European Championships:Ungewollter Urlaub statt Heim-EM

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Der vorerst letzte Auftritt vor großer Kulisse: Christian Zimmermann beim Kugelstoß-Wettkampf vor dem Brandenburger Tor im Rahmen der deutschen Meisterschaften. (Foto: Kai Peters/Jan Huebner/Imago)

Während die deutschen Leichtathleten vom Münchner Publikum schwärmten, musste Kugelstoßer und Lokalmatador Christian Zimmermann zuschauen: Weil sein Verband sich offenbar im Meldeverfahren verhedderte.

Von Johannes Knuth, München

Die vergangenen Tage war der Kugelstoßer Christian Zimmermann im Urlaub, ein bisschen Wellness in Österreich. Bloß raus aus München, das sich zuletzt eineinhalb Wochen lang an den Multisport-Europameisterschaften berauschte. Als Zimmermann zurückkehrte, legte er sich selbst ein Kontaktverbot mit dem Olympiapark auf, wo der Athlet des Kirchheimer SC sonst fast jeden Tag trainiert. Aber so ganz verdeckte das seine Schmerzen nicht. Da reichte ein Videoschnipsel, der ihm von den Europameisterschaften der Leichtathleten aufs Handy gespült wurde.

Auf Christian Zimmermann, 28, regnete in den vergangenen Tagen kein warmer Applaus, von dem die deutschen Leichtathleten zuletzt so schwärmten. Seine Geschichte lässt einen sprachlos zurück. Er hatte fest damit gerechnet, dass er bei der EM dabei sein würde, in seinem Stadion. Doch sein Name schaffte es nicht auf die Startliste, offenbar wegen eines Meldefehlers. Er sitze vor den Trümmern jahrelanger Vorbereitungen, sagt Zimmermann im Gespräch, mit ruhiger, fester Stimme, er sei gerade "fertig mit der Welt".

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Seine bisherige Saison sei schlecht gelaufen, das kleidet er nicht in Schönheit: "Mein Aufbau im Winter war quasi nicht existent, das hatte viele gesundheitliche Gründe". Die zuständigen Mediziner und Bundestrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) seien aber im Bilde gewesen. Er wurde im vergangenen Winter trotzdem "irgendwie deutscher Hallenmeister". Er hatte Corona, in den Trainingslagern schmerzte der Rücken. Die Form war nicht schlecht, floss aber fast nie in die Wettkämpfe. Bei den deutschen Meisterschaften im Juni stieß er 18,42 Meter. "Ein Totalausfall", sagt er.

Zimmermann solle sich auf die EM vorbereiten, hieß es zunächst

Habe er es allein mit dieser Saison verdient, für die EM nominiert zu werden? "Wahrscheinlich nicht." Das hatte manch anderer DLV-Athlet aber auch nicht zwingend. Habe er die Zugangs-Richtlinien des DLV erfüllt? "Ja. Ich war ja letztes Jahr gut", sagt Zimmermann, unter anderem mit Bestleistung, 20,45 Meter: "Und ich habe die Punkte fürs Ranking gesammelt."

Die Leichtathleten, das muss man dazu wissen, haben seit einer Weile eine Weltrangliste. In die können sie eine bestimmte Zahl an Leistungen einbringen. Über dieses Ranking kann sich eine gewisse Zahl an Startern, die nicht eine singuläre Zugangsweite, -höhe, oder -zeit geschafft haben, auch für große Meisterschaften qualifizieren. Zimmermann sammelte zuletzt noch ein paar Zähler in Irland, mit 19,71 Metern, solide und genug, um auf Rang 26, den letzten EM-Startplatz, in der sogenannten "Road to Munich" vorzurücken. Das ist eine Übersicht aller Athleten, die entweder die EM-Norm oder genug Weltranglistenpunkte haben. Bis zum 26. Juli - dem letzten Tag, an dem die Landesverbände Athleten aus dieser "Road to Munich" abmelden konnten -, war Zimmermann wieder auf Rang 27 gerutscht. Wilko Schaa, der DLV-Bundestrainer für die Kugelstoß-Männer, so schildert es Zimmermann, habe ihm aber eröffnet, dass ein Athlet auf jeden Fall noch aus der Liste fallen sollte - und Zimmermann so wieder ins Feld rutschen würde.

"Es hieß, er könne nichts fest versprechen, aber ich solle mir keine Gedanken machen und mich einfach auf die EM vorbereiten", sagt Zimmermann.

