Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft:Siege? Voll normal!

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Souverän in der Abwehr, und das mit 20 Jahren: Moritz Seider, in der Mitte beim 3:1-Sieg gegen Kanada. (Foto: ActionPictures/Imago)

Während Bundestrainer Toni Söderholm "Eishockey-Deutschland" auf große WM-Erfolge vorbereitet, schließt sich DEB-Präsident Franz Reindl einer fragwürdigen politischen Argumentation des Weltverbandes an.

Von Johannes Schnitzler, Riga/München

Was bisher geschah: Die amerikanische Hard-Rock-Band Kiss beschließt Anfang der Siebzigerjahre, weltberühmt zu werden. Die vier New Yorker tragen Horrorschminke und -kostüme, drehen die Lautstärke bei ihren Konzerten bis zum Anschlag auf, spucken auf der Bühne Kunstblut und Feuer. Um ihre Bühnen-Power zu symbolisieren, gestalten sie das Doppel-S in ihrem Namen wie zwei Blitze - was viele aber an das Emblem der nationalsozialistischen Schutzstaffel SS erinnert. Besorgte Eltern, die ihren Kindern Platten und Tickets kaufen, fragen sich: Sind Kiss etwa Nazis?

Der deutsche Eishockey-Torwart Thomas Greiss, der seit vielen Jahren als Profi in der National Hockey League (NHL) in Nordamerika spielt, kam vor ein paar Jahren auf die Idee, seine Maske mit seinem Namen verzieren zu lassen. Das Doppel-S allerdings, das sah doch aus wie .... Nein, nein, versicherte Greiss. Er habe die Buchstaben nach dem Logo der Fahrradmarke Specialized gestalten lassen, einem stilisierten roten Blitz. Greiss geht gerne Mountainbiken. Ist Thomas Greiss ein Nazi?

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"Sicher nicht", antwortete Marc Hindelang, Vizepräsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), im Jahr 2017 auf diese Frage. Damals, während der Weltmeisterschaft in Köln, war ruchbar geworden, dass Greiss zur Zeit des US-Wahlkampfs zwischen Donald Trump und Hillary Clinton Vergleiche Clintons mit Adolf Hitler in den sozialen Medien geliket hatte. Ihm gefiel auch ein Bild, das Trump mit Clintons Kopf in der Hand zeigte und einem blutigen Schwert in der anderen. Sinngemäß verglich er Clinton und ihren Mann Bill mit Massenvernichtungswaffen. Später entschuldigte er sich dafür. Er sei eben konservativ.

Greiss sagt: "Ich bin kein Nationalsozialist." Und kondoliert zum Tod eines Rassisten

Greiss hat seit 2017 nie mehr für Deutschland gespielt, sein Helm ist mittlerweile neutral lackiert. In dieser Woche aber produzierte der 35-Jährige noch einmal Schlagzeilen. Nachdem der DEB bekanntgegeben hatte, Greiss künftig nicht mehr einzuladen, weil man sich nicht sicher sein könne, ob der Torwart die Werte des Verbandes teile, wehrte sich dieser am Dienstag im Magazin Eishockey News mit den Worten: "Ich bin kein Nationalsozialist und kein Rechtsradikaler. Ich bin sehr weltoffen."

Den Bann des DEB hatte Greiss auf sich gezogen, als er Anfang des Jahres zum Tod des ultrakonservativen US-Radio-Talkers und Trump-Unterstützers Rush Limbaugh kondolierte, der für seine rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Tiraden berüchtigt war. Bundestrainer Toni Söderholm führte daraufhin ein Gespräch mit Greiss und beschloss, ihn nicht für die Weltmeisterschaft zu nominieren. Der SZ sagte Söderholm: "Wenn ich das Gefühl habe, dass einer nicht reinpasst, dann treffe ich eine Entscheidung."

Und damit nach Riga, an einen Ostseestrand etwas außerhalb der Stadt, an dem die deutsche Nationalmannschaft am Donnerstag frische Luft schnappte vor den abschließenden WM-Gruppenspielen gegen Finnland (Samstag, 19.15 Uhr/Sport1), die USA und Gastgeber Lettland.

Es habe gut getan, für ein paar Stunden aus der eintönigen Isolation zwischen Hotel und Halle auszubrechen, sagte Söderholm am Freitag - "auch der Seele". Bei "gutem Essen" hätten sein Team und er die ersten Spiele "abgehakt", die Auftaktsiege gegen Italien (9:4), Norwegen (5:1) und Kanada (3:1) sowie die 2:3-Niederlage gegen Kasachstan am Mittwoch. Am Freitag stand noch ein Training an, "kurz und knackig", ehe er die Spieler auf die Aufgabe gegen seine Heimat Finnland einstellen wolle.

2019 brachte das DEB-Team Weltmeister Finnland die einzige Niederlage in der regulären Spielzeit bei

2019 war Söderholms Team die einzige Mannschaft, die dem aktuellen Weltmeister eine Niederlage (2:4) in der regulären Spielzeit zufügen konnte (das Turnier 2020 fiel aus bekannten Gründen aus). Das finnische Team sei im Vergleich zu damals etwas jünger, auch wenn es immer noch vom Hünen Marko Anttila, 2,03 Meter groß und inzwischen 36 Jahre alt, angeführt wird; es sei aber ähnlich stark einzuschätzen. Im Gegensatz zu Kanada, Schweden oder Tschechien, die im bisherigen Turnierverlauf enorme Probleme haben, stehen die Finnen in Gruppe B auf Platz eins - vor Deutschland. Finnland habe wie immer ein gut strukturiertes Team, "jeder weiß, was die eine Aktion mit der nächsten zu tun hat", sagt Söderholm.

2007 mit Finnland WM-Zweiter: Nationaltrainer Toni Söderholm trifft mit Deutschland auf sein Heimatland. (Foto: Roman Koksarov/dpa)

Geändert habe sich aber die Aufmerksamkeit für das deutsche Eishockey in Finnland. Das liegt zum einen natürlich an Söderholm selbst und seinen Assistenten Ville Peltonen und Ilpo Kauhanen. Vor allem liegt es aber an den deutschen Talenten wie Moritz Seider. Der 20-Jährige, vor zwei Jahren in der Slowakei WM-Debütant, wurde anschließend vom NHL-Klub Detroit Red Wings verpflichtet (für den auch Greiss spielt) und für die vergangene Saison nach Schweden ausgeliehen. Dort avancierte Seider zum "Verteidiger des Jahres", eine große Ehre, zumal Verteidiger in Skandinavien einen anderen Stellenwert genießen als etwa in Deutschland. Das weiß auch der ehemalige Abwehrspieler Söderholm, 2007 mit Finnland WM-Zweiter. Er sagt: "Moritz ist richtig stark geworden." Bisweilen müsse er ihn sogar bremsen.

Das gilt womöglich auch für Lukas Reichel, 19, der in Riga schon fünf Scorerpunkte gesammelt hat. Nach dem bösen Check gegen seinen Kopf im Spiel gegen Kasachstan ist offen, ob der Berliner gegen Finnland mitwirken kann. "Es geht ihm gut", sagt Söderholm. "Aber er hat noch viele gute Eishockeyjahre vor sich. Wir werden nichts riskieren." Es sei "gut möglich", dass am Samstag einige frische Kräfte die bislang unveränderten Reihen vitalisieren.

Söderholm führte die Niederlage gegen Kasachstan zwei Tage nach dem Triumph gegen Kanada denn auch nicht auf die Diskussionen um Greiss zurück (die Sportdirektor Christian Künast am Donnerstag für beendet erklärte), sondern auf eine gewisse Müdigkeit, körperlich und mental. "Eishockey-Deutschland", sagte der Bundestrainer, solle sich darauf vorbereiten, dass Siege gegen große Nationen keine Überraschung mehr sein sollten, sondern "das neue Normal". Die Zeit, so Söderholm, sei "nicht weit weg". Bis dahin müssten seine Spieler allerdings noch lernen, dass "das nächste Spiel wichtiger ist als das vergangene". Soll heißen: Einen Sieg gegen Kanada muss man ebenso schnell vergessen wie eine Niederlage gegen Kasachstan. Der nächste Gegner heißt Finnland.

Rigas Bürgermeister lässt erst die Fahnen von Belarus abhängen, dann die des Weltverbandes IIHF

Auch Söderholm kann aber nicht verhindern, dass Nebengeräusche zur Mannschaft durchdringen, da helfen selbst Teamquarantäne und das Füße-in-den-Sand-Stecken an der Ostsee wenig. Das musste auch DEB-Präsident Franz Reindl erfahren. Nachdem in dieser Woche die Rigaer Stadtverwaltung aus Protest gegen die mutmaßlich vom weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs die Flaggen von Belarus abgehängt und gegen Banner der Opposition ausgetauscht hatte, forderte der Weltverband IIHF, auch seine Fahnen einzuholen: Gemäß seinen Statuten sei er eine "unpolitische Sportorganisation". Reindl schloss sich dieser Argumentation an: "Die Weltmeisterschaft sollte mit der politischen Großwetterlage im Grunde nichts zu tun haben."

Von Reindl, der Ambitionen auf die Nachfolge des IIHF-Präsidenten René Fasel hegt, war das nun aber ein bisschen arg naive Diplomaten-Weichzeichnerei. Erst im Januar hatte die IIHF Belarus, das neben Lettland als Co-Gastgeber der WM vorgesehen war, das Turnier entzogen - auf politischen und wirtschaftlichen internationalen Druck hin. Grund: die Unterdrückung der belarussischen Bevölkerung durch Lukaschenkos Regierung. Und auch die Personalie Greiss ist ja nichts anderes als hochpolitisch. Der sagte, er fühle sich sehr enttäuscht, "vor allem von Franz Reindl".

Und nun?

Kiss setzen demnächst ihre Abschiedstournee fort. Ihr Logo, das sie für den deutschen Markt kurzzeitig ändern ließen, verwenden sie längst wieder. Und kein vernünftig denkender Mensch wird ihnen deshalb rechtsextreme Gedanken unterstellen: Gene Simmons, 71, der Bassist, wurde als Chaim Witz in Israel geboren, seine Mutter Flora war im KZ Mauthausen inhaftiert, alle anderen Familienmitglieder fielen dem Holocaust zum Opfer. Die Mutter von Sänger Paul Stanley, 69, floh 1933 vor den Nazis aus Berlin. Beide entstammen jüdischen Familien.

Thomas Greiss, politisch zumindest schwerst unbedarft, wird nicht mehr für Deutschland spielen.

Rigas Bürgermeister Martins Stakis will dem Wunsch der IIHF entsprechen: "Wir müssen uns entscheiden: ein Volk, das nach Freiheit drängt, oder ein Diktator. Wir fahren fort, indem wir die IIHF-Flagge abhängen."

Und: Das DEB-Team fordert am Samstag Weltmeister Finnland heraus.

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