EM-Quartiere in Polen und der Ukraine:Am liebsten an die Ostsee

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Die Ukraine fürchtet, zum ungeliebten Anhängsel der Fußball-EM zu werden, weil sich die meisten Teams bereits für Polen als Aufenthalts-Basis entschieden haben. Besonders die mangelhafte Infrastruktur in der Ukraine scheint viele Teilnehmernationen abzuschrecken. Auch die deutsche Mannschaft hat ihr Quartier schon gebucht - es soll direkt ans Meer gehen.

Johannes Aumüller

Rein formal ist zwischen den beiden EM-Gastgebern Polen und Ukraine alles hübsch ausbalanciert. Entgegen zwischenzeitlicher ukrainischer Befürchtungen gibt es in beiden Ländern exakt vier Austragungsorte. Das Eröffnungsspiel des Turniers ist in Warschau, das Finale findet in Kiew statt.

Es ist angerichtet: Der Nationale Palast der Künste in Kiew wird an diesem Freitag Schauplatz der Los-Zeremonie sein. (Foto: AFP)

Und weil die Auslosungen der Qualifikationsgruppen sowie der Playoff-Partien in polnischen Städten stattfanden, ist es ja nur gerecht, dass man zur Ermittlung der EM-Vorrundengruppen an diesem Freitagabend (18 Uhr MEZ, live bei ARD und Eurosport sowie im Liveticker bei sueddeutsche.de) in der ukrainischen Hauptstadt zusammenkommt.

Doch abseits dieser ausgewogenen Rahmenbedingungen beschleicht manchen Beobachter in der Ukraine ein ungutes Gefühl: dass sich nämlich ihr Land bei der 14. Fußball-Europameisterschaft (8. Juni - 1. Juli) als Anhängsel fühlen muss. Schon in den letzten Jahren hatte es Anlässe für diesen Eindruck gegeben.

Als die Arbeiten an Stadien und Infrastruktur stockten, drohte kurzfristig der Verlust des Gastgeber-Status. Eine "4+2-Lösung" war im Gespräch - ein Modell, wonach die EM in vier polnischen und zwei ukrainischen Städten stattfinden sollte. Die Austragungsorte in Polen, obgleich auch von Problemen geplagt, standen nie so vehement zur Debatte.

Jetzt erneuert die Quartiersfrage diese ukrainische Sorge. Die Teams, die nicht schon gebucht haben, schauen sich gerade um, wo sie während des Turniers wohnen wollen. Bei der letzten Co-Ausrichtung eines Großturniers, 2008 in Österreich und der Schweiz, verteilten sich die Teams tatsächlich acht zu acht. Doch aktuell deutet sich an, dass die Ukraine sowohl von der Zahl als auch von der Qualität der Teams her unzufrieden sein muss.

Noch gibt sich der verantwortliche Turnierdirektor Markijan Lubkiwski gelassen. "Das stimmt einfach nicht, dass alle Mannschaften nach Polen wollen. Beide Länder sprechen gerade mit Interessenten", sagte er beim Kongress des ukrainischen Fußballverbandes in dieser Woche. "Ich denke, dass sich am Ende etwa die Hälfte der Teams für ein Quartier bei uns entscheidet."

Doch die Meldungen der vergangenen Wochen begründen diesen Zweckoptimismus nicht. Der DFB hat sich schon vor längerem für das Fünf-Sterne-Hotel Dwor Oliwski in Danzig entschieden, auch Spanier und Schweden wollen in der Nähe der Ostsee-Stadt unterkommen. Die Niederländer wohnen in Krakau, die Engländer ebenso und die Italiener sehr wahrscheinlich. Die Ukraine hingegen kann bis jetzt erst auf die slawischen Bruder-Länder Russland und Kroatien zählen, und selbst die haben noch nicht definitiv zugesagt.

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"Polen ist einfach von der Infrastruktur besser für uns", hatte der deutsche Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff jüngst erklärt - und damit indirekt die Schwächen der Ukraine verdeutlicht. Die in Teilen nach wie vor unbefriedigende Infrastruktur schreckt viele ab, manche der im Uefa-Katalog ausgestellten Trainingsbasen haben außer einem Platz und einer Umkleidekabine nichts zu bieten.

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Die Öffentlichkeit erschrak, als die Medien einen nicht näher benannten "deutschen Scout" zitierten, demzufolge die Basen in der Ukraine sich nur für Jugendteams eignen würden. Entsprechend groß war diese Woche die Meldung, dass eine portugiesische Delegation nach Charkow kam, um eine mögliche Unterkunft zu besichtigen.

Zusätzlich fragen sich manche, wie im Land überhaupt so etwas wie EM-Stimmung entstehen kann. Zwar sind die Ukrainer fußballbegeistert, doch viele befürchten, dass im Zuge des Turniers die Preise für Lebensmittel und Unterkünfte heftig ansteigen - und nach dem Ende der Veranstaltung auf dem neuen Niveau verharren. Entsprechend reserviert stehen einige dem Turnier gegenüber. Die Organisatoren hoffen, dass sich diese Bedenken in den Monaten bis zur EM noch zerstreuen; das wäre durchaus typisch vor einer sportlichen Großveranstaltung.

Zumindest in manchen Austragungsorten ist es aber nur schwer vorstellbar, dass die Stimmung mit den ausländischen Fans kommt. Rund eine Million Besucher erwartet die Ukraine. Doch wer etwa in Donezk ein Hotelzimmer buchen möchte, hat schon jetzt kaum Chancen - obwohl die Nachfrage nach Unterkünften erst nach der Auslosung richtig steigen wird.

Es gibt schon die Überlegung, nach den Partien so viele Besucher wie möglich aus der Stadt zu bringen. Dann darf sich der Fan zwar mal wie ein Nationalspieler fühlen (am Spieltag ankommen, spielen, zuschauen, abreisen) - die Stadt dagegen fühlt sich in den dreitägigen Pausen zwischen den Partien nicht so richtig als EM-Austragungsort.

In Kiew versucht man immerhin, dieser Furcht entgegenzusteuern. Die Hauptstadt soll sich zum landesweiten Feier-Zentrum entwickeln. Im Umkreis von 100 Kilometern um Kiew werden vier große Fan-Zonen errichtet, alleine das Areal bei Pidhirzi bietet Platz für 50 000 Zuschauer. Zugleich ist rund um die zentrale Chreschtschatyk-Straße und den Platz der Unabhängigkeit eine Fan-Meile für 70 000 Menschen geplant. Diese wird unter Umständen auch nötig sein: Sollte die Ukraine wider Erwarten als Gruppenerster weiterkommen und das Viertelfinale gewinnen, findet das Halbfinale in Polen (Warschau) statt.

Doch in diesem Fall müssen sich die Ukrainer nicht benachteiligt fühlen. Denn erstens existiert diese Gefahr auch fürs polnische Team, und zweitens ist eines ja gewiss: Sollte ihre Elf ins Endspiel kommen, spielt sie auf jeden Fall zu Hause. Spätestens dann dürfte es keinem mehr etwas ausmachen, wo die Mannschaften wohnen.

© SZ vom 02.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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