Europa League:Die Eintracht erobert Barcelona

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Freude pur: Die Spieler von Eintracht Frankfurt nach dem 3:2 gegen den FC Barcelona. (Foto: Joan Monfort/AP)

Frankfurt nimmt den FC Barcelona im Camp Nou auseinander - und muss in der Nachspielzeit doch noch einmal zittern. Durch einen 3:2-Sieg zieht die Mannschaft von Oliver Glasner in einer von Hessen besetzten Stadt ins Halbfinale der Europa League ein.

Von Javier Cáceres, Barcelona

Der FC Barcelona bestritt am Donnerstag zum 285. Mal ein Heimspiel in einem europäischen Wettbewerb; man ist auswärtigen Besuch gewohnt. Aber eine Atmosphäre wie gegen Eintracht Frankfurt hatte das Camp Nou noch nie erlebt: Die Partie trug atmosphärisch die Züge eines Auswärtsspiels.

Zehntausende Eintracht-Anhänger machten sich auf den Weg in die Hauptstadt der Katalanen und nahmen erst deren Altstadt und dann ihr größtes Stadion ein. Es war schon nachmittags so, als trügen die Gastgeber den Refrain eines alten deutschen Liedes auf den Lippen: "Erbarmen (zu spät), die Hesse komme!" Am Abend stimmte auch die Mannschaft des FC Barcelona in den Chor ein. Und es war wirklich zu spät: Die SG Eintracht Frankfurt zog durch einen formidablen 3:2-Sieg ins Halbfinale der Europa League ein und trifft dort auf West Ham United. Den FC Barcelona stürzten die Hessen in eine neue Sinnkrise.

Die Partie begann mit einem Donnerschlag. Kaum mehr als zwei Minuten waren vergangen, als die Eintracht einen überaus berechtigten Foulelfmeter zugesprochen bekam. Eric García zupfte an den Schultern von Eintracht-Stürmer Jesper Lindström - genau vor den Augen des Schiedsrichters, der keine Sekunde zögerte. Filip Kostic schickte Torwart Marc-André ter Stegen in die linke Ecke und versenkte den Ball mit einem sicheren Flachschuss rechts.

Der 0:1-Rückstand aktivierte den FC Barcelona und insbesondere Ousmane Dembélé. Der Franzose, der nach seiner Ankunft in Katalonien ein Sorgenkind war, verströmte Gefahr wie zu seinen besten Zeiten. Er war auch Teil eines Barça-Angriffs, der eine Augenweide war: Nach einem Traumpass von Pedri auf Dembélé setzte Pierre-Emerick Aubameyang den Ball übers Tor (10.). Die Katalanen begannen, den Ball zu monopolisieren und kamen in der 19. Minute zu einer weiteren Chance: Eintracht-Keeper Kevin Trapp, der an gleicher Stelle mit Paris St.-Germain sechs Tore kassiert hatte, lenkte mit einem grandiosen Reflex einen Schuss von Innenverteidiger Ronald Araújo ab. Doch nachdem auch ein schönes Solo von Ferran Torres auf der linken Seite nicht zum Erfolg führte, fiel Barcelona zusammen wie ein Soufflé.

Die Eintracht begnügte sich nicht mehr damit, eine Mannschaft zu sein, die außerordentlich gut geordnet stand; sie trachtete nun auch danach, mit schnellem Umschaltspiel für Gefahr zu sorgen. Erst musste ter Stegen einen Schuss von Kostic entschärfen (26.). Danach brachte sich Ansgar Knauff in eine gute Position, bekam aber aus 16 Metern nicht genug Druck auf den Ball, so dass ter Stegen keine größeren Mühen hatte. Wenige Sekunden später schoss Frankfurts Kolumbianer Rafael Borré ein Tor, das sich nicht mehr von der Festplatte der Eintracht-Fans löschen lassen wird: Er zog aus mehr als 20 Metern ab und jagte den Ball zum 2:0 unter die Latte. Ter Stegen streckte sich, jedoch vergeblich.

