NHL-Playoffs:Lauter groteske Ergebnisse

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In Feierlaune: Brock McGinn von den Carolina Hurricanes. (Foto: AP)
  • In den NHL-Playoffs sind fast alle nominellen Favoriten schon raus.
  • Doch seltsame Ergebnisse gehören in der NHL dazu. Sie gehören zum Eishockey wie Puck und Eis.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es passiert nicht besonders häufig im Sport, dass der Titelverteidiger gleich in der ersten Playoff-Runde scheitert, und genau deshalb sollte man dem Meistertrainer der vergangenen Saison, dem großen Eishockey-Philosophen, Barry Trotz zuhören, wenn er über diese Sportart und das Leben an sich plaudert. Er sagt, immer garniert mit deftigen Schimpfwörtern, unvergessliche Sätze wie diesen hier: "Mich überrascht nichts mehr, weil ich weiß, dass mich ohnehin alles überraschen wird." Oder, über die diesjährigen Playoffs in der nordamerikanischen Profiliga NHL: "Du biegst ab, alles ist gut, doch dann rauscht da plötzlich ein Lastwagen an und es liegt nicht mehr an dir, ob es kracht oder nicht." Trotz trainiert inzwischen nicht mehr die Washington Capitals, sondern die New York Islanders. Doch nun hat es auch bei ihm gekracht. Er schied am Samstag mit den Islanders im Conference-Halbfinale aus - 0:4 gegen die Carolina Hurricanes, die als siebtbestes Team im Osten in die Playoffs gingen.

Zum ersten Mal in der Geschichte sind beide Finalteilnehmer der Vorsaison sowie die Gewinner der vier Divisionen, aus denen sich die NHL zusammensetzt, in der ersten Runde gescheitert. Tampa Bay Lightning, der mit Abstand erfolgreichsten Mannschaft der regulären Spielzeit, gelang nicht ein Sieg in der Best of 7-Serie. Wer in Las Vegas vor Beginn der Playoffs zehn Dollar auf diese Viertelfinal-Teilnehmer gesetzt hat, der hat nun mehr als 11.000 Dollar im Geldbeutel.

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Es sollte einen also überraschen - oder eben nicht, weil in dieser Liga gewiss ist, dass in der Ausscheidungsrunde vermeintlich groteske Ergebnisse keine Überraschung sind. Sie gehören zum Eishockey wie Puck und Eis.

"Wir waren nicht unbedingt das, was man sexy nennt"

Vor einem Jahr lagen die Washington Capitals mit Trainer Trotz in der ersten Runde bereits mit 0:2 zurück, kurz vor dem Ende der dritten Partie klatschte der Puck an den Innenpfosten des Capitals-Tors und von dort aus zurück ins Spielfeld. Washington schaffte das nicht mehr für möglich gehaltene Comeback, gewann die Serie und später den Stanley Cup. Die Finalserie bestritten damals übrigens der Verein mit der sechsbesten Bilanz (Vegas Golden Knights) und die Nummer acht (Capitals). Das ist, auf die aktuelle Bundesliga-Tabelle übertragen, als würden Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg die Finalserie um die deutsche Meisterschaft austragen.

Trotz hatte sich mit den Capitals in der Sommerpause nicht auf einen besser dotierten Vertrag einigen können und war deshalb zu den New York Islanders gewechselt, denen übrigens vor der Saison von zahlreichen Experten die wenigsten Punkte der kompletten Liga prognostiziert worden waren - oder wie Trotz es nun ausdrückt: "Wir waren nicht unbedingt das, was man sexy nennt." Die Islanders erreichten nicht nur die Playoffs, sie nervten in der ersten Runde die Pittsburgh Penguins von Ausnahmekönner Sidney Crosby mit aggressiver Defensive und gewannen überraschend ohne Niederlage, ehe sie am Washington-Bezwinger scheiterten.

Also: Was ist da los beim Eishockey, dass einen all die Überraschungen nicht überraschen sollten?

Es gibt eine Gehaltsobergrenze - und eine Untergrenze

Es liegt zum einen daran, dass die Gehaltsobergrenze (in dieser Saison bei 83 Millionen Dollar pro Team) strenger eingehalten wird als in anderen amerikanischen Ligen und dass es sogar eine Gehaltsuntergrenze (58,8 Millionen Dollar) gibt. Die Regeln bei der Wahl der talentierten Nachwuchsspieler belohnen eine (möglicherweise absichtlich erzeugte) schlechte Bilanz nicht so sehr wie in der Basketballliga NBA. Es ist also nicht möglich, einen eher billigen und damit möglichst erfolglosen Kader zusammenzustellen in der Hoffnung auf Losglück und Spielraum bei Gehältern - und damit auf eine grandiose Zukunft durch Niederlagen in der Gegenwart.

"Das alleine führt schon zu mehr Ausgeglichenheit", sagt Pierre McGuire, einst Trainer und Manager der NHL-Franchise Hartford Whalers und mittlerweile Experte beim TV-Sender NBC. Rechnet man die Rekordsaison der Tampa Bay Lightning (62 Siege) heraus, dann betrug der Abstand zwischen dem zweiterfolgreichsten Team (Calgary Flames, 107) und dem Playoff-Teilnehmer mit der schlechtesten Bilanz (Colorado Avalanche, 90) gerade mal 17 Punkte. "Das ist angesichts von 82 Saisonspielen nicht besonders viel, wenn man die Unterschiede in anderen Disziplinen betrachtet", sagt McGuire: "Wichtig ist auch: Es geht nun nicht mehr um möglichst viele Siege gegen verschiedene Gegner, sondern nur noch um Erfolge gegen ein Team."

Die NHL musste sich für eine Fehlentscheidung entschuldigen

Columbus-Trainer John Tortorella zum Beispiel gab seinen Spielern einen jeweils 15 Zentimeter dicken Ordner mit Informationen über Playoff-Gegner Tampa Bay mit nach Hause und schickte jedem einzelnen Akteur personalisierte Instruktionen aufs Handy, Carolina-Coach Rod Brind'Amour wird gerade für seine taktischen Kniffe gegen Washington (er stellte die Sturmreihen immer wieder um) gefeiert - und dann gibt es freilich noch jene Faktoren, die sich nicht beeinflussen lassen: Die Vegas Golden Knights führten im entscheidenden siebten Spiel gegen die San José Sharks bereits mit 3:0, erlaubten während einer ungerechtfertigten Fünf-Minuten-Zeitstrafe jedoch vier Gegentreffer und schieden letztlich aus. Die NHL hat sich mittlerweile für diese Fehlentscheidung bei den Golden Knights entschuldigt.

"Bei Ausgeglichenheit machen kleine Dinge den Unterschied", sagt Barry Trotz, der beim abschließenden 2:5 in Carolina erneut auf Tom Kühnhackl im Angriff setzte. Und sich vom Torwartwechsel zu Thomas Greiss beim Stand von 1:3 nach 23 Spielminuten so eine Kleinigkeit für sein Team erhoffte. Doch auch Greiss kassierte noch zwei Gegentore. Nicht nur der Titelverteidiger, sondern auch der Meistertrainer des Vorjahres ist nun am Hurrikan gescheitert.

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