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Kurz darauf wusste er auch, wer dieser Athlet war: David Storl, der zweimalige Kugelstoß-Weltmeister aus Deutschland, seit einer Weile ebenfalls angeschlagen. Schaa, sagt Zimmermann, habe ihm jedenfalls bestätigt, dass Storls Abmeldung rechtzeitig an die relevanten Stellen weitergeleitet worden sei. Storl versicherte Zimmermann zuletzt auch noch mal, dass er am 25. Juli - einen Tag also, bevor die EM-Startliste geschlossen wurde - beim DLV schriftlich hinterlegt habe, dass er auf seinen Start in München verzichte. Zimmermann bereitete sich am DLV-Stützpunkt in Kienbaum vor, "auf eigene Kosten". Laune und Form sei wieder richtig gut gewesen, sagt er.

Eine Anfrage beim DLV macht kaum weniger sprachlos

Nur: Als der europäische Leichtathletik-Verband (EAA) Anfang August die finalen Startfelder publizierte, fehlte Zimmermanns Name noch immer. Er fragte bei Annett Stein nach, der Chef-Bundestrainerin, bei Sven Lang, dem leitenden Bundestrainer für das Ressort Kugelstoßen. Lang habe ihm dann eröffnet, dass er Storl hatte abmelden wollen, die EAA aber entgegnet habe, dass er zu spät dran sei. Das tue ihm leid. So richtig wisse er auch nicht, was da schiefgelaufen sei.

"Ich dachte mir nur: Was ist denn mit euch?", ruft Zimmermann, nun doch recht laut.

Eine Anfrage beim DLV macht kaum weniger sprachlos. Zimmermann, teilt der Verband mit, habe in der "Road to Munich" zu "keinem Zeitpunkt der Saison" unter den besten 26 rangiert. Eine glatte Falschaussage: Am 7. Juni 2022 schrieb Bundestrainer Schaa in einer E-Mail, dass Zimmermann gerade ja auf Platz 19 im besagten Ranking liege, aber noch ein paar gute Wettkämpfe bestreiten sollte, "um seinen Platz in der Road to Munich zu festigen".

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Entscheidend ist am Ende ohnehin: Hätte der DLV den maladen Storl rechtzeitig bei der EAA abgemeldet, wäre Zimmermann wieder in die Top 26 gerutscht. Wo das Versäumnis lag? Lässt der DLV unbeantwortet. Er widerspricht aber nicht der Darstellung, dass Zimmermann zunächst gesagt wurde, Storls Abmeldung sei rechtzeitig eingeleitet worden. Der DLV schreibt nur, man habe Storl erst "kurzfristig" aus der Startliste genommen. Was das konkret heißt? Vor der Deadline? Danach? Keine Angabe. Es war jedenfalls so spät, dass die EAA zu diesem Zeitpunkt das Kugelstoß-Feld nicht mehr auffüllen wollte, räumt der DLV ein.

Zimmermann könnte noch gegen den Verband klagen

Sven Lang, der leitende Bundestrainer für das Ressort Wurf und Stoß, behauptet der DLV noch, habe Zimmermann die Lage in einem "ausführlichen Telefongespräch" dargelegt. Der Athlet habe "Verständnis" geäußert. "Das", findet Zimmermann, "schießt den Vogel ab." Er sei es gewesen, der Lang nach vielen Versuchen am 11. August überhaupt ans Telefon bekam. Richtig erklärt habe ihm der DLV die Situation bis zuletzt nicht. Als Lang ihm die Ausweglosigkeit der Lage geschildert habe, habe er nur "ziemlich schnippisch" geantwortet: "Dann kann ich jetzt ja in den Urlaub fahren." Er sei nun mal keiner, der rumschreie.

Was Zimmermann am meisten ärgert: Dass der DLV sich bei ihm bis zuletzt auch nicht einmal richtig entschuldigt habe. "Das ist eigentlich das Mindeste", findet er. Er könnte noch zivilrechtlich gegen den Verband vorgehen, "ich verliere ja Prämien von meinen Sponsoren und meinem Verein, weil ich nicht bei der EM gestartet bin", sagt er. Nur: Er wisse nach wie vor nicht mal, wen genau er haftbar machen müsste. Und: "Wenn ich weitermache, muss ich auch mit dem Verband weitermachen." Zimmermann hat seinen Master-Abschluss in Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre fast fertig, auf dem Arbeitsmarkt könnte er wohl leicht unterkommen. Ob er noch Lust auf professionelles Kugelstoßen hat?

Das, sagte er, wisse er noch nicht.

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