Eiskunstlauf:Wie zwei nordkoreanische Eiskunstläufer Weltpolitik machen könnten

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Mit Passion und den Beatles: Die Nordkoreaner Kim Ju-sik (links) und Ryom Tae-ok wollen sich für die Winterspiele in Südkorea qualifizieren. (Foto: Matthias Schrader/AP)
  • Nordkoreas Paarläufer Kim Ju-Sik und Ryom Tae-Ok könnten bei Olympia in Südkorea starten - das hätte geopolitische Bedeutung.
  • Erst vor Wochenfrist hat Nordkorea mit einem oberirdischen Nukleartest über dem Pazifik gedroht. Mit diesem Eskalationsszenario verstärken sich die Zweifel an Wettbewerben in Pyeongchang.
  • Die Anwesenheit nordkoeranischer Athleten, so die Hoffnung, würde die Lage erheblich entspannen - zumindest für die Dauer der Spiele.

Von Barbara Klimke, Oberstdorf

Am Ortsrand, jenseits der Seilbahn zum Nebelhorn, liegt das Eissportzentrum von Oberstdorf: Es ist ein unauffälliger Bau mit Schindeldach, dessen kleiner Anspruch auf Weltgeltung in der Eiskunstlaufszene darauf gründet, dass hier vor mehr als dreißig Jahren der berühmte Bolero der Tänzer Torvill/Dean ertüftelt wurde. Bis heute gibt es keine Anzeigetafel, keine VIP-Bar, keine Logen. Und auch sonst nichts, was ein Sportzentrum mit dem monumentalen Sitzungssaal der UN-Generalversammlung in Manhattan verbinden würde, mit den Korridoren der Macht in internationalen Kapitalen, in Washington oder Seoul.

Dennoch wurde auf diesem Flecken Eis im Allgäu gerade ein Kufentanz mit geopolitischer Bedeutung aufgeführt - weil zwei Paarläufer aus Nordkorea sich hier für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang im Nachbarland Südkorea qualifizierten.

Sehr glücklich saßen Kim Ju-Sik und Ryom Tae-Ok, seine zierliche, nur 1,51 Meter kleine Partnerin, nach der Kür am frühen Freitagabend in einem Raum vor Journalisten, Kameras und Mikrofonen. Sie waren ein technisch sauberes Programm mit drei unterschiedlichen Dreifach-Würfen gelaufen, und statt den Beatles aus dem Kurzprogramm hatten sie diesmal einen Chanson gewählt. Damit sicherten sie sich den dritten von insgesamt fünf zu vergebenden Olympia-Plätzen.

Der 25-jährige Kim Ju-Sik strahlte, als er von der Dolmetscherin übersetzen ließ, dass sie immer nach Verbesserungen strebten. Ryom Tae-Ok, 18, hatte schon am Vortag keck gesagt: "Wir wollen irgendwann Weltmeister werden." Doch die alles entscheidende Frage, ob sie nun tatsächlich auch zu Olympia in Südkorea fahren dürfen, wurde nicht zugelassen. Die Trainerin, Kim Hyon-son, und Delegationsleiter Ri Chol-Un, ein Mann mit schwarzer Aktentasche, hatten schon vorab gesagt: "Das ist eine Entscheidung der Regierung. Wir können das nicht kommentieren."

Aber allein der Umstand, dass Nordkoreas Abordnung Rede und Antwort stand, galt als kleine Sensation, nicht nur in Sportlerkreisen. Nach der Zuspitzung des Konflikts mit den USA hatte sich international der Eindruck verstärkt, dass Machthaber Kim Jong-un vornehmlich Raketen für sich sprechen lässt. Erst vor Wochenfrist hat das abgeschottete Regime mit einem oberirdischen Nukleartest über dem Pazifik gedroht.

Mit diesem Eskalationsszenario verstärken sich die Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Slalom-, Langlauf- und sonstigen Wettbewerben in Pyeongchang. Zumal die Olympiasportstätten kaum hundert Kilometer von der demilitarisierten Zone zwischen den koreanischen Staaten entfernt liegen. So setzt die Regierung in Seoul jetzt vor allem auf eine Chance: die Teilnahme von nordkoreanischen Athleten. Deren Anwesenheit, so die Hoffnung, würde die Lage erheblich entspannen - zumindest für die Dauer der Spiele.

Erst in der vergangenen Woche, nach dem sechsten Nukleartest des nördlichen Nachbarn, hat Südkoreas Präsident Moon Jae-in in der UN-Generalversammlung in New York vor den "rücksichtslosen Entscheidungen" und der "feindseligen Politik" des Regimes gewarnt. Er appellierte an zwei Organisationen, denen er zutraut, Frieden durch multilateralen Dialog zu schaffen: die Vereinten Nationen und das Internationale Olympische Komitee. "Stellen Sie sich nur für einen Moment vor: Menschen aus der ganzen Welt, die Sport und Frieden lieben, kommen in Pyeongchang zusammen", sagte er: "Mein Herz erfüllt sich mit Freude, wenn ich mir die nordkoreanischen Athleten vorstelle, die zur Eröffnungszeremonie ins Stadion einlaufen, zum gemeinsamen nord- und südkoreanischen Jubel und Applaus." Das, sagte er, sei "kein unmöglicher Traum".

Ob der Machthaber auf der anderen Seite des Vorhangs, Kim Jong-un, diesen Traum teilt, liegt im Dunkeln. Ebenso die Frage, ob er überhaupt an einer Diplomatie mit Pirouetten und glänzenden Pailletten interessiert ist. Fakt ist, dass die Paarläufer Kim Ju-Sik und Ryom Tae-Ok bis jetzt die einzigen Athleten sind, die sportlich einen Quotenplatz für ihr Land gewonnen haben. Nordkorea hatte 2014 kein Team zu den Sotschi-Spielen entsandt.

In diesem Jahr aber scheut das Regime keine Mittel, die beiden Eiskunstläufer zu Höchstleistung zu trimmen. Im Frühjahr wurden sie 15. bei der WM in Helsinki. Das reichte nicht für Olympia. Die Delegation sprach danach den kanadischen Trainer Bruno Marcotte an und bat ihn um Rat. Erstens, sagte Marcotte, sei das Paar bislang zu selten bei Wettkämpfen aufgetaucht. Zweitens müsse es bestimmte Dinge üben - und bot sich selbst als Trainer an.

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Von Juni bis August trainierte das Paar deshalb in Montreal, begleitet von ihrer Heimtrainerin und dem Delegationsleiter mit der Aktentasche. Sie ließen sich von einem Journalisten des Magazins Pirouette fotografieren, gaben aber kein Interview. Einmal, so berichtete Trainer Marcotte, standen in seiner Paarlaufschule ein nordkoreanisches, ein südkoreanisches, ein japanisches und ein amerikanisches Duo gleichzeitig auf dem Eis: "Das ist ja wie bei der UN hier", lachte er. Ins Allgäu ist das Vorzeige-Paar nun gereist, weil nur bei diesem Wettbewerb, der Nebelhorn-Trophy, die letzten Quotenplätze zu gewinnen waren.

Auch beim IOC in Lausanne wurde der Auftritt mit Interesse verfolgt. Dort beharrt man darauf, dass man in engem Kontakt mit Regierungschefs und den Vereinten Nationen stehe und "in keiner Diskussion irgendjemand Zweifel an den Olympischen Spielen 2018 geäußert hat", wie ein Sprecher sagte. Es gibt angeblich keinen Plan B. Selbstverständlich seien die Sicherheit und Unversehrtheit das höchste Ziel des IOC.

Die größte Sicherheit freilich würde die Anwesenheit der Nordkoreaner in Südkorea bieten. Weil dann davon auszugehen ist, dass keine Testraketen über die Sportler fliegen. Das sei wie eine Versicherungspolice, sagte Ted Ligety, der US-amerikanische Ski-Olympiasieger, der New York Times. Ein menschlicher Schutzschild also für die Athleten. Das ist dann doch eine zu monströse Aufgabe für die zierliche Ryom Tae-Ok.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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