EM-Qualifikation: Österreich:"So sind sie halt, die Deutschen"

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Oh, du unglückliches Österreich! Nach dem 1:2 gegen Deutschland trauern Fans und Medien der einmaligen Chance hinterher, den großen Nachbarn zu besiegen. So nah dran und eine so gute Stimmung - doch das Schicksal sei eben nicht auf Austrias Seite. An die EM-Qualifikation mag kaum jemand glauben - nur der Trainer hat noch Hoffnung. Und einem Bayern-Profi könnte die Pleite sogar geholfen haben.

Thomas Hummel, Wien

Während Joachim Löw sich einen Schluck Wasser gönnte, bevor er dem voll besetzten Presseraum im Ernst-Happel-Stadion seine Meinung zum Spiel darlegte, ließ ein paar Meter daneben Kollege Dietmar Constantini das erste dunkle Weißbier in sich hineinlaufen. Er nahm einen Schluck. Und noch einen. Der Tiroler brauchte am Ende dieses Abends ein Beruhigungsmittel. Ganz Österreich brauchte eines.

Enttäuschung bei Österreichs Talent David Alaba nach dem Schlusspfiff: Der an Hoffenheim ausgeliehene Bayern-Profi könnte bald einen Anruf aus München bekommen. (Foto: REUTERS)

1:2 gegen den großen Bruder aus dem Norden, nach einem ehrenhaften Kampf und phasenweise begeisterndem Spiel der eigenen Mannschaft. Das hört sich nicht schlecht an. Doch knappe Niederlagen können die bittersten sein. Wenn man glaubt, jetzt sei die Sensation da, jetzt könne man sie endlich einmal schlagen. Die Piefke-Schnösel heimschicken in ihr norddeutsches Flachland, gedemütigt von uns kleinen Österreichern!

Und dann schlägt Philipp Lahm noch eine Flanke und Mario Gomez köpft ein, 90. Minute, 2:1 für Deutschland, Aus.

Schreie des Entsetzens

Sogar auf der Pressetribüne gab es Schreie des Entsetzens, der liebe Gott wurde mit nicht zitierfähigen Ausdrücken gescholten, weil er so viel Unglück für Felix Austria zuließ. Fäuste flogen auf die Tische. Diese knappe, unverdiente Niederlage war in diesem Moment schlimmer als ein allseits erwartetes 0:4. Die Zeitung Der Standard schrieb: "So sind sie halt, die Deutschen", und dass im Fußball alles möglich sei, "nur kein Sieg gegen Deutschland".

Da war er wieder, der österreichische Fatalismus unterlegt mit ein wenig Selbstmitleid. Bereits vor dem EM-Qualifikationsspiel in Wien schrieben die Gazetten über die eigene Mannschaft, ja über den ganzen heimischen Fußball, als treten in diesem Wintersportland nur die schlechtesten Abfahrer gegen den Ball, weil irgendwer müsse es ja tun.

Der österreichische Fußball? Eine Peinlichkeit für das stolze Land. Und nun kommen die Deutschen, oje, das wird fürchterlich.

"Nur so können wir bestehen"

Nicht einmal von Cordoba wollte noch jemand etwas hören, dem sagenumwobenen 3:2-Sieg der Austria bei der WM 1978. Oder vom letzten Sieg 1986, als ein Mann namens Reinhard Kienast, von Trainer Max Merkel einst "Weinbergschnecke" genannt, zwei Tore zum 4:1 erzielte. Diese mythenumrankte Vergangenheit sollte endlich ruhen.

Das Publikum in Wien immerhin brachte das feste Vorhaben mit ins Happel-Stadion, seiner Mannschaft viel Liebe und Kraft zu vermitteln. 47.500 sangen glückselig "I'am from Austria" von Reinhard Fendrich, sie wedelten mit rot-weiß-roten Fahnen eines Bier-Sponsors im Takt und schmetterten gemeinsam den Radetzky-Marsch. Als die deutschen Spieler schon den Anstoß ausführen wollten, rief Stadionsprecher Andi Marek den Leuten noch zu: "Volle Unterstützung, nur so können wir gegen diese deutsche Nationalmannschaft bestehen."