Ein Tor, das im Frankfurter Langzeitgedächtnis hängen bleiben dürfte: Rafael Borré (Nr. 19) trifft zum zwischenzeitlichen 2:0. (Foto: Albert Gea/Reuters)

Auf den Rängen waren die Anhänger der gastgebenden Mannschaft zwar in hauchdünner Mehrheit, aber auch perplex wie schon lang nicht mehr - zumal die Eintracht noch vor der Pause durch Jakic (39.) und Knauff (44.) einen Schaden hätte anrichten können, der Erinnerungen das 2:8-Debakel gegen die Bayern geweckt hätte. Barcelona war in ungeahnter Konfusion gefangen. Die Eintracht hingegen? Wusste zu jedem Zeitpunkt, was das Spiel verlangte. Es war eine Augenweide zu sehen, wie Martin Hinteregger und Sebastian Rode die Bewegungen in Abwehr und im Mittelfeld ordneten, um dann die schnellen Angriffsspieler auf die Reise zu schicken.

Nach der Pause trat der Unmut der radikalsten Barcelona-Fans über die hohe Zahl der Frankfurt-Anhänger im Stadion offen zutage. Ihr Platz in der Nordkurve blieb zehn Minuten lang leer, aus Protest darüber, dass das Präsidium die Karten aus der Hand gegeben habe. Sie verpassten eine Großchance für Aubameyang, der zwei Meter vor der Linie nicht auf den Ball schaute, weil er sich offenbar zu sicher war, den Pass von Dembélé verwerten zu können. Er trat neben den Ball.

Danach dominierte die Eintracht ein restlos konfuses Barça. Erst war es Lindström, der nach einem Pass von Daichi Kamada auf ter Stegen zugaloppierte - und am deutschen Torwart der Katalanen scheiterte. In der 67. Minute erzielte dann Kostic das dritte Tor der Frankfurter. Er hatte sich vor allem als Linksverteidiger aufgerieben, aber immer wieder Kraft gefunden, sich in Angriffe einzuschalten. So auch diesmal, als er einen Pass von Kamada in den Strafraum mit einem schönen Flachschuss ins rechte Eck platzierte.

Die Eintracht führte 3:0 - und musste in der Nachspielzeit doch noch einmal zittern

Damit war die Partie nach menschlichem Ermessen vorbei. Barcelona war besiegt, und das auch noch durch einen Gegner, der ganz in Weiß gekleidet war wie der Erzfeind Real Madrid. Aber: In der Nachspielzeit musste Frankfurt noch einmal zittern.

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Xavi hatte alles, was auf seiner Bank nach Angriff roch, längst aufs Feld geworfen - von Adama Traoré über Memphis Depay und Luuk de Jong war alles dabei. Und in der 85. Minute lag der Ball im Netz der Eintracht. Eine Überprüfung durch den Videoschiedsrichter aber ergab: Sergio Busquets hatte beim Zuspiel im Abseits gestanden, das Tor wurde annulliert.

Kurz nachdem die neunminütige (!) Nachspielzeit angezeigt wurde, jagte Busquets den Ball aber neuerlich ins Netz, und diesmal zählte das Tor - 1:3. Araújo, der längst die Abwehr verlassen hatte und zusammen mit de Jong als Mittelstürmer agierte, setzte einen weiteren Kopfball knapp übers Tor; de Jong traf aus kurzer Distanz nur das Außennetz. In der neunten Minute der Nachspielzeit ein letzter Schock: Eintracht-Verteidiger Evan Ndicka setzte im Strafraum unzulässig den Ellbogen gegen de Jong ein - und verursachte nicht nur einen Strafstoß, sondern sah auch noch Gelb-Rot. Depay trat an; der Ball landete nach einem Kontakt durch Trapp an der Querlatte und dann doch knapp hinter der Linie. Es stand 2:3. Doch unmittelbar nach dem Anstoß pfiff der Referee ab: Und die Eintracht hatte Barcelona erobert.

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