Frankfurts André Silva:Der rollende Neuner

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Schon 18 Saisontore für Eintracht Frankfurt: der portugiesische Angreifer André Silva. (Foto: Thomas Frey/dpa)

André Silva ist nach Robert Lewandowski der Bundesliga-Stürmer, der in dieser Saison am häufigsten trifft - er dürfte auf dem Wunschzettel vieler Klubs stehen.

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres, Frankfurt

Es war eine schwere Entscheidung, die der kleine André Miguel Valente da Silva zu treffen hatte. Als der Grundschüler dem SC Salgueiro beitrat, am Rande der Stadt Porto, war er bei den jungen Fußballern aktiv - und in der Rollhockey-Abteilung. Rollhockey ist ein Sport, der so ähnlich wie Eishockey auf Rollschuhen funktioniert und in Portugal höchst populär ist.

Die großen Fußballklubs verfügen wie selbstverständlich auch über Rollhockey-Teams, die stärksten Spieler der heimischen Liga kommen auf fünfstellige Monatsgehälter, und nur ganz knapp hinter Spanien ist Portugal das Land mit den meisten WM-Siegen. Und es war auch der Sport, in dem André Silva, heute 25, erfolgreich sein wollte - bis diese schwere Entscheidung anstand: Rollhockey? Oder doch besser Fußball?

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Der Stürmer von Eintracht Frankfurt mag den Sport seiner Kindheit noch immer. Vertraute berichten, dass er bei Besuchen in der Heimat zur Entspannung gerne mal eine Partie Rollhockey besucht. Aber grundsätzlich dürfte er recht froh sein darüber, dass er sich einst dafür entschloss, die Rollschuhe sein zu lassen und den Aktivitäten auf dem Fußballplatz Priorität einzuräumen. Silva hat dort inzwischen eine bemerkenswerte Karriere hingelegt.

Am Samstag kommt es zum Duell der Torjäger

In der laufenden Bundesliga-Saison präsentiert er sich besonders stark. 18 Tore erzielte Silva bereits, darunter sechs Elfmeter. In der Liga ist der Frankfurter hinter dem auf Rekordkurs liegenden Robert Lewandowski vom FC Bayern (25 Tore) die Nummer zwei in der Schützenliste. Und im Kalenderjahr 2021 traf bisher in Europas Top-Ligen niemand häufiger als Silva, nicht mal Lewandowski. Wenn der Spitzenreiter FC Bayern und der Tabellendritte Eintracht Frankfurt an diesem Samstag im Topspiel aufeinandertreffen, dürfte über den Ausgang nicht zuletzt das Duell der Torjäger entscheiden - auch wenn Silva unter der Woche wegen Rückenproblemen mit dem Training aussetzen musste.

Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic, ehedem selbst ein herausragender Stürmer, ist schwer angetan von seinem Top-Angreifer: "Er vereint unheimlich vieles - vielleicht nicht alles auf Weltklasse-Niveau, aber auf sehr herausragendem Niveau", sagt Bobic. In der Tat fällt Silva auf vielerlei Weise auf: mit seiner starken Technik, seiner Kombinationsfähigkeit - und mit seinem Gespür für den Antritt im richtigen Moment, als profitiere er da heute noch von seinen Rollschuh-Fertigkeiten. Kurios ist, dass Silva "nicht der klassische Neuner" ist, wie auch Bobic meint. Aber just, seitdem Frankfurt mit zwei Zehnern und Silva als einziger echter Spitze spielt, läuft es für die Eintracht und Silva besonders gut.

Silvas Leistungen sind so herausragend, dass sich längst die Frage stellt, wieso er noch für Frankfurt und nicht für einen größeren europäischen Klub aufläuft. Wobei: Ein paar dieser großen Klubs hat er ja schon hinter sich. Dabei hatte er allerdings nicht jene Hoffnungen erfüllt, die er früh geweckt hatte, insbesondere, nachdem ihn Landsmann Cristiano Ronaldo zum legitimen Nachfolger erklärt hatte: "Wenn ich zurücktrete, wird Portugal in guten Händen sein. Denn das Team hat bereits einen tollen Stürmer", sagte "CR7".

Bald wurde Silva "Mini-Deco" genannt - in Anlehnung an den früheren Regisseur

Zu welcher Karriere Silva imstande sein könnte, hatte sich schon angedeutet, als er Grundschüler war. In Portugal erzählen sie noch immer die Geschichte von einem Turnier in Viana do Castelo, bei dem Silva als Achtjähriger in einem Gruppenspiel sein 15. Turniertor geschossen hatte - und sein Coach ihn vom Feld nahm, weil er zu intensiv gejubelt hatte. Die Lektion lautete: Man dürfe Gegner schlagen, aber nicht demütigen. Wenige Jahre später nahm ihn die Agentur von Ronaldos Manager Jorge Mendes unter ihre Fittiche. Bald wurde Silva "Mini-Deco" genannt - in Anlehnung an den früheren Regisseur der portugiesischen Nationalelf.

Silva ging zum FC Porto, dann zum AC Mailand, doch die Ablöse von 38 Millionen Euro stellte offenbar zu großen Druck für den jungen Stürmer dar. Er wich leihweise zum FC Sevilla aus, spielte dort 2018/19 eine sehr starke erste Halbserie. Doch erst warfen ihn eine Verletzung und ein Disput mit Trainer Joaquín Caparrós aus der Bahn; dann waren dem FC Sevilla 40 Millionen als Ablöse zu viel. Silva musste daher zurück nach Mailand, aber dort fühlte er sich nicht wohl. Und so kam im Herbst 2019 Frankfurt ins Spiel, als die Eintracht den begehrten Ante Rebic gegen Silva eintauschte - erst leihweise, später fix in einem großen Verrechnungsgeschäft mit Rebic, für vergleichsweise wenig Geld.

"Das war so ein klassischer Fall: Das ist ein richtig guter Spielertyp und ein richtig gutes Gesamtpaket. Aber es lief nicht so, weil er keine richtige Heimat hatte", sagt Fredi Bobic heute: "Mir gefallen diese Geschichten sehr gut, die werden ein bisschen unterschätzt."

Silva gilt als eher zurückhaltender Typ, am Anfang tat er sich auch in der Bundesliga schwer mit der Intensität. Aber er legte recht schnell zu. Schon nach dem Corona-Restart im Frühjahr 2020 kam er besser in Schwung, in der neuen Saison erst recht. Zuletzt hat er sich so prima entwickelt, dass er bei einem halbwegs brauchbaren Verlauf der Restsaison den Frankfurter Vereins-Saisonrekord knacken könnte: Bernd Hölzenbein kam in der Saison 1976/77 auf 26 Tore.

Frankfurt rechnet damit, dass Silva den Klub verlassen könnte

Zugleich wissen sie in Frankfurt auch, wie unwahrscheinlich es ist, dass Silva so lange im Verein bleibt wie einst Hölzenbein (1967 bis 1981). Bei der Eintracht sieht man es traditionell so, dass die Anwesenheit auch vermeintlich unersetzlicher Spieler im Klub endlich ist. Vor zwei Jahren lief die komplette torhungrige "Büffelherde" davon: Sébastien Haller ging nach England, Rebic nach Mailand und Luka Jovic für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag zu Real Madrid - Jovic kehrte soeben leihweise wieder zurück.

Auch ein Abschied des bis Juni 2023 gebundenen Silva ist möglich, wie Sportvorstand Bobic zu verstehen gibt: "Dass es für einen solchen Spieler weitergehen kann, ist selbstredend. Ich bin doch kein Fantast. Bei dem, was er abliefert, kann man sich doch sicher sein, dass er auf der Wunschliste vieler Klubs steht." Manchester United und Atlético Madrid sollen zu den Interessenten gehören. Die Frage wird nur sein, ob eine Summe von 30 Millionen am Ende reicht, wenn es für Silva weiter so läuft wie auf gut geölten Rollen.

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