Nationalelf: Einzelkritik
:Trauma-Besieger in der Wundertüte

Torhüter Manuel Neuer erinnert an einen dunkelgrünen Heuhüpfer, Arne Friedrich ist längst kein "TitArne" mehr und Mario Gomez spielt plötzlich ein bisschen wie Miroslav Klose. Die deutsche Nationalelf beim 2:1 gegen Österreich in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Wien

Die Unterstützung kam dann auch, einmal von rechts oben, einmal von links unten, sogar die Haupttribüne schrie mit, um den Spielern gegen die Übermacht aus München, Dortmund und Madrid irgendwie zu helfen. Und weil sich die Sportler da unten ohnehin vorgenommen hatten, zu rennen und zu kämpfen bis zum umfallen, schaukelten sich Profis und Zuschauer im Wechselspiel immer mehr hoch. Einen solch euphorischen Abend hat der österreichische Fußball seit Jahren nicht erlebt.

Nationalelf: Einzelkritik
:Trauma-Besieger in der Wundertüte

Torhüter Manuel Neuer erinnert an einen dunkelgrünen Heuhüpfer, Arne Friedrich ist längst kein "TitArne" mehr und Mario Gomez spielt plötzlich ein bisschen wie Miroslav Klose. Die deutsche Nationalelf beim 2:1 gegen Österreich in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Wien

Es half, dass die deutsche Mannschaft müde und uninspiriert werkelte. Doch Österreich sah auch, dass dem Land ein paar gute Fußballer herangewachsen sind. Emanuel Pogatetz (Hannover 96) zum Beispiel, der hinten fast jeden Zweikampf gewann. Rechtsverteidiger Florian Klein, der Lukas Podolski fast jeden Ball abnahm.

Wie inkompetent war 1860?

Wer Julian Baumgartlinger sah, wie er die Spielfeldmitte beackerte, der fragte sich, wie viel Inkompetenz bei seinem Ausbildungsverein TSV 1860 München eigentlich herrschte, als man ihn ablösefrei zu Austria Wien schickte. Dem Stürmer Erwin "Jimmy" Hoffer vom 1. FC Kaiserslautern möchte man raten, ein bisschen weniger an seinen Ferrari zu denken und sich auf das zu konzentrieren, was er offensichtlich kann: ein schneller, trickreicher, zweikampfstarker Stürmer zu sein.

Am stärksten verblüffte indes die Leistung von David Alaba. Als 17-Jähriger hatte der in Wien aufgewachsene Fußballer beim FC Bayern in der Champions League gespielt, bei Louis van Gaal schien er die Lösung des Abwehrproblems auf links hinten zu sein. Doch nach ein, zwei Fehlern verschwand Alaba, im Winter wurde er an die TSG Hoffenheim ausgeliehen. Bis Freitagabend ging die Tendenz dahin, dass Alaba auch die kommende Saison im Kraichgau verbringt. Nach diesem Abend ist das kaum noch vorstellbar.

Der inzwischen 18-jährige Alaba versetzte im Verbund mit Linksverteidiger Christian Fuchs das Bayern-Duo Thomas Müller und Philipp Lahm in helle Aufregung. Vor allem Lahm hatte in seiner Karriere selten so große Probleme, seine Abwehrseite zu schützen.

Constantinis Augen blitzen

Nach 49 Minuten stoppte Alaba einen Seitenwechsel, verwirrte Lahm mit einem Übersteiger und passte so scharf nach innen, dass Arne Friedrich den Ball zum 1:1 ins Tor lenkte. Zu seiner Zukunft sagte Alaba nach dem Spiel: "Ich habe mich sehr wohl gefühlt in Hoffenheim und bin dem Klub sehr dankbar. Wie es weitergeht, das werde ich nun mit meinem Berater besprechen." Jetzt, da alle Welt gesehen hat, was der Junge kann, könnte er bald einen Anruf aus München bekommen, in dem seine Rückkehr eingefordert wird.

Die Reise nach Polen und in die Ukraine im nächsten Sommer dagegen hat David Alaba abgeschrieben. Nach eigener Rechnung hätten die Österreicher gewinnen müssen am Freitag, um noch eine Chance zu haben auf Tabellenplatz zwei in der Qualifikationsgruppe A. "Die Quali ist somit erledigt", brummte Constantini, als er gerade das zweite dunkle Weißbier in der Hand hielt.

Aber Didi, warf jemand ein, Belgien habe gegen die Türkei 1:1 gespielt. Das bedeutet für Österreich: vier Punkte Rückstand auf Platz zwei bei noch vier Spielen. "1:1?" brummte Constantini. Und da blitzte sie aus den Augen heraus, die kleine Zuversicht, es vielleicht doch noch schaffen zu können. Wenn, ja wenn diese österreichische Mannschaft immer so spielen würde wie an diesem Freitagabend in Wien. Aber leider geht es eben nicht immer gegen das unschlagbare Deutschland.

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