Zuschauer in der Bundesliga:Die ersten Spuren des Stadion-Entzuges

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25 000 Tickets hätte Hertha BSC am 2. Spieltag gegen Wolfsburg verkaufen können - 18 000 Zuschauer kamen ins Olympiastadion. (Foto: Getty Images)

Hat die Corona-Zeit zu einer Entwöhnung der Fans geführt? Viele Bundesligisten haben aktuell Mühe beim Ticketverkauf und können auch die verfügbaren Plätze nicht füllen. Die Sorge, dass das noch länger so bleiben könnte, ist da.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Wenn man den Zuschauer-Experten bei Borussia Dortmund glaubt, sprechen die Stadion-Parkplätze Bände über die Befindlichkeit des Publikums. Während sonst mehr als 80 000 zu den Heimspielen des BVB pilgern, sind coronabedingt derzeit nur 25 000 zugelassen, weniger als ein Drittel. Die weitläufigen Parkplätze aber "sind so voll wie bei voller Hütte", wie man beim BVB hört. Und für die letzten 500 Meter bis zum Parken kann man derzeit schon mal zwei Stunden brauchen. Die Leute meiden offenbar U-Bahn, S-Bahn und jeden näheren Kontakt mit vielen Menschen. Zugleich fühlen sich viele aber wieder zum Live-Erlebnis im Stadion hingezogen. Eine Gemengelage, wie sie die Bundesliga noch nicht kannte.

In Dortmund, wo es das größte Stadion im Lande gibt, können sie immerhin ihre 25 000 Tickets an Mann, Frau und Kind bringen. Selbst gegen die eher als Kassengift berüchtigte TSG Hoffenheim hat das wieder geklappt. Dortmund hat aber im Normalfall fast 55 000 Dauerkarten-Besitzer, die im Moment wegen der Corona-Bestimmungen nicht regelmäßig bedient werden können, und es gibt zudem eine offizielle und sogar öffentliche "Warteliste" für Dauertickets. In anderen Städten, bei anderen Klubs ist dieser Sockel der Begeisterung längst nicht so groß. Nicht nur Hoffenheim oder Wolfsburg blieben zum Start auf vierstelligen Besucherzahlen hängen, auch in Stuttgart, Mainz, Augsburg oder Bochum reichte es nicht, um die maximal 50 Prozent der erlaubten Stadion-Kapazitäten auszuverkaufen.

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Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte schon vor einiger Zeit vermutet, dass der lange Stadion-Entzug bei vielen Fans Spuren hinterlassen würde. Dass man also keineswegs gegen Ende der ganz großen Corona-Wellen den gewohnten Massenansturm erleben würde. "Das wird noch eine Zeit brauchen. Wenn wir dürften, würden wir vielleicht in absehbarer Zeit wieder 50 oder 60 000 Zuschauer anziehen können, aber ein wirklich volles Stadion vielleicht erstmal noch nicht", sagte er: "Die einen sind etwas vorsichtig, und manche haben sich auch in der langen Pause etwas vom Fußball entwöhnt."

Eltern haben sich an Fahrradtouren mit den Kindern gewöhnt, Männer an Wochenenden mit der Frau - oder umgekehrt. Oder wie Hertha-Trainer Pal Dardai ganz realistisch meinte: "Manche haben ein bisschen Angst, und manche haben Gefallen gefunden, Spiele am Fernseher zu sehen und ein Fläschchen Bier dabei zu trinken." Hertha BSC hatte zum Saisonstart gegen Wolfsburg statt 25 000 nur gut 18 000 ins Olympiastadion locken können.

Christian Hockenjos, bei Borussia Dortmund seit Jahren Direktor für Organisation, hat die Vorbehalte vieler Zuschauer im an sich so Fußball-vernarrten Dortmund registriert: "Wir vergeben ja ganz überwiegend die Karten nur nach dem 2G-Prinzip, also für Genesene und Geimpfte, weil das dem Sicherheitsbedürfnis vieler Zuschauer entgegenkommt. Außerdem gibt es für die Einlasskontrollen Time-Slots, im Viertelstundentakt, ab eineinhalb Stunden vor dem Anpfiff." Bedeutet: Zuschauer, die Karten zugeteilt bekommen haben, müssen zu festgelegten Zeiten an einem festgelegten Eingang ankommen, um größere Gedränge zu vermeiden. "Die meisten Leute halten sich an diese Zeiten geradezu penibel", sagt Hockenjos.

Immerhin genießen sie in Dortmund, dass sie Spiele ausverkauft bekommen, zumindest auf dem derzeit erlaubten Niveau, trotz des Bestell-Brimboriums. Wer sein Ticket zugeteilt bekommen hat, sich dann im Pkw zum Parkplatz gekämpft hat, und pünktlich im vorgegebenen Time-Slot ankommt, muss sich vor den Stadiontoren dann bei einem von sechzig ambulanten "GG-Teams" ausweisen. Dann wird mit einer App der Impf-Status geprüft und am Ende der Prozedur ein Armbändchen vergeben, mit dem man am Eingangs-Ordner vorbei kommt. Ob solcher Aufwand mit größeren Zuschauerzahlen noch machbar wäre? In Dortmund ist man skeptisch. Als Abschreckung für manchen Fan reicht die Kontrolle aber schon heute.

In Dortmund machen die Logen-Einnahmen um die 20 Millionen Euro aus

Über die von BVB-Boss Watzke diagnostizierte "Entwöhnung" vieler Fans machen sie sich in der Bundesliga durchaus Sorgen. Vor allem organisierte Fan-Gruppierungen haben Bedenken angemeldet, ob es den Klubs nicht bei der Öffnung der Stadien in erster Linie um "wirtschaftliche Interessen" gehe. Und nicht darum, "das Stadion-Erlebnis wieder so gut es derzeit eben geht wieder zu ermöglichen", wie Helen Breit vom "Fanbündnis Unsere Kurve" der Nachrichtenagentur sid sagte.

Ganz sicher spielen für die Klubs die wirtschaftlichen Aspekte die spielentscheidende Rolle. Gerade die beiden Top-Vereine Bayern München und Borussia Dortmund erlitten eklatante Einbußen, weil die Einnahmen aus den VIP-Logen fehlten. 25 000 Besucher ins Stadion lassen zu dürfen, bedeutet für die beiden Klubs mit den teuersten Spielerkadern auch, dass sie damit wieder mehrere tausend Logen-Besucher zulassen können. In Dortmund sollen allein diese Einnahmen für die laufende Saison an die 20 Millionen Euro ausmachen, bei den Bayern, mit weit mehr VIP-Plätzen, dürfte diese Summe deutlich höher sein. Schwarze Zahlen würden aber die meisten Klubs erst wieder mit wirklich vollbesetzten Stadien schreiben können.

Dass die Bundesliga ohne Zuschauer eine Zeitlang überleben kann, gespeist allein aus den TV-Geldern, hat Corona schon bewiesen. Derzeit erweist sich, dass die kleine Live-Atmosphäre in erster Linie gut fürs Seelenleben im Fußball ist, dass aber die eher begüterten Logengäste die wichtigste Säule bei den Erlöse aus Tickets darstellen. Den meisten Normalo-Fans wird das weiterhin relativ egal sein. Die übrigen haben eventuell gerade Gefallen gefunden, auf den Kick des Stadions-Besuchs zu verzichten.

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