Eiskunstläuferin Alysa Liu:Ihrer Zeit voraus

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Ihrer Zeit voraus: Alysa Liu, zweimalige US-Meisterin. (Foto: Raniero Corbelletti/Aflosport/Imago)

Mit 13 wurde Alysa Liu US-Meisterin und galt als kindliche Königin der Kufenszene. Nun ist sie 16, hat einen Olympia-Startplatz erkämpft - und muss die Frage beantworten, ob sie die Zukunft ihres Sports sein kann.

Von Barbara Klimke, Oberstdorf

Wintersportkarrieren entscheiden sich manchmal in den entferntesten Winkeln. Und so können Geschichten, die in Kalifornien ihren Anfang nehmen, auch in den Allgäuer Alpen eine entscheidende Wendung finden, im Illertal unter Fellhorn und Himmelschrofen. Alysa Liu, gerade 16 Jahre alt, kannte selbstverständlich keinen dieser Gipfel, ehe sie diese Woche nach Oberstdorf kam. Wie die meisten der 142 internationalen Eiskünstler wurde sie von ihrem Verband in einen südlichen Zipfel Bayerns entsandt, um einen Olympiastartplatz zu sichern: Bei der Nebelhorn-Trophy, einem Traditionswettkampf im Eislaufkalender, bietet sich alle vier Jahre diese letzte Gelegenheit für die Kufen-Nachzügler aus aller Welt. Alysa Liu allerdings, zweimalige US-Meisterin, reiste aus einem anderen Grund an. Sie gehört nicht zur Nachhut, sondern zur Avantgarde: Sie ist, wie fast immer in ihrem Leben, allen anderen einen Riesensprung voraus.

Ihren ersten nationalen Titel gewann sie 2019 im Alter von erst 13 Jahren; nie zuvor hatte eine so junge Athletin die versammelte Elite der einst großen Eislaufmacht USA derart düpiert. Sie war die erste Juniorin im Lande, die einen Dreifach-Axel auf die spiegelglatte Fläche tupfte; die erste Amerikanerin überhaupt, die dem Publikum einen Vierfach-Lutz präsentierte. Mit demselben Schwung, derselben kindlichen Unbekümmertheit hüpfte Alysa Liu auch im folgenden Jahr der Erwachsenenklasse davon. Spätestens jetzt war die Tochter eines Vaters, der als junger Mann aus Guangzhou in Südchina nach Oakland ausgewandert war und die Eiskarriere seiner Ältesten bis heute fördert, eine Berühmtheit von Alaska bis Florida, gefeierter Gast der Fernseh-Talkshows: Nicht weniger als "die Zukunft des Eiskunstlaufs der US-Ladies" hat das Magazin Sports Illustrated mit einem tiefen Blick in die Kristallkugel des Sports prophezeit.

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Wer sich als Lady fühlen darf, ist im Eislauf-Weltverband ISU allerdings, anders als im US-Verband, per Regelwerk streng auf ein Datum festgeschrieben. Kindliche Königinnen gehören noch nicht dazu. Nur wer jeweils vor dem Stichtag 1. Juli das Alter von 15 Jahren erreicht, darf auch bei den internationalen Wettbewerben der Senioren seine Pirouetten drehen, und seien sie noch so schön. Alysa Liu ist im August geboren: Die Weltmeisterschaft im März 2021 kam für sie deshalb zu früh. Eine Teilnahmeberechtigung für die Winterspiele in Peking 2022 hatten dort ihre älteren Kolleginnen Karen Chen, 22, und Bradie Tennell, 23, erstritten. Die dritte Olympiaqualifikation hat nun die Jüngste erkämpfen müssen, die den Wettbewerb der Nebelhorn-Trophy souverän vor der Polin Ekaterina Kurakow, 19, für sich entschied.

Ihre ersten drei Senioren-Wettkämpfen hat Liu auf Anhieb gewonnen

Allerdings hatte Alysa Liu im Kurzprogramm zur Ballettmusik von "Don Quixote" auf den Dreifach-Axel verzichtet. Ihren Paradesprung wolle sie erst in der Tschaikowsky-Kür am Samstag präsentieren, wo ihm dann zwei Umdrehungen fehlten. Das Element ist vom festen Spektakel ihrer Eisvorführungen zuletzt zu einer Art Joker geworden, den sie mit Kalkül einsetzt - nicht immer mit Erfolg. Schon im Frühjahr, als sie bei den jüngsten US-Meisterschaften gegen die Erwartungen nur Vierte wurde, hatte sie die Höchstschwierigkeiten ausgelassen, als Grund wurden Knöchelverletzungen angeführt sowie ein Wachstumsschub. Es ist das Schicksal der Eiskinder, dass ihr Körper sich weiterentwickelt, wenn er gerade gelernt hat, die Schwerkraft zu überwinden. Die Beine werden länger, die Schlittschuhe schwerer, und es vergehen ein paar Millisekunden mehr, ehe die Arme geschlossen sind und der Körper bei den Luftnummern um die eigene Achse rotieren kann. Nicht selten muss eine Kufenkünstlerin dann ihr Sprungrepertoire neu erlernen.

Manche Karriere wurde von diesen physikalischen Gesetzmäßigkeiten schon vor der Zeit gekappt. Die Olympiasiegerin von Pyeongchang 2018, Alina Sagitowa, war bei ihrer Goldkür 15 Jahre alt und galt damals ebenfalls als die Zukunft ihres Sports. Ein Jahr später wurde sie Europa- und Weltmeisterin. In diesem Sommer aber hat sie an den russischen Sichtungsläufen gar nicht mehr teilgenommen. Bei der WM im März wurde sie von Anna Schtscherbakowa, 16, abgelöst, die in den beiden Jahren zuvor ebenfalls schon russische Meisterin war.

Alysa Liu indes hat sich inzwischen wieder stabilisiert. Sie hat ihre ersten drei Senioren-Wettkämpfe auf Anhieb gewonnen, in Boston, Bergamo sowie nun in Oberstdorf. "Und ich zittere jetzt auch bei Auftritten nicht mehr", hat sie im Allgäu erzählt. Eine Mentaltrainerin gehört zu ihrem neuen Trainerteam, dem nun der Italiener Massimo Scali vorsteht. Die vergangenen Wochen zwischen den europäischen Wettkämpfen hat sie in Neumarkt in Südtirol in einer internationalen Eislaufschule verbracht, viele neuen Kolleginnen und Kollegen getroffen. Erstmals, berichtete sie, war der Vater nicht dabei: Teenagertage eines Mädchens, das ihrer Zeit immer ein wenig vorausgewesen ist. Am wettkampffreien Tag in Oberstdorf, sagte sie, wollte sie dann endlich auch auf die Berge.

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