitete.

Alle sechs hinterlegten ihre Rücktritte bei einem Notar - um für etwaige Verfehlungen des Präsidiums nicht haftbar gemacht zu werden. Bartomeu wiederum versucht, neue Mitstreiter zu gewinnen, um wenigstens die Handlungsfähigkeit des Präsidiums zu garantieren - zumindest für die Übergangszeit, in der kein Ball rollt und Lionel Messi in kein Tor treffen kann.

© SZ vom 14.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Vertragslaufzeiten im Fußball
:"Da sehe ich ein hohes Streitpotenzial"

Der Weltverband Fifa empfiehlt, dass Verträge von Profifußballern bis Saisonende und nicht bis zum 30. Juni gelten sollten. Spielerberater und Spieler sehen ihre Rechte verletzt.

Von Javier Cáceres

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: