EM-Viertelfinale Deutschland vs. Italien:Manu gegen Gigi - das schönste Duell

Lesezeit: 3 Min.

"Man sieht ihm das hohe Alter nicht an", sagt Neuer über Buffon, 38. "Er ist jung und super stark", sagt Buffon über Neuer, 30. (Foto: Revierfoto/action press, Roland Krivec/ddp)

Herausragende Torhüter spielen immer gerne gegeneinander, auch Manuel Neuer und Gianluigi Buffon. Nur ein Duell wird der Deutsche im EM-Viertelfinale ganz sicher verlieren.

Von Christof Kneer, Évian

Es steht jetzt schon fest, dass Manuel Neuer das erste Duell des Abends verlieren wird. Neuer ist ein moderner Torwart, er kann viel mehr als die Torhüter früher konnten, er ist zum Beispiel in der Lage, neben seinen Händen auch seine Füße zu benutzen. Er ist vielleicht der erste Ganzkörpertorwart der Weltgeschichte, aber eines kann er nicht: Er kann nicht wie Gianluigi Buffon die Nationalhymne so schmettern, dass man sie bis nach Carrara hört.

Buffon legt eine Andacht und eine Glut in seinen Vortrag, als gelte es, mit einem Lied das Wohl eines ganzen Volkes zu retten. Auf Äußerlichkeiten kann dieser spektakuläre Mann in solchen Momenten keine Rücksicht nehmen, er reißt den Mund beim Schmettern so weit auf, dass man die Füllung im siebten Zahn von links erkennen kann. Manuel Neuer macht das anders. Er singt halt mit.

Das schönste Torwartduell

Neuer gegen Buffon, Buffon gegen Neuer: Das ist immer noch das schönste Torwartduell, das der Fußball anzubieten hat. Herausragende Torhüter spielen immer gerne gegeneinander, weil nur sie wirklich beurteilen können, was es bedeutet, ein herausragender Torhüter zu sein.

In die psychologische Situation eines Torwarts kann sich nur ein anderer Torwart hineinversetzen, deshalb haben Torhüter auch noch mehr Respekt vor dem Gegenüber als Menschen, die noch nie ein Tor betreten haben. Für Neuer aber müsste das Vergnügen, Buffon zu begegnen, noch größer sein als das Vergnügen, auf andere Gleichgesinnte zu treffen. Denn nie darf sich Neuer, 30, jünger fühlen als im Duell mit dem 38-jährigen Sangesbruder aus Carrara.

"Manuel ist jung und gut, und ich bin zu alt für solche Vergleiche": Das hat Buffon der herrlich rosafarbenen Gazzetta dello Sport mit der Weisheit eines Mannes gesagt, der's nicht mehr nötig hat. Buffon weiß, wie albern Ranglisten sein können, seinem Selbstwertgefühl ist es wunderbar wurscht, ob man ihn im Athletengreisenalter immer noch unter die Top Drei der Welttorhüter rechnet oder ob man - neben dem unangefochtenen Neuer - auch noch den Belgier Courtois, den Franzosen Lloris, den Spanier de Gea, den Slowenen Oblak, den Chilenen Bravo oder den Tschechen Cech für besser hält. Was soll das überhaupt sein, "besser", und wer legt das fest?

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Im sehr gründlichen deutschen Trainerstab haben sie vor dem Viertelfinale natürlich auch Buffon noch mal durchleuchtet, nötig wäre das eigentlich nicht, sie kennen den alten Abenteurer ja eh, aber sie haben dann doch noch mal gestaunt. Sie haben keine 38-jährigen Szenen gefunden, es gab keinen dieser "Den-hätt-er-früher-aber-gehalten"-Momente, die man sich vielleicht auch nur einbildet. Buffon ist nicht Neuer, er ist kein offensiver Torwart und beteiligt sich nicht am Aufbauspiel, aber das liegt nicht am Alter, sondern an seinem Spielstil.

Buffon kommt aus einer Zeit, in der ein Torwart einfach ein Torwart war. Und auf der Höhe dieser Zeit ist er, ganz lässig und selbstverständlich, immer noch. "Natürlich ist Manuel der kompletteste Torwart der Gegenwart", sagte Deutschlands Torwarttrainer Andreas Köpke, "mit seinem offensivem Stil sind nur wenige zu vergleichen. Aber Buffons Spielweise passt hervorragend zur italienischen Nationalmannschaft, die spielt anders als wir und braucht vielleicht gar keinen Torwart mit Manuel Neuers Ansatz."

Das Duell Neuer gegen Buffon - beide Weltmeister, Welttorhüter und bei dieser EM noch ohne Gegentor - ist nur das aktuellste Kapitel in einem großen, üppig bebilderten Torwartbuch. In beiden Ländern haben sie ihre Torhüter stets in Ehren gehalten, und niemand kann sich erinnern, dass man sich auf dieser Position je Sorgen machen musste. Die Deutschen hatten Turek, Maier, Schumacher, Köpke, Kahn, Lehmann, und sie haben Neuer, die Italiener hatten Albertosi, Zoff, Zenga, und sie haben Buffon.

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"Klassische Torwartnationen", sagt Köpke

Meist wurde eine Ära bruchlos von der nächsten abgelöst, nur selten hat sich ein Illgner oder Pagliuca zwischen die ganz Großen geschmuggelt, aber auch die waren immer noch größer als viele Torhüter vieler anderer Nationen. "Deutschland und Italien sind klassische Torwartnationen", sagt Köpke, "wahrscheinlich ist das eine Mentalitätsfrage, und vor allem haben die Kinder in diesen Ländern immer Vorbilder zum Nacheifern gehabt." In Italien geht das so weit, dass ein riesiges Kind sogar schon im Tor des AC Mailand steht. Gianluigi Donnarumma hat mit 16 in der Serie A debütiert, inzwischen ist er 17 und bereits ein Stammkeeper aus original italienischem Holz. Köpke hat sich ein paar Spiele von diesem Wunderknaben angeschaut und war heftig beeindruckt von dessen "Reife und Nervenstärke".

Bis 2018 will Buffon noch spielen, 40 wäre er dann. Und danach übernimmt wahrscheinlich der nächste Gianluigi.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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