Eintracht Braunschweig:Plötzlich Drittklässler

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Plötzlich nur noch dritte Liga: Eintracht Braunschweig. (Foto: dpa)
  • Am Freitag startet die neue Drittligasaison, bei Eintracht Braunschweig werden knapp 20 000 Zuschauer erwartet, die sich auch durch den unerwarteten Abstieg nicht abschütteln ließen.
  • Der populäre Trainer Torsten Lieberknecht musste nach zehn Jahren aufhören. Dass man zu lange an ihm festhielt, bezeichnet der Geschäftsführer als Hauptgrund für den Abstieg.
  • Vertrauen schenken die Braunschweiger nun besonders ihrem neuen Cheftrainer Henrik Pedersen, er sammelte Erfahrungen bei Red-Bull-Vereinen und war zuletzt Co-Trainer bei Union Berlin.

Von Jörg Marwedel, Braunschweig

In der "Wahren Liebe", der Fankneipe neben dem Stadion an der Hamburger Straße, gibt es trotz der ernsten Lage zwischen 17 und 19 Uhr noch immer eine "Happy Hour", wo man zu vergünstigten Preisen Getränke bestellen kann. Zwischen der Gaststätte und dem Fanshop klebt ein Aushang, der zum Treffpunkt am 27.7. um 16.30 am Schlossplatz einlädt. Darunter der Slogan: "Erfolg vergeht - Treue besteht".

Der 27. Juli ist dieser Freitag, an dem die dritte Liga den Spielbetrieb aufnimmt und Eintracht Braunschweig gegen Karlsruhe anfangen will, den Schaden gutzumachen, den der Zweitliga-Abstieg im Mai angerichtet hat. Knapp 20 000 Zuschauer, so viel zur Treue, werden erwartet. 13 000 Dauerkarten wurden unters Volk gebracht - nur 3000 weniger als in Liga zwei.

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Doch friedlich ging es nach dem "unnötigsten Abstieg, den es zuletzt im Profifußall gab", wie Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt fand, auch in Braunschweig nicht zu. Der Sturz in die Drittklassigkeit war für alle ein Schock. Denn die Eintracht, die vor zehn Jahren knapp an einer Insolvenz vorbeigeschrammt war, war 2017 eigentlich der beste Zweitligist der Fünfjahreswertung, verfügte zuletzt über einen Gesamtumsatz von mehr als 40 Millionen Euro und schloss das Geschäftsjahr zum 30. Juni 2018 mit einem Gewinn von wohl etwa drei Millionen Euro ab. Alles war also in der gefühlten Bundesliga-Stadt eher auf eine Rückkehr in die erste Liga vorbereitet als auf diesen sportlichen Rückfall.

Der populäre Trainer Torsten Lieberknecht musste nach zehn Jahren aufhören. Voigt nennt die verpasste Trennung vom Fußballlehrer im vergangenen Winter inzwischen als Hauptgrund für das sportliche Unglück. Denn schon, bevor die Mannschaft nach dem letzten Spieltag zum ersten Mal überhaupt auf einem Abstiegsplatz stand, bot sie einen defensiven, unansehnlichen Fußball, der Freunde des schönen Spiels schaudern ließ. Auch Lieberknecht selbst hatte intern angezweifelt, ob er noch einmal eine Wende hinbekommen würde. Doch der Aufsichtsrat sorgte dafür, dass die Klubführung an Lieberknecht festhielt, weil es davor neun Jahre lang fast nur bergauf gegangen war.

Doch weil der emotionale Dauertrainer, der seinen Tränen so oft freien Lauf ließ, für viele Fans sakrosankt blieb, suchten sich diese schon während der Abstiegssaison einen anderen Schuldigen aus: Marc Arnold, den sportlichen Leiter, der zehn Jahre lang Lieberknechts Partner war. "Ich wurde zur 50 auf der Zielscheibe", sagt er - es gab Attacken von Anhängern im Stadion und in den sozialen Netzwerken, wo es gerne mal unter die Gürtellinie geht. Arnold war plötzlich alleine für Fehleinkäufe zuständig - und für den Vorwurf, dass er nicht mehr Geld hatte springen lassen für mehr hochkarätige Verstärkungen. Die Freundschaft zwischen Lieberknecht und Arnold ruht derzeit.

Doch der Aufsichtsrat vertraut Arnold weiterhin. Nur zwölf Monate, nachdem der Braunschweiger Traum platzte, genau im 50. Jahr nach der einzigen deutschen Meisterschaft 1967 wieder in die Bundesliga zurückzukehren - im Frühjahr 2017 gab es in der Relegation zwei 0:1-Niederlagen gegen den Nachbarn VfL Wolfsburg - dirigiert Arnold nun einen totalen Neuanfang. Der Umsatz beträgt immerhin noch 17 bis 18 Millionen Euro, damit geht der Traditionsklub in die dritte Liga. Zu bisher 21 Kader-Zugängen, darunter acht aus dem eigenem Nachwuchs, sollen bis Ende August noch Offensivkräfte kommen, die billiger sind als Gustav Valsvik, Suleiman Abdulahi und Christoffer Nyman. Diese drei wertvollsten Profis sollen noch für gutes Geld verkauft werden. In der Offensive mangelt es daher noch, nachdem alte Klubidole wie Mirko Boland (nach Australien) und Domi Kumbela keine neuen Verträge bekamen.

Vertrauen schenken die Braunschweiger nun besonders ihrem neuen Cheftrainer Henrik Pedersen, 40. Der Däne sammelte Erfahrungen als "Development Manager" der Red-Bull-Vereine, arbeitete mit Ralf Rangnick zusammen und war zuletzt Co-Trainer von Jens Keller bei Union Berlin. Jetzt soll Pedersen das Abstiegs-Trauma abwickeln. Er habe mit seiner glaubwürdigen und kommunikativen Art "Aufbruchsstimmung in den ganzen Klub gebracht", sagt Voigt. Arnold hofft, dass der neue Coach der jungen Elf einen Stil vermitteln, bei dem sie selbst das Heft auf dem Platz in die Hand nimmt. Pedersen selbst sagt: "Ich will nicht nur den Fußballer sehen, sondern auch den Menschen."

Arnold sieht immerhin schon eine Achse im neuen Team. Das ist die Innenverteidigung mit dem aus Vasas/Ungarn geholten Felix Burmeister, 28, und dem Dänen Frederik Tingager, 25 - dazu der von Union Berlin gekommene Mittelfeldlenker Stephan Fürstner, 30, und als Stoßspitze Philipp Hofmann, 25, zuletzt Greuther Fürth. Noch aber fehlt der ansonsten jungen Mannschaft "eine klare Idee mit dem Ball", wie Pedersen anmerkt. Ungewiss ist auch, wie die neu zusammengewürfelte Belegschaft mit der Drucksituation des sofortigen Wiederaufstiegs-Ziels umgeht.

Trainer Pedersen, der mit Arnold die Gruppe zusammenstellte, hat vorerst Rückenwind. Beim von 600 Fans besuchten Grillen mit der Mannschaft und auch bei den Sponsoren hinterließ er einen glänzenden Eindruck. Die Partner des Klubs bleiben fast alle bei der Stange. Dennoch weiß der Coach, wie schwierig es sein wird, am Ende ganz oben zu landen in dieser mit Traditionsvereinen angereicherten dritten Liga. Die Spielklasse sei nicht viel schlechter als die zweite Liga, da gehe es "um Männerfußball", sagt der Däne. Seine Jungprofis müssen das jetzt ziemlich schnell begreifen.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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