FC Augsburg:Der Eisberg knackt

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Glücksgefühle in Heidenheim: Jess Thorup (r.), der neue Trainer des FC Augsburg, mit Angreifer Phillip Tietz. (Foto: Klaus Rainer Krieger/Imago)

Angreifer Phillip Tietz steht exemplarisch für den bemerkenswerten Wandel des Binnenklimas unter dem neuen Trainer Jess Thorup - es herrscht eine Mischung aus Konzentration, Vertrauen und Leichtigkeit.

Von Maik Rosner

An die Vergangenheit wollen sie beim FC Augsburg eigentlich nicht mehr denken, und doch speist sich in der Vorbereitung auf das kommende Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg am Samstag die Zuversicht auch aus der Retrospektive. Zumindest aus jener, die nicht allzu weit zurückreicht, aber doch etwas weiter als nur bis zum vergangenen Sonntag, als beim 1. FC Heidenheim der bemerkenswerte 5:2-Sieg nach einem 0:2-Rückstand dank fünf verschiedener Torschützen gelang. "Das zeigt die Vielfalt unserer Mannschaft, dass überall Qualität herrscht, dass jeder ein Tor schießen kann und dass es für die nächsten Mannschaften extrem schwer wird, das einschätzen zu können", befand Phillip Tietz hoffnungsfroh.

Im Sommer war der 26 Jahre alte Angreifer vom Aufsteiger SV Darmstadt 98 für rund zwei Millionen Euro Ablöse zu den Augsburgern übergelaufen. Beim anderen Aufsteiger Heidenheim war ihm nun sein erstes Bundesligator gelungen, als er Fredrik Jensens Eckball mit einem kontrollierten Volleyschuss zum 1:2 aus FCA-Sicht verwertet hatte. Danach trieb Tietz die Wende mit seiner Vorlage zu Mads Pedersens 2:2 weiter voran. Tietz stand mit seinen Torbeteiligungen für jenes Potenzial, das der Kader biete und das es auszuschöpfen gelte, wie der Sportdirektor Marinko Jurendic zuletzt mehrmals gefordert hatte.

In Heidenheim stand Tietz mit seinen ausgesprochen vergnügt vorgetragenen Einschätzungen aber auch für die neue Heiterkeit beim FCA. Immer wieder witzelte und lachte Tietz, auch als er Dankesworte an all jene Menschen richtete, die ihm nahestehen. Besonders an seine Frau, aber ebenso an die Kollegen. "Die Jungs sehe ich jeden Tag, und ich liebe sie extrem dolle", sagte Tietz. Er strahlte.

Es lag wohl nicht nur an seinem persönlichen Erfolgserlebnis, dass er so offenherzig von seinen innigen Gefühlen berichtete, sondern auch am ersten Auswärtserfolg des FCA seit mehr als einem Jahr. Gelungen war den Augsburgern zudem ihr erster Auswärtssieg überhaupt seit dem Bundesliga-Aufstieg 2011 nach einem 0:2-Rückstand - und der erste mit fünf eigenen Toren. Im Rückblick kann man allerdings noch ein paar Tage weiter zurückgehen, bis zum Dienstag der vergangenen Woche, um den Erfolg und die neue Zuversicht beim FCA zu erklären.

"Glaubt an eure eigenen Stärken, fokussiert euch nicht zu sehr darauf, was der Gegner macht, sondern macht euer Ding."

Es war jener Tag, an dem der Nachfolger des freigestellten Enrico Maaßen, 39, erstmals vor die Mannschaft trat. Dabei habe der neue Trainer Jess Thorup die Spieler "von Sekunde eins abgeholt", sagte Mittelfeldakteur Niklas Dorsch. Gelungen war Thorup das, indem er einen wichtigen Leitgedanken vermittelte. Er habe der Mannschaft gesagt: "Glaubt an eure eigenen Stärken, fokussiert euch nicht zu sehr darauf, was der Gegner macht, sondern macht euer Ding", erzählte Dorsch. Offensives Danken habe der Trainer verordnet und sofort versucht, "alle in sein Boot zu holen", auch die Enttäuschten im Kader. "Da ist es die Kunst, alle in die richtige Richtung zu lenken", sagte Dorsch, "da geht er mit einer brutalen Autorität voran, und alle gehen ihm hinterher."

Tietz bestätigte das. Thorup habe das Team super vorbereitet, nicht nur taktisch. "Er hat viel mit der Mannschaft geredet, hat uns Mut zugesprochen, er hat gesagt, dass er uns Sachen mitgibt, aber wir auf dem Platz entscheiden", sagte Tietz und verfiel ins englische Vokabular, das der 53 Jahre alte Däne im Training verwendet. "Denglisch" spreche Thorup, sagte Tietz und lachte wieder. Dabei lege Thorup "sehr viel Wert darauf, dass ihn jeder versteht", und dafür nehme sich der Trainer Zeit. Dorsch ergänzte, Thorup fördere gezielt das Gemeinschaftsgefühl. Zugleich gewährt er Freiheiten. Die Nacht vor der kurzen Auswärtsreise durften die Spieler zu Hause verbringen.

Zumindest fürs Erste haben Thorups Maßnahmen offensichtlich gegriffen, wenngleich der 0:2-Rückstand auch weiterhin vorhandene Defensivschwächen aufzeigte, vor allem bei den Standards des Gegners. Doch die entscheidende Veränderung beim FCA scheint weniger die Rückkehr zur Viererkette oder die Auswahl der ersten Elf gewesen zu sein, sondern vielmehr die neue Arbeitsatmosphäre mit einer Mischung aus Konzentration, Vertrauen und Leichtigkeit.

Genau diese Elemente strahlt Thorup auch aus, wenn er öffentlich auftritt und dabei ruhig, in der Sache klar und zugleich nahbar und fröhlich spricht. Wie in Heidenheim, als er auf seinen Anzug angesprochen worden war, den er beim Spiel getragen hatte. Er habe auch Trainingskleidung und sogar kurze Hosen zur Auswahl gehabt, erzählte Thorup, "aber heute war es so ein wichtiges Spiel, da habe ich gesagt: Jetzt muss ich was Schönes anziehen." Er lächelte, auch mit einem Anflug von Selbstironie.

Mit seiner natürlichen Autorität, aber zugleich zugänglichen Ausstrahlung muss sein erster Kontakt mit der Mannschaft nach der Schwere in den letzten Wochen mit Maaßen wie ein Kipppunkt gewirkt haben, nur im positiven Sinne. Vielleicht kann man sich das tatsächlich so vorstellen: dass Thorup erstmals zu seinen neuen Spielern sprach und man schnell ein imaginäres Knacken hörte wie beim beginnenden Abbruch einer großen Eismasse in der Antarktis. Ein paar Tage später in Heidenheim fühlte sich der Herbst tatsächlich wie ein zweiter Frühling an. Das galt fernab des tatsächlichen Klimawandels auch für das neue Binnenklima beim FCA. Wie nachhaltig die Wende aus den ersten Tagen mit Thorup ist, muss sich gegen Wolfsburg und danach zeigen.